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Mutterrecht zwischen Mythos und Biologie

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Die vier Autoren des Sammelwerks „Weib und Macht" sind Anthropologen, Prähistoriker, Linguisten und Soziobiologen. Es geht ihnen um den Nachweis, daß die männliche Vorherrschaft im Laufe der Weltgeschichte nur ein ganz kurzes Zwischenspiel darstellt. Wenn man sich die Millionen Jahre umfassende Evolution zum Homo sapiens als eine zwei Meter lange gerade Linie denke, dann umfasse das Zeitalter des „Patriarchats" bloß einen Millimeter. Ausdrücklich berufen sich die Verfasser, insbesondere Richard Fester, auf das 1860 erschienene Buch des Basler Rechtshistorikers und Mythenforschers J. J. Bachofen „Das Mutterrecht".

Der schweizerische Gelehrte, Schüler Savignys und Geistesverwandter der deutschen Romantiker Arndt, Görres sowie der Brüder Grimm, behauptet darin, daß die

Weltgeschichte sich in drei große Abschnitte gliedern lasse: hetärische Gynaikokratie - eheliche Gynaiko-kratie - Vaterrecht. Dieser Triade entsprechen die Symbole Erde (Sumpf), Mond und Sonne; in mythologischer Hinsicht die Götter: Aphrodite, Demeter und Apollo; in der Sprache philosophischer Begrifflichkeit die Kategorien: Materie, Seele und Geist.

Obwohl der erzkonservative Bachofen die Männerherrschaft als höchste Stufe der Kultur und das Christentum als Gipfelpunkt vaterrechtlichen Geistes ansah, so fühlte er sich doch von den archaischeren Stufen „mutterrechtlicher" Ordnung unwiderstehlich angezogen; man kann bei ihm geradezu von einem erotischen Verfallensein an die Dämmerwelt frühgeschichtlicher Zustände sprechen, die er unter dem Vorzeichen der „Großen Mutter" erblickte.

So unterschiedliche Geister wie Friedrich Engels, der Kampfgefährte von Marx, und der Philosoph Ludwig Klages haben sich auf Bachofen berufen; neuerdings wird er von den radikalen Feministinnen wieder entdeckt. Die Fachwissenschaften freilich, wie Völkerkunde, Rechtsgeschichte und Prähistorik, verhielten sich skeptisch bis ablehnend gegenüber der Mutterrechtstheorie. Steinmetz, der holländische Soziologe und Ethnologe, urteilte: „Das merkwürdige Werk ist originell, bahnbrechend sogar, schrecklich gelehrt, aber durchaus unwissenschaftlich", und der deutsche Anthropologe W. E. Mühlmann meinte: „An Bachofen ist nichts zu .retten'."

Gelingt es den Autoren des vorliegenden Buches „Weib und Macht", den Basler Geschichtsdenker zu rehabilitieren? Ja und nein. Die Belege, die sie vor allem aus dem Bereich der vergleichenden Sprachforschung und Vorgeschichte vorlegen, spre-

chen in der Tat für die soziale Überlegenheit der Frau in prähistorischen Zeiten. So versucht etwa Richard Fester, alle menschlichen Sprachen auf einen gemeinsamen Urwortschatz zurückzuführen, der überwiegend Ausdrücke mit weiblicher Bedeutung umfaßt.

Die Höhlenforscherin Marie E. P. König rekonstruiert auf Grund genauer Kenntnis der Eiszeitmalereien in Lascau und anderer Funde den Umriß einer „Urreligion", in deren Mittelpunkt kein Vater-Gott stand, sondern die mit dem Mond gleichgesetzte „Große Mutter". Und Doris F. Jonas, eine britische Anthropologin, legt auf rund vierzig Seiten die biologischen Umstände frei, die zu der Vorherrschaft der Frau bis an die Schwelle der ersten Hochkulturen beigetragen haben sollen.

Die Einsichten, die hier ausgebreitet werden, sind faszinierend; und

auch dort, wo letzte Zweifel bestehen, muß man zumindest zugeben, daß der Band jedenfalls eine Reihe schlüssiger Vermutungen enthält, die zu weiterer Forschungsarbeit anregen. Die Zweifel, Einwände und Bedenken mögen verschiedenes Gewicht haben; doch scheinen sie mir schwerwiegend genug, um zu einer gewissen Vorsicht gegenüber den Thesen des Buches zu berechtigen.

Einmal bleibt, wie schon bei Bachofen und anderen Mutterrecht-Theoretikern, in hohem Maße unklar, wovon überhaupt die Rede ist und was eigentlich bewiesen werden soll. Bedeutet „Mutterrecht" bloß ein System verwandtschaftlicher Zuordnung nach der mütterlichen Seite („Matrilinearität") oder die (bei einigen „Naturvölkern" noch verbreitete) Sitte, daß der Mann nach der Eheschließung in die Sippe Seiner Frau überwechselt („Matrilokalität")?

Meint man damit „Matriarchat", also Herrschaft der Mutter, oder gar „Gynaikokratie", wörtlich Frauenherrschaft?

Soll nur ganz allgemein damit ausgedrückt werden, daß in manchen Kulturen und Zeitaltern der Frau in bestimmten Bereichen, etwa der Religion oder Dichtung, ein hoher Rang verliehen wurde?

Oder haben wir es schon mit einem „Matriarchat" zu tun, wenn eine Dynastie sich für das Prinzip der Erstgeburt entscheidet oder irgendein schwächlicher Herrscher von seiner Mutter, Gattin oder Mätresse faktisch entmachtet wird? Sind Kleopatra, Livia, Maria Theresia, die Zarin Katharina II. oder Margaret Thatcher als Repräsentanten des gynaikokrati-schen Prinzips anzusprechen?

Hinzu kommt die immer wieder zu beobachtende Tatsache, daß noch so evident scheinende Symbole, Mythen und verwandte kulturellei Hervorbringungen keineswegs als Spiegelbilder der tatsächlichen gesell-

schaftlichen Verhältnisse angesehen werden dürfen. So hat mich einst die Entdeckung sehr erschüttert, daß im christlichen Mittelalter ausgerechnet die Schäfer und Hirten zu den verfemten, den „unehrlichen" Berufen gezählt wurden, und dies ungeachtet der erhabenen Rolle, die die Bilder von Lamm, Hirte und Weide in der Bibel spielen.

Ein anderes und näherliegendes Beispiel: daß die katholische Kirche die Mutter Jesu als Königin der Engel verehrt und ihr sogar den einmaligen Vorzug zuerkennt, leiblich in den Himmel aufgenommen worden zu sein, ändert nichts an dem extrem männerherrschaftlich ausgerichteten Charakter dieser religiösen Institution. Ein Zusammenhang des Madonnenkults mit irgendwelchen mutterrechtlichen oder gar gynaiko-kratischen Strukturen läßt sich nicht nachweisen, dasselbe gilt für die im

Hinduismus und Tantrismus hoch- I verehrte Gottesmutter Shakti.

Diese Bedenken zusammenfas- : send, kann man vielleicht nicht ganz I unzutreffend vom „Argument der i Komplexität" sprechen. Gemeint ist . damit, daß die Wirklichkeit immer verwickelter, vielstufiger und mehrdimensionaler ist, als es den An- I schein hat; daß, um zum Thema I „Weib und Macht" zurückzukommen, mütterliche Abstammungszurechnung, Vererbung von Namen, Titel und Eigentum in der Mutterlinie, Wohnsitz des Mannes im Heimatort der Frau, religiöse Verehrung von , weiblichen Gottheiten, kultureller, erzieherischer und wirtschaftlicher Einfluß der Frau, Matriarchat und Gynaikokratie weitgehend vonein- | ander unabhängige Variable sind.

Das Feld, das noch untersucht werden muß, ist überaus weit, und 1 die Koordinierung der Ergebnisse I der verschiedenen Disziplinen (So-ziobiologie, Ethnologie, Verhaltensforschung, Tiefenpsychologie, Reli- 1 gionsgeschichte, Archäologie usw.) bleibt ein Desiderat. „Weib und Macht" wird gewiß nicht das letzte Wort zu diesem großen Thema sein, doch es ist ein sympathisches Buch, Weil es weitgehend der Versuchung 1 widersteht, vorgeschichtliche Lebensformen zu idealisieren, und darauf verzichtet, bestimmte sozial- oder geistespolitische Zielsetzungen (sei- . en diese nun feministisch oder patriarchalisch) aus historischen Rekonstruktionsversuchen abzuleiten.

Der Verfasser ist Herausgeber der I Reihe „Initiative" des Herder-Verla-ges.)

WEIB UND MACHT. Fünf Millionen Jahre Urgeschichte der Frau, Von Richard Fester, Marie E. P. König, \ Doris Jonas und A. David Jonas. S. Fischer Verlag, Frankfurt am Main 1979, 256 Seiten, 24 Abbildungen, \ öS 218,40.

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