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Digital In Arbeit

Muß die Arbeit krank machen?

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Immer mehr leitende Angestellte, aber auch Sekretärinnen und Arbeiter leiden an Bluthochdruck, Herz-und Kreislauferkrankungen, Magengeschwüren, Hautausschlägen und Gelenksentzündungen, deren Ursachen nur von wenigen Medizinern „auf Anhieb“ erkannt werden können: nämlich Problemen am Arbeitsplatz.

„Wenn man bedenkt, daß in den USA ein Arbeitnehmer im Durchschnitt 40 Prozent seiner gesamten Energie dafür verwenden muß, um alle möglichen Aggressionen beim Arbeitsprozeß abzuschirmen, so dürfte dies auch in Österreich kaum besser sein“, meint Univ.-Prof. Erwin Ringel, der Leiter der Abteilung für Psychosomatik an der Psychiatrischen Universitätsklinik in Wien, „denn auch bei uns herrscht noch weitgehend in den Unternehmen ein ziemlich autoritärer Führungsstil, der bei den Untergebenen häufig zu sinnlosen Konkurrenz- und Rangordnungskämpfen führt.

Aber auch Lob, Anerkennung und Mitsprache werden dem arbeitenden Menschen oft verweigert. Die Folge davon sind psychosomatische Erkrankungen, die - weil der Patient seelisch leidet - bei ihm auch zu körperlichen Defekten führen.“

Anpassungszwang verstärkt Leistungsdruck

Daß unter solchen Verhältnissen, wenn der Chef oder der Abteilungsleiter allein den Ablauf der einzelnen Arbeitsphasen bestimmt, sich bei den übrigen Arbeitnehmern Freudlosigkeit und Frustrationen verbreiten können, die oft in ein Gefühl der Ohnmacht münden, ist Psychosomatikern und Arbeitsmedizinern schon seit längerer Zeit bekannt. Die Folgen sind Leistungsabfall oder aber ein Anpassungszwang bei jenen, die im Betrieb aufsteigen möchten.

Viele Menschen können diesen ständig wachsenden Leistungsdruck nicht bewältigen und geraten durch ihren besonderen Arbeitseifer in einen verhängnisvollen Teufelskreis aus Überarbeitung und Krankenständen, unter dem sie noch zusätzlich dadurch leiden, weil sie von Kollegen und Vorgesetzten häufig als Neurotiker oder Simulanten bezeichnet werden.

Gerade bei strebsamen Arbeitern und Angestellten kommt es immer wieder vor, erklärt Ringel, daß sie ihren Vorgesetzten unbewußt als eine Art übermächtige Vaterfigur empfinden. Vor allem dann, wenn sie selbst in ihrer Kindheit kaum Selbstvertrauen und gesundes Selbstbewußtsein entwickelt haben. Dabei kann die Enttäuschung über mangelnde Anerkennung natürlich auch nicht ausbleiben und ebenfalls zu psychosomatischen Erkrankungen führen.

Um einen praktikablen Ausweg aus dieser Sackgasse zu finden, arbeiten heute Forscher in aller Welt an Projekten und Konzepten, die auf eine Vermenschlichung der Arbeitswelt abzielen, an Verbesserungen sowohl im technischen Bereich als auch an einer neuen Unternehmens-phüosophie.

In Österreich wurde 1978 ein auf fünf Jahre geplantes Projekt gestartet, das unter dem Titel „Arbeitsorganisation - menschengerechte Arbeitswelt“ steht und für das der Fonds zur Förderung der wissenschaftlichen Forschung vorerst einmal 18 Millionen Schilling bewilligt hat.

Ziel dieser Studie ist es, wie der Projektleiter Univ.-Prof. Franz Woja (Arbeitswissenschaftliches Institut der Technischen Universität Wien) dazu erklärt, „nach umfangreichen Erhebungen in allen österreichischen Betrieben einerseits die derzeitige Situation zu verbessern und an-

derseits humane Unternehmenskonzepte und Managementmodelle für die Zukunft zu erarbeiten. Schließlich kommt es nicht so sehr darauf an, daß sich der Mensch den Arbeitsabläufen anpaßt, sondern daß Produktionsverfahren, wo immer es geht, auf die allgemeinen Bedürfnisse der Menschen abgestimmt werden“.

An diesem Projekt arbeitet ein Team aus Arbeitswissenschaftlern, Psychologen, Betriebswirten, Industriebauern und Designern. Die entwickelten Modelle sollen in einem späteren Stadium der Arbeit in einigen ausgewählten Betrieben auch in der Praxis getestet werden.

Unabhängig davon haben aber schon einige kleinere Betriebe diesen neuen Entwicklungen oder Forderungen Rechnung getragen und sich von einem autoritären auf einen kooperativen Unternehmensstil umgestellt. So bemühen sich etwa immer mehr Unternehmen bei der Planung neuer Verwaltungszentren, die Wünsche und Vorschläge der Mitarbeiter zu berücksichtigen und lassen sie, wo dies möglich ist, etwa die Büromöbel selbst aussuchen. Gelegentlich können die Angestellten aber auch schon darüber abstimmen, welche Art von Büro überhaupt gebaut werden soll.

Ein Mittelbetrieb mit 1230 Arbeitnehmern in Wien ist sogar, nach Auskunft von Hans Schramhauser, des Leiters des Referates für Arbeitstechnik in der Arbeiterkammer Wien, schon dazu übergegangen, seine Fertigung in Arbeitsgruppen aufzugliedern. Diese Teams bestehen aus je-weüs fünf bis acht Mitarbeitern, die gemeinsam ein Produkt - Registrierkassen - herstellen. Bei größeren Werkstücken, etwa Rolltreppen, arbeiten mehrere solcher Teams zusammen und entscheiden zum Teil selbständig, zum Teil in Gesprächen mit den Werkmeistern und der Betriebsführung, über den weiteren Arbeitsablauf in der Produktion.

„Diese Arbeitsweise hebt natürlich nicht nur das Selbstbewußtsein des einzelnen, sie fördert auch die Verbundenheit mit dem .eigenen' Betrieb und seinen Leistungen. Dadurch wird die Arbeit interessant und macht Freude“, betont Schramhauser.

Daß bei einer Neuorganisation der Produktion und bei einer grundsätzlichen Änderung der Beziehungen zwischen Mensch und Arbeitswelt den Betriebsärzten künftig viel mehr Bedeutung zukommt, wird von allen Seiten besonders betont.

Mehr Rechte für Betriebsärzte

Derzeit müssen erst Betriebe ab 650 Arbeitnehmern Betriebsärzte einstellen. Diese sind aber meist überfordert, weü sie einerseits ihre Funktion neben der eigenen Praxis erfüllen müssen, anderseits aber nur selten eine spezielle Ausbildung für diese Tätigkeit besitzen. Außerdem stehen diese Mediziner oft unter dem Druck der Betriebsleitung, die meist weniger an der Lösung von arbeitsinternen Problemen, als an möglichst wenig Krankenständen interessiert ist.

Zur Besserung dieser Situation hat Gesundheitsminister Ingrid Leodol-ter vorgeschlagen, die Betriebsärzte künftig aus einem eigenen Fonds zu bezahlen, um ihnen bei,ihrer Arbeit mehr Unabhängigkeit von der Werksleitung zu sichern. „Durch eine spezielle Ausbildung sollten diese Ärzte künftig in der Lage sein, psychosomatische Schäden schon frühzeitig zu erkennen und damit nicht nur zur Gesunderhaltung der Arbeitnehmer beitragen, sondern diese Alarmzeichen auch richtig bewerten zu können“, meint Prof. Ringel. „Diese Zusammenarbeit wäre ein besonders wichtiger Beitrag zu einer wirklichen Vermenschlichung der Arbeitswelt.“

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