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Muß denn alles erhalten bleiben?

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Großräumige Entwicklungen können auch durch engagierte Denkmalpflege nicht aufgehalten werden -ihr Ziel ist die Erhaltung des Kulturerbes ohne falsche Nostalgie.

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Großräumige Entwicklungen können auch durch engagierte Denkmalpflege nicht aufgehalten werden -ihr Ziel ist die Erhaltung des Kulturerbes ohne falsche Nostalgie.

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Die Denkmalpflege ist ganz wesentlich von der Mentalität einer Bevölkerung abhängig. Sie ist entweder eine Selbstverständlichkeit oder krampfhaftes, aufreibendes Bemühen einiger weniger oder, w}e es seit einigen Jahren bei uns der Fall ist, ein Produkt erfolgreichen Zusammenwirkens der kompetenten Stellen, wobei es gelungen ist, auch mit Hilfe der Medien, eine breite Bevölkerungsschichte für dieses Thema zu interessieren.

Der Durchschnittsösterreicher in der Altersgruppe der Fünfzig-und Sechzigjährigen hat das Bedürfnis, seine unmittelbare Umgebung stets verändern und erneuern zu wollen. Dafür gibt es mehrere Erklärungen. Eine davon ist, daß Menschen, die lange in Not und Entbehrung leben mußten, einen größeren Nachholbedarf, ein stärkeres Verlangen nach Selbstbestätigung haben, als eine Generation, die im Wohlstand aufwächst.

Aus diesem Grunde schon bin

ich optimistisch, was die Zukunft der Denkmalpflege betrifft.

Nostalgische Schwärmerei ist vorwiegend Sache der Großeltern und Enkelgeneration. In den sechziger und siebziger Jahren wurden die Häuser erneuert oder modernisiert. Das Geld war da, oder leicht zu beschaffen, Arbeitskräfte gab es auch genug. Vorbilder für die neuen Häuser

waren bald gefunden. Jouberts Ausspruch „Geschmack ist das literarische Gewissen der Seele" hat auch in diesem Zusammenhang seine Gültigkeit.

Der historische Baubestand ist in den Jahren der Hochkonjunktur in einem größeren Ausmaß reduziert worden, als durch die Zerstörungen im Zweiten Weltkrieg. Diese Entwicklung konnte einigermaßen gestoppt werden. Auch aus wirtschaftlichen Gründen. Entscheidend aber ist, daß sich die Einstellung der Bevölkerung zur Erhaltung unseres Kulturerbes wesentlich gebessert hat.

Nun regt sich sogar bei manchem Hauseigentümer ein wenig Besitzerstolz, wenn seine Fassade Biedermeierzierat oder Historismusdekor aufweist, und es kommt jetzt häufiger vor, daß sich jene ärgern, die ihre Fassaden vor zehn Jahren abgeschlagen haben.

Wenn es nur bei den Fenstern auch so wäre! Aber die Sprossen müssen offenbar weg, da hilft gar nichts, kein Zureden, keine Aufklärungskampagne. Diese Mode — was anderes ist es ja nicht — hat ein besonders langes Leben.

Der professionelle Denkmalpfleger würde den größten Fehler begehen, wenn er alles, was neu ist, verdammte. Dort, wo neu gebaut werden muß, soll es auch geschehen. In einem verbauten Gebiet, womöglich inmitten eines historischen Bauensembles, wird ■ er entsprechend seinem Auftrag handeln. Bezüglich der Erhaltung eines Gebäudes war das Alter allein nie das entscheidende Kriterium für den Denkmalpfleger. Die Realisierung guter moderner Architektur aus Gründen unqualifizierter Nostalgieromantik zu verhindern, wäre ein entscheidender Fehler, wie es meiner Meinung nach ebenso falsch ist, jene Maßnahmen besonders zu fördern, die darin bestehen, neue Fassaden mit billigem historisierendem Dekor verschämt zu verstecken.

Die Österreicher haben oft ein gestörtes Verhältnis zu ihrer Vergangenheit und somit auch zu den sichtbaren Zeugnissen der Geschichte. Daß sie dennoch erhalten geblieben sind, ist zu einem guten Teil der Fremdenverkehrswirtschaft zu verdanken. Ich habe oft erlebt, wie ein Hausbesitzer fast entschuldigend erklärte, es würde ja diese alte „Ka-luppn" wegreißen, wenn nicht die Fremden soviel Freude daran hätten. Ihnen gefallen halt die alten, freskenbemalten Bauern-und Gasthöfe, die malerischen engen Gassen in den Städten, die Mühlen und Holzstadeln. Und selbstverständlich die vielen Kirchen, Kapellen, Bildstöcke, Burgen, Schlösser und Ruinen.

Die Kirche besitzt die größte Anzahl historischer Bauwerke. Sie hat auch die größten Opfer dafür zu bringen. Der finanzielle Aufwand zur Erhaltung ihres Besitzes ist außerordentlich groß und erfordert Respekt.

Der Bestand an sakraler Architektur hat sich in den letzten Jahrzehnten kaum verringert. Hin und wieder taucht der Wunsch auf, eine bestehende Kirche durch einen neuen, größeren Bau zu ersetzen, vor allem dort, wo die Einwohnerzahl rapid gestiegen ist. In solchen Fällen haben klug geplante Erweiterungsbauten verhindert, daß ein wichtiger Altbestand für immer verlorengegangen wäre. Eine Kirche einfach abzureißen, ist schon aus rechtlichen Gründen schwer möglich, denn alle Sakralbauten stehen in Österreich automatisch unter Denkmalschutz.

Die vielzitierte Zerstörung der Rauchfangkehrerkirche in Wien kann mithin als eine der Ausnahmen bezeichnet werden und hat — so unseriös und paradox es klingen mag — durch die vielen Proteste und die langjährige Beschäftigung mit diesem Fall, der Denkmalpflege viel Werbung und Sympathie eingebracht.

Für die zahlreichen kleinen Kapellen und Bildstöcke gibt es seit einigen Jahren überhaupt eine Renaissance. Einerseits weil die Wallfahrten wieder mehr in Brauch kommen, andererseits weil die Bevölkerung seit den vielen Aktionen im Denkmalschutzjahr 1975 den Kleindenkmalen, was ihren baulichen Zustand betrifft, mehr Aufmerksamkeit schenkt.

Größere Probleme ergeben sich •bei Veränderungen von Kirchenräumen, die durch die Liturgiereform aktuell geworden sind. Es erfordert schon sehr viel Einfühlungsvermögen und guten Geschmack, die alten Gotteshäuser für die neuen Bedürfnisse umzugestalten. Daß es nicht immer befriedigend gelungen ist, dafür gibt es mehrere Beispiele. Die Wünsche mancher Priester, funktionslos gewordene Kanzeln oder gar Altäre aus der Kirche zu entfernen, sind sehr selten geworden.

Früher gab es beim Burgenverein eine umfangreiche Liste mit Burgen und Schlössern, die für wenig Geld zum Kauf/angeboten wurden. Heute sind die Interessenten nicht weniger geworden, aber die Objekte sind bereits in fester Hand. Vor allem die kleineren, relativ gut erhaltenen. Große, seit Jahrzehnten leerstehende Objekte, deren Bestand ernsthaft gefährdet ist, stoßen auf wenig Gegenliebe. Zu hoch sind die Kosten für die Sanierung und für die ständige Erhaltung.

Sie sind die wahren Sorgenkinder der Denkmalpfleger.

„Um in Wien über die ständigen Verschandelungen berichten zu können, müßte es eine eigene Zeitung geben", sagte mir kürzlich ziemlich vorwurfsvoll ein Journalist. So unrecht hat er nicht, dennoch gab ich ihm zu bedenken, daß jede Großstadt, ob Wien, Paris oder London, in Bewegung ist, ihr Bild verändert. Sie muß dabei nicht unbedingt ihr Gesicht verlieren. Es gibt großräumige Entwicklungen, die von noch so engagierten Denkmalpflegern nicht aufgehalten werden können. Wer sagt, daß es in hundert Jahren noch die schönen Villenviertel in den Vororten geben wird, wenn dort niemand mehr wohnen will oder das Geld für die Erhaltung hat? Wie schwierig ist es heutzutage schon, ein Ringstraßenpalais, das für Wohn- und Repräsentationszwecke errichtet wurde, mit einer neuen Widmung zu versehen, oh-

ne bedeutende Substanz opfern zu müssen.

Ein Beispiel für viele andere gefährdete Objekte in Österreich ist das Ringstraßenpalais Hen-kel-Donnersmarck am Parkring, 1871 bis 1872 von den bekannten Architekten Romano und Schwendenwein errichtet. Die Gemeinde Wien als Eigentümer konnte bisher weder eine geeignete Widmung finden noch die finanziellen Mittel für die Sanierung aufbringen.

In der Zwischenzeit sind mehrere Decken im 2. Stock eingestürzt, auch der allgemeine Zustand im Inneren wird immer bedenklicher. Könnte hier nicht das längst fällige Ringstraßenmuseum einziehen?

Erst wenn der Autoverkehr so dezimiert sein wird, daß die alten Biedermeierhäuser nicht mehr im Weg stehen und die Autoab-gase nicht mehr die Fassaden zerfressen, wenn das Schlagwort „Sanieren statt neu Bauen" in die Tat umgesetzt wird, wenn manche Stadtplaner und andere Technokraten nicht mehr gar so selbständig arbeiten werden, wenn genug Geld da sein wird, um ganze Straßenzüge und Stadtviertel Zug um Zug sanieren zu können, wenn Geschäftsinteressen mehr in den Hintergrund gestellt werden, ja dann setzen auch für den Denkmalpfleger in Wien sorglosere Zeiten ein.

Der Autor ist Pressereferent des Bundes denkmalamtes.

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