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Musil: ein altösterreichisches Phänomen

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Nicht nur verlegerisch, auch was die wissenschaftliche Aufarbeitung anlangt, wurde das österreichische Phänomen Robert Musil „von der Flanke her" aufgerollt, von Hamburg (Rowohlt-Verlag) und von dem ersten Herausgeber des Hauptwerkes nach dem Zweiten Weltkrieg, dem Rheinländer Adolf Frise. Und inso-ferne war es eine typische Kreisky-Leistung, die französische Germanistin Marie-Louise Roth als Leiterin einer Internationalen Musilgesell-schaft mit Sitz an der Universität des Saarlandes gewonnen zu haben. Die Brillanz von Roths Interpretationsleistung in französischen Büchern hat gewiß einiges dazu beigetragen, daß Musil einem breiteren Publikum in Frankreich erschlossen worden ist.

Nun ist es die Kulturabteilung der österreichischen Botschaft und dem Ost- und Südosteuropainstitut (Außenstelle Brünn) gelungen, in der Zusammenarbeit mit tschechischen Universitäten das erste Musil-Sym-posion in einem Staat der slawischen Welt zu gestalten. Dazu wurden einige der bedeutendsten europäischen Musilforscher „der ersten und zwei-

ten Generation" vom 29. 9. bis 2.10. 1992 nach Brünn eingeladen. Zu Recht wurde Brünn gewählt, spielte doch diese Stadt in Musils Jugendentwicklung - er kam als Zehnjähriger nach Brünn - und in seiner Familiengeschichte - seine Eltern wohnten dort bis zu ihrem Tod im Jahre 1924 -eine entscheidende Rolle. Im Rahmen des Symposions wurde an dem Wohnhaus der Musils in der ehemaligen Augustinerstraße 10 eine Gedenktafel enthüllt. Das vom Bombenkrieg und der Modernisierungswelle unberührt gebliebene Brünn vermittelt ja stärker als andere Orte auf Musils Lebensweg etwas vom Milieu und der Mentalität der damaligen Epoche. Auch durch seine Kadettenjahre 1902/ 1903 war Musil dem mährischen Raum verbunden.

Brünn als Schauplatz

Dem Ort der Veranstaltung entsprechend wurden Partien aus Musils Werk analysiert, die Brünn zum Schauplatz haben (wie etwa die Brünner Schwedenschanze) oder welche die Bedeutung des Slawen und insbesondere der Tschechen für Musils Weltbild erweisen. Darüber sprachen unter anderen Vojen Drlik, Vincent Sabik, Jürgen Thömig (Osnabrück)

und von der Staatsuniversität New York Albany Joseph Strelka. Die prognostischen Züge in Musils Schaffen geben genügend Anlaß, die Aktualität bei diesem ersten Symposion in einem ehemaligen Ostblockstaat darzulegen.

So sprach Wolfgang Müller-Funk von der Waldviertelakademie über die ideologischen Katastrophen in der Mitte Europas. Bei vielem, was sich

jetzt abspielt, wird man an Robert Musils Essay „Das rastlose Europa" erinnert, weshalb Marie-Louise Roth diese unvermindert aktuelle Analyse aus dem Jahre 1922 zum Ausgangspunkt ihrer Betrachtungwählte: „Ideologien befinden sich stets in einem Mißverhältais zum Leben und dieses befreit sich in wiederkehrenden Krisen von ihnen wie wachsende Weichtiere von ihrem zu eng gewordenen Panzer". Die Panzer ist es also los, das Weichtier, das sich ehemals CSSRnannte. Aber hierhinkt die Analogie. Denn die neuen schützenden und funktionsfähigen Ordnungen sind noch nicht ausreichend nachgewachsen, weshalb die Verletzlichkeit und Gefährdung so groß ist.

Das Schlußlicht der Veranstaltung blieb Österreich vorbehalten. Dank des fulminanten Vortrags von Kurt Marko (Wien) geriet es zum ironischen Feuerwerk über die Rezeptionsgeschichte Musils in Österreich. Denn staatsmännische Klugheit hat es verstanden, Bundesanleihen der Ei-genschaftlichkeit beim „Mann ohne Eigenschaften" für den Identitätsbedarf der Zweiten Republik aufzunehmen.

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