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Mut- und einfallslos

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Österreichs Festspielsaison geht zu Ende. Festspielbuchhalter haben alle Hände voll zu tun, ihre Bilanzen vorzulegen, Rekorde zu melden, Pleiten diskret zu tarnen. Das vom Festspielfieber geschüttelte, von Völkerwanderungshorden des Tourismus überrannte Land schickt sich an, wieder auf Normalverbraucherkultur umzuschalten. Herbstmüdigkeit legt einen Schleier des Vergessens über die Nieten, die so manchem Festspielmanager Sorge bereiteten. Nur in Salzburg triumphiert man wieder.

Das Einspielergebnis ist da natürlich auch heuer wieder sensationell: Mehr als 60 Prozent der fast 220 Millionen Schilling Ausgaben haben die Festspiele durch Kartenverkauf hereingebracht. Nicht ohne Stolz ist wieder ein Besucherrekord von mehr als 150.000 bei den über 100 Festspielveranstaltungen zu vermelden. Und noch viel stolzer ist man auf die über 120 Millionen Schilling Einnahmen, die alles Bisherige in den Schatten stellen.

Auch zum heute so gängigen Thema „Öffnung der Festspiele" glaubt man mehr als genug getan zu haben. Tausende Karten und Einlaßscheine wurden für die General- und Hauptproben kostenlos ausgegeben. Was nicht mehr absetzbar war, wurde als Regiekarte um 50 Schilling auch noch verscherbelt. Dazu kamen noch über 500 Ubernahmen durch ausländische Rundfunkanstalten. Und ein Fest vor der Festspieleröffnung für die ganze Stadt!

Kein Zweifel: So gesehen, ist die Bilanz sensationell. Die Rekorde überpurzeln sich. Der Run auf Karten ist kaum noch aufzufangen. Jeder möchte mal... So viele haben noch nicht.. . Salzburg, die von allen Gesellschaftskritikern mit Beharrlichkeit geschmähte Festspielmutter, fasziniert nach wie vor.

Warum? Natürlich, weil ein Staraufgebot diese Festspiele prägt. Karajan, Böhm, Mehta, Abbado, Levine, Muti, Schenk, Ponelle und wie sie alle heißen, bis hin zu den Solisten und prominenten Orchestern.

Gerade angesichts solcher Bilanzen verstehe ich aber auch, daß man in Salzburg jede „kritische Anmerkung", ja sogar jede Warnung, daß es nicht immer so bleiben könnte, mit einer Handbewegung vom Tisch fegt. Und selbst das Argument der Zig- und Zigmillionen-Subventionen, die trotz des Einspielergebnisses alljährlich dennoch notwendig sind, scheint den Festspielvätern und -machern angesichts der vielzitierten vielstrapazierten Umwegrentabilität im Fremdenverkehr kaum der Rede wert. .

Eine Lapalie sozusagen. Da die Popularität der Festspiele schier grenzenlos scheint, konnten die Festspielgewaltigen ohne weiters darüber die Preise der teuersten Opernkarten auf 2000 Schilling hinaufsetzen. Aber ob es 1981 und 1982 dabei bleiben wird?

Was wird geschehen, wenn die Su-perzugpferde des Festivals, Karajan und Böhm, eines Tages nicht mehr dirigieren? Werden dann die jüngeren, ein Bernstein und Solti, und die nächste Generation Levine, Abbado, Muti usw., auch noch so ziehen? Und wird der Einfluß der Plattenfirmen dann noch fataler werden? Breit genug machen sie sich bereits jetzt in den Salzburger Festspielkonzerten...

Anders sieht es in Bregenz aus, das heuer nach jahrelangem Hin und Her endlich seine Betonwalhalla am Bodensee eröffnet hat. Da ist das Festival endgültig in die Krise geschlittert. Mürrisch sind die Geldgeber, seit der großen „Turandof'-Pleite des Vorjahrs. Ein 50-Millionen-Budget ist für die Jugend immer wieder ein Stein des Anstos-ses im sparsamen Ländle. Und vor allem Intendant Ernst Bär wird Konzept-losigkeit, falsche Finanzplanung und kein Riecher für die große Show vorgeworfen.

Kurz, der Bär wird gejagt. Und daß es sich dabei nicht um einfache Scharmützel handelt, beweist Landeshauptmann Kesslers Eingreifen - er forderte prompt einen Programmbeirat. Und der Bär, dessen Fell dabei fast auf den Markt getragen worden wäre, bestätigte sofort, daß er es in Hinkunft den Salzburger Festspiele gleichtun wolle: Supergastspiele und Weltstars sind seine Losung. Das das Budget bei 50 Millionen bleiben könnte, nimmt jetzt wohl niemand mehr an.

Ausweitung ist überall bei Österreichs Festspielen Slogan Nummer eins. Jeder träumt von Spitzenklasse, ersten Künstlern, Stars, großen Namen - von Salzburg bis zum Carinthischen Sommer, von Mörbisch bis Bregenz und ebenso die Kleinen, die aus Leibeskräften festspielenden Gemeinden Porcia, Stockerau, Hainburg, Carnuntum usw. Jeder will mehr Subventionen -für im Grunde kaum kreative, eigenschöpferische Leistungen.

Was die meisten bieten, ist - pauschal gesagt - mut- und einfallslos. Wer beauftragt schon einen jungen Autor, für seine Festspiele ein dem Rahmen entsprechendes Stück zu schreiben, wie das einst in Salzburg geschah? Wer läßt sich eine neue Oper schreiben (am ehesten noch Salzburg)? Wer wagt sich an neue Theaterformen und an die Arbeit mit jungen, unkonventionellen Ensembles?

Was ist die Eigenart des Festspielortes und was bedeutet der Ort für das Festspielkonzert? Das fragt sich kaum noch einer. Gibt es überhaupt noch eine Dramaturgie des Festspielortes? Ich zweifle. Und wer macht sich noch Gedanken, Unverwechselbares zu präsentieren?

Noch schlimmer ist die Routine des Konzertbetriebs, mit dem man das Publikum etwa in Salzburg oder Bregenz verwöhnt. Festlich ist an vielen dieser Konzerte nur der Ort der Aufführung. Der Rest ist allzu oft Wiener Alltag, Betriebsamkeit von Abonnementkonzerten, Gängiges, das sich ohnedies todsicher verkauft.

Gefragt ist Programmierung auf Nummer sicher. Mangel an Courage, und oft genug auch an Geschmack und Mut, wie ein Max Reinhardt, ein Richard Strauß oder Hofmannsthal sie hatten, prägen die Szene. Was sich in ganz Österreich, landauf, landab, immer mehr bemerkbar macht, ist eine Erstarrung im Klischee. Reproduzierende Kunst, die sich leicht verkauft, hat Vorrang. Kreatives wird mehr und mehr negiert, weil man kaum Mut zum Neuen hat.

Kann es den Festspielen in Salzburg, Bregenz, Ossiach, Porcia oder sonstwo tatsächlich egal sein, mit ihren Produktionen mit einer alltäglichen Saison irgendwo verwechselt zu werden?

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