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Mut zur eigenen Courage!

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Schon hat es so ausgesehen, als würde der Ernst der Situation diesmal zu Wegen zwingen, die von einsichtigen Realisten in der Vergangenheit immer wieder verlangt, von den Politikern jedoch als angeblich unsozial abgelehnt worden sind.

Ein unwiderlegbares Argument schien die Wende gebracht zu haben: Die finanzielle Krise des Wohlfahrtsstaates hat auch die Krankenvorsorge im allgemeinen und die Krankenan- staltenfinanzierung im ganz besonderen erreicht. Nach einem Anstieg des Betriebsaufwandes der Spitäler von 2,5 Milliarden Schilling (1960) auf nicht weniger als rund 15 Milliarden Schilling (1975) muß für das Jahr 1976 mit einem Defizit der Krankenanstalten von über 4 Milliarden Schilling gerechnet werden. Aber auch die Krankenkassen gaben plötzlich Anlaß zur akuten Sorge: nachdem die österreichische Krankenversicherung in ihrer Gesamtheit stets positive Gebarungserfolge aufgewiesen hatte, sind im Jahre 1975 plötzlich sämtliche Zweige in die roten Ziffern gekommen. Der Gesamtabgang betrug 560 Millionen Schilling - bei einem Anstieg der Ausgaben von 13,2 Milliarden Schilling (1971) auf 23,4 Milliarden Schilling (1975) - und für das Jahr 1976 wird mit einem Gebarungsabgang von mehr als einer Milliarde Schilling gerechnet. Global gesehen, wird dieser Abgahg im Jahre 1976 noch durch vorhandene Reserven zur Gänze gedeckt werden können, einzelnen Krankenversicherungsträgern muß jedoch bereits aus den Mitteln des Ausgleichsfonds geholfen werden. Bei den meisten wird damit die finanzielle Substanz entweder zur Gänze oder doch nahezu zur Gänze verbraucht sein.

Also wohl ein ausreichender Anlaß, die Weichen von Grund auf neu zu stellen. Angesichts der hohen Belastung durch unser Sozialsystem begann man zum ersten Mal, von der Kostenseite her zu denken, ehe man an neue Einnahmen denken wollte, um endlich das nachzuholen, was seitens des Gesundheitsressorts längst schon hätte geschehen müssen! Noch in seiner Funktion als Präsident des Hauptverbandes der österreichischen Sozialversicherungsträger hatte der heutige Sozialminister die „Stunde Null der Krankenversicherung” ausgerufen und die Erkenntnis der Krankenversicherungsenquete des Sozialministeriums des Jahres 1971 in Erinnerung gerufen, daß eine Sanierung der Krankenkassen ohne Lösung der Krankenhausfinanzierung unmöglich ist. Der Ruf nach einer angemessenen Selbstbeteiligung wurde da und dort laut als ein ein mit der Berücksichtigung echter sozialer Riskenfalle (wie etwa von schweren Krankheitsfällen, Dauerkranken, besonders niedrigen Einkommensgruppen) durchaus vereinbarer Weg.

Die Selbstbeteiligung, die dem System durchaus nicht fremd ist, kann in Form einer Erhöhung der Rezeptgebühr verstärkt werden. Die Wiedereinführung einer bescheidenen Gebühr für den Krankenschein wird niemanden vom Arztbesuch abhalten, wohl aber die automatische Krankenscheinübertragung reduzieren. Ein Verpflegsbeitrag für die Inanspruchnahme eines Spitalsbettes wird das Interesse des Patienten und seiner Angehörigen an einer kürzeren Verweildauer verstärken. Die Streichung der Bagatellfälle würde dem erreichten Wohlstandsniveau Rechnung tragen und dem unsinnigen Medikamenten- horten auf Kassenkosten ein Ende setzen. Das Problem ist nicht, ob der Staat als Bund, Länder oder Gemeinden zahlen soll, sondern welche Eigenleistung dem Wohlstandsbürger heute zugemutet werden kann, wenn der Wohlfahrtsstaat nicht noch mehr in einen totalen Versorgungsstaat ausarten soll! Fachleute sind der Meinung, daß mit der Realisierung solcher Vorschläge, einschließlich der Streichung einzelner überholter Leistungen, nicht nur die zur Krankenkassensanierung notwendigen Mittel, sondern auch der Weg gefunden wäre, der zur Lösung der Spitalsfinanzierung wesentlich beitragen könnte.

Das „gute alte Subsidiaritätsprinzip” (so Abgeordneter Kohlmaier) besagt, daß dem Menschen nicht entzogen werden darf, was von den einzelnen mit eigener Kraft und durch eigene Tätigkeit geleistet werden kann.

Die realistische Grundwahrheit dieses „hochbedeutsamen Grundsatzes der Sozialphilosophie” (Quadrage- simo Anno 1931) zeigt sich gerade bei der Problemstellung der Krankenversicherung besonders deutlich. Eine Ursache des Debakels der Gesundheitspolitik liegt darin, daß der Markt weitgehend außer Kraft gesetzt wurde. Der Preis hat nicht nur die Aufgabe, Knappheitsverhältnisse zu signalisieren und damit das Angebot zu stimulieren, sondern auch zum Haushalten zu nötigen. Das kann in der Krankenversicherung geschehen, wenn die Sozialleistung wieder mit einer Eigenleistung in Zusammenhang gebracht wird, die gering genug sein muß, um nicht prohibitiv und damit gesundheitsschädlich zu wirken.

Der Mut zur Courage würde sich bezahlt machen und vom Versicherten auch verstanden werden.

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