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Mut zur Wirklichkeit

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Vor wenigen Tagen meinte der amerikanische Finanzminister William Simon in einem Interview, daß die Geschichte übersät sei mit Trümmern politischer Systeme, die an der Inflation gescheitert sind. Nun glaubt er in der Öffentlichkeit in allen demokratischen Staaten ein verstärktes Bewußtsein für die Gefahren der Inflation zu erkennen. Inflation, so meinte er weiter, wird sich sehr wohl als das wirtschaftliche Problem unserer Zeit erweisen, so wie es die große Depression das Wirtschaftsproblem der dreißiger Jahre — mit allen politischen Folgen — war.

In der Politik, so sagt man und so beweist es auch die Geschichte jedenfalls der letzten Jahre, zählen Appelle an die Opferbereitschaft der regierten und meist verführten Wähler wenig. Nur in außergewöhnlichen Phasen wird derlei honoriert, sonst freilich dominieren Illusionen die Handlungen der Politiker und das Wahlverhalten der Stimmbürger.

In dieser Zeit präsentiert die oppositionelle ÖVP ihren „Plan 3”, mit dem sie „die Wirtschaft wieder in Ordnung bringen” will. Nur wenige Wochen früher hätte die Präsentation dieses Austerity-Programms Unmut ausgelöst. Heute ist das anders: die Inflationsrate hält sich hartnäckig an der 10-Prozent- Schwelle, die Sorgen der Exportland Fremdenverkehrswirtschaft können nicht mehr als bloße Raunzerei weggefegt werden, die Bau- und Holzarbeitergewerkschaft de-

monstriert verbal gegen einen sozialistischen Bautenminister, zwischen Jänner und September 1974 nahmen gegenüber der Vergleichsperiode des Vorjahres die Konkurse und Ausgleiche um 40 Prozent zu. In dieser unruhigen und unsicheren Zeit alles und alles zugleich zu versprechen, hätte total fehlschlagen müssen.

Nun zählt die Fähigkeit zu phantasievollen Versprechen sicherlich nicht zu den hervorragendsten Eigenschaften der Volkspartei. Große sozialpolitische Zugeständnisse hat sie sich in der Vergangenheit eher abgerungen als selbst entworfen. Das machte ihre Politik in den Perioden der wirtschaftlichen Stabilität und der ständigen Wohlstands- Steigerung manchmal auch ein wenig unattraktiv, in problemgeladenen Zeiten (nicht nur nach dem Krieg) standen ihre Programme dagegen hoch im Kurs.

Ursprünglich war die Präsentation des VP-Wirtschaftsplans zu einem früheren Zeitpunkt geplant. Wahrscheinlich hätte der „Plan 3” damals nicht wesentlich anders ausgesehen als heute. Deshalb wäre er auch durchgefallen. Zufall oder geschickte Regie, der VP-Wirtschaftsplan erblickte Anfang Oktober 1974 das Licht der Welt, allein daraus bezieht er einen Gutteil seiner Pluspunkte.

Denn — aus ökonomischer Sicht: sensationell ist an diesem Plan wirklich nichts. Im Gegenteil: er ist äußerst konventionell, sowohl im analytischen als auch im programmatischen Teil. Gar nichts steht darin, was nicht schon anderswo auch gestanden wäre, nirgendwo werden geltende Grundsätze umgestoßen, nur ein paar Schlagworte verraten Sinn für das Geschmäcklerische. Die Forderung nach einem partiellen Rückzug des Staates aus der Wirtschaft gehört zur ÖVP wie der Glaube an die Allmacht und Güte des Staates zur SPÖ. Der Ruf nach Beamtenstopp und restriktiver Budgetpolitik ist deshalb nur logisch. Im einkommen- und vermögenspolitischen Teil des Wirtschaftsplans operiert die ÖVP, soweit die Diskriminierung bestimmter sozialer Gruppen und Berufe angesprochen wird, meist humanitärer als man es von sozialistischen Programmen gewohnt ist, jedoch keineswegs grundlegend anders als in politischen Programmen früherer Jahre. Man hat in der Einkommenstruktur gewisse Ungerechtigkeiten erkannt (soziale Berufe, Frauenarbeit usw.), daran will die ÖVP rühren, ein Rezept für sichere Einkommensteigerungen und ungewöhnlich hohe Vermögensrendite gibt es nicht (auch wenn die SPÖ das gelegentlich wahrmachen will), auch die ÖVP weiß keines anzubieten.

Wenn der Teufel im Detail steckt, dann ist die ÖVP mit ihrem Wirtschaftsprogramm diesem Teufel ausgewichen, indem die Details einfach übergangen wurden. Bloß wirtschaftspolitische Grundlinien wurden aufgezeigt und hier wirken auf den interessierten Leser nicht jede Linie für sich, sondern alle Linien zusammen. Und das gibt einen dik- ken Strich quer über die Wirtschaftspolitik der letzten Jahre; einer Wirtschaftspolitik, die darauf aus war, die Erfolge der Zukunft in der Gegenwart zu verteilen; einer Wirtschaftspolitik, die erst den Gag, dann lang nichts sah und zuletzt die Wirklichkeit als Gag diffamierte.

Die reine ökonomische Theorie, die Werbewissenschaft und die Futurologie müßten am „Plan 3” der ÖVP verzweifeln, so wenig Ansatzpunkte bietet er. Der (nicht nur politische) Wert dieses Programms liegt im Mut zur Wirklichkeit. Gleichwohl; was diesen Mut im Einzelnen diktiert hat, daraus zieht es seinen großen Nutzen. Wann in den letzten Jahren hat eine Partei — auch die Volkspartei — je verkündet, daß

Sparen erste Staatspflicht sei? Wann wurde, ohne Seitenblick auf die Wähler, mit „brutaler Offenheit” (Klubobmann Prof. Koren) von Stopps, bei den Beamten ebenso wie bei den Budgetausgaben, gesprochen? Wann hat je eine Partei (die ÖVP mit eingeschlossen) in den letzten Jahren das meist sektiererische Versprechen-Unwesen als das entlarvt, was es in der Tat ist: als Orientierungslichter auf dem Weg in den wirtschaftlichen Abgrund —?

In der Weltwirtschaft wehen die Fahnen auf Halbmast. In Österreich versucht eine Bundesregierung — Angst vor der Courage? — die Wirklichkeit zu verdrängen. Ein Bundeskanzler empfiehlt aus Energieersparnisgründen die Naßrasur. Herzma- novsky-Orlando durfte das alles nicht erleben, vielleicht findet sich einer aus der Gegenwartsliteratur, der daraus einen Roman macht. In fünfzig Jahren wird es dann heißen, er habe die Wirklichkeit verzeichnet, so irreal geh’t’s heute zu. Sich in dieser Zeit der Wirklichkeit zu verpflichten, schafft Anspruch darauf, diese (wirtschaftliche) Wirklichkeit in Erinnerung zu bringen und sie zu gestalten

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