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Digital In Arbeit

Mut zu neuem Arbeitsethos

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Wir brauchen ein neues Arbeitsethos, die Verankerung des Bewußtseins, daß einerden anderen braucht. Wir werden auf die Dauer nicht damit rechnen können, daß Jugoslawen, Türken, Koreaner und Filipinos die Straßen kehren, die Leibschüsseln in den Spitälern reinigen …

„Arbeit macht frei.“ Inschrift auf dem Lagertor eines KZ

„Arbeit adelt - wir bleiben bürgerlich.“ neuzeitliche „Volksweisheit“

„Das Leben beginnt nach 17 Uhr.“

Schriftsteller Fritz Habek

Was bedeutet Arbeit in einer zunehmend permissiver werdenden Gesellschaft, in der Liedermacher verkünden: „Arbeit ist Mord“, in der jeder einzelne, keineswegs nur ein „reaktionärer“ Unternehmer, über Fälle beispielloser Schlamperei und pleichgültigkeit klagt, in der eine optimale Krankenversorgung am Wochenende oder gar zu großen Feiertagen nicht mehr gesichert ist, in der der Absentismus um sich greift und die Krankenstände Rekordhöhen annehmen?

Gleichzeitig wächst das Ausmaß der Schwarzarbeit, wenngleich wir in Österreich noch nicht so weit sind wie in anderen Ländern, in der die „Mondscheinwirtschaft“ schon einen beträchtlichen Teil zum Sozialprodukt beisteuert.

Aber auch bei uns ist ein großer Teil von Professionistenarbeiten nur mehr dank Einsatz von Pfuschern gewährleistet. Der gleiche Werktätige, der über den „Streß“ am Arbeitsplatz klagt, findet nichts daran, am Wochenende seine Kraft als „Häuselbauer“ einzusetzen (also für ein nützliches Ziel) oder sie - sinnlos - in lebensgefährdender Autoraserei vergeudet.

Im gleichen Atemzug aber phantasiert ein profilierungssüchtiger, sich selbst isolierender Sozialminister, einer tibetanischen Gebetsmühle vergleichbar, von Arbeitszeitverkürzung.

Es wird darum Zeit, eine neue Analyse des Begriffes „Arbeit" vorzunehmen, auch das Arbeitsethos in neue Zu-

Das Leben beginnt um 17 Uhr?

sammenhänge zu stellen, man könnte auch sagen, es wieder mit alten, leider oft über Bord geworfenen Wertvorstellungen zu verbinden.

An der Spitze muß die Erkenntnis stehen, daß die Arbeit am Arbeitsplatz für viele zwar nicht mehr Plage bedeutet, doch immer weniger sinnerfüllt empfunden wird. Das liegt an der Entwicklung der Produktionsweise in den letzten Jahrzehnten, ebenso wie daran, daß eine in ihren Auswirkungen oft schon kriminell zu nennende Bildungspolitik die Schere zwischen Anspruch und Erwartung auf der einen und der wirtschaftlichen und beruflichen Realität auf der anderen Seite immer mehr erweitert.

Die Zahl jener, für die Arbeit zugleich Lebensfreude und Lebensinhalt bedeutet, wird geringer. (Dies bezieht sich nicht auf die „workaholics“, also die Arbeitsfanatiker um jeden Preis, die damit meist innere Leere kompensieren.)

Also ist „Aussteigen“, „Mit der Seele baumeln“ die Antwort? Jeder zweite ein „Grüner“, der auf der Weide (wo ist sie noch unzerstört?) die Lämm- lein hütet und seine Selbstversorgungswirtschaft betreibt?

Dazu eine grundsätzliche Bemerkung: Das Gerede von der „Selbstverwirklichung“, auf die der einzelne Anspruch hat, wird nachgerade schon bedrohlich.

Im Grunde ist es nämlich ein einziger Aufruf zur Erreichung persönlichen

Glücksgefiihls auf Kosten aller anderen, eine Absage an die - bis zum Überdruß strapazierte - Solidarität; wo bleibt das beschworene Gemeinschaftsgefühl, die Humanität, wenn in einer immer mehr auf Zusammenwirken und Interdependenz angewiesenen Gesellschaft immer mehr Menschen sich dem Sozialparasitismus hingeben, nämlich alle Gemeinschaftsleistungen als selbst

verständlich beanspruchen, aber selbst keinen Beitrag zur Gemeinschaft leisten wollen?

Und doch brauchen wir ein neues Arbeitsethos. Man habe endlich den Mut, „den Menschen“, wie es heute heißt, schonungslos klarzumachen, daß in einer Weltwirtschaft, in der der Wettbewerbswind immer schärfer bläst, die Chance nicht in einer Freizeitgesellschaft liegt, sondern nur in harter (heißt natürlich nicht: körperlich harter) Arbeit auf höchster Qualifikationsstufe.

Es heißt weiter, daß wir, wenn wir den hohen sozial^ Standard halten, besser: wenn wir eine wirklich „soziale“ und nicht nur pseudosoziale Gemeinschaft wollen, immer mehr Menschen brauchen, die bereit sind, für andere „Dienste zu leisten“.

-Man denke allein an die Probleme der vielen alten Menschen oder der dank der Fortschritte der Medizin größer werdenden Zahl von lebensfähigen körperlich und geistig Behinderten, die ihr Leben allein nicht gestalten können.

Daraus folgt:

I. Eine positive Einstellung zur Arbeit kann und muß dem einzelnen durch eine Vielzahl von Maßnahmen der Arbeitsorganisation, der Ergonomie, der innerbetrieblichen Information, des Führungsstils, der Bildungspolitik in den Unternehmen vermittelt werden.

„Humanisierung“ wird somit auch eine Aufgabe des schöpferischen Unternehmers, der dazu die Initiative ergreift und nicht erst der auf die unter diesem Titel segelnden Beglückungsrezepte von „Sozial“-Politikern und An- gehörigen.der „Neuen Klasse“ wartet.

2. Eine realistische Umorientierung der Bildungspolitik tut not. An einem Beispiel: Der tüchtige Handwerker ist mit Sicherheit glücklicher und zufriedener als der frustrierte Jungakademiker.

3. Grundlage für dieses neue Arbeitsethos, das man praktizieren, aber nicht mit Pathos, damit also unaufrichtig hinaufstilisieren sollte, ist die Renaissance eines Gemeinschaftsgefühls, die Verankerung des Bewußtseins, daß wir alle zunehmend aufeinander angewiesen sind, daß einer den anderen braucht, daß die vielzitiertc „Lebensqualität“ nicht nur eine Sache von guter Luft, reinem Wasser, unzerstörter Natur ist, sondern daß sie auch davon abhängt, daß man dank der Dienstbereit-

schaft anderer (und natürlich der eigenen) Komfort genießen und Sicherheit für den Fall von Krankheit, Behinderung oder Alter haben kann.

Mit anderen Worten: Wir werden auf die Dauer nicht damit rechnen können, daß Jugoslawen, Türken, Koreaner und Filipinos die Straßen kehren, die Leibschüsseln in den Spitälern reinigen und die persönlichsten Handreichungen an Alten, Behinderten und Kranken vornehmen.

Es wäre gut, wenn die Publizisten, die Liedermacher und die selbsternannten Apostel einer verlogenen „Humanität“ dies bedenken und auch laut verkünden würden.

Der Autor ist Generalsekretär der Vereinigung österreichischer Industrieller.

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