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Mynarek — ein Knallbonbon?

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Zum Glück gibt es in der katholischen Kirche offenbar doch hoch wirklich dynamische Kräfte, die für gesunde Belebung sorgen: Schon drohen die Holischen Schlagzeilen an journalistischer Bedeutung zu verlieren — merkwürdig, daß sie sich bisher keine andere zu verschaffen wußten; aber vielleicht ist gerade das symtomatisch —, schon muß man als Realist die Erkenntnis hinnehmen, daß auch Augstein, jedenfalls in Österreich, der „große Schlag“ nicht gelang — da artikuliert, sich doch gerade zur rechten Zeit ein „Dynamiker“: Dem Jungprotestier, ehemals Prodekan der Katholisch-Theologischen Fakultät Wien, Universitätsprofessor Dr. Hubert Mynarek, gelang es, seinen Austritt aus Kirche und Fakultät so spektakulär zu gestalten, daß damit ein „progressives Knallbonbon“ garantiert war.

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Zum Glück gibt es in der katholischen Kirche offenbar doch hoch wirklich dynamische Kräfte, die für gesunde Belebung sorgen: Schon drohen die Holischen Schlagzeilen an journalistischer Bedeutung zu verlieren — merkwürdig, daß sie sich bisher keine andere zu verschaffen wußten; aber vielleicht ist gerade das symtomatisch —, schon muß man als Realist die Erkenntnis hinnehmen, daß auch Augstein, jedenfalls in Österreich, der „große Schlag“ nicht gelang — da artikuliert, sich doch gerade zur rechten Zeit ein „Dynamiker“: Dem Jungprotestier, ehemals Prodekan der Katholisch-Theologischen Fakultät Wien, Universitätsprofessor Dr. Hubert Mynarek, gelang es, seinen Austritt aus Kirche und Fakultät so spektakulär zu gestalten, daß damit ein „progressives Knallbonbon“ garantiert war.

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Nun steht es ohne Zweifel jedermann zu, seine Überzeugungen zu variieren, ohne daß ihn irgend jemand zur Rechenschaft zu ziehen hätte. Wenn er sich jedoch selbst aus dem stillen Kämmerlein der Diskretion begeben hat, ist die öffentliche Meinung befugt, sich Klarheit zu verschaffen. Dies um so mehr dann, wenn der Versuch unternommen wird, eben diese Öffentlichkeit durch sein Verhalten zu beeinflussen — Traumziel aller „Progressisten“.

So verkrampft und exzentrisch, wie der Austritt — im wahrsten Sinne — „in Szene“ gesetzt wurde, war auch die persönliche Entwicklung Mynareks in den letzten Jahren (jedenfalls in den Augen seiner Kollegen im Lehrkörper). Wenn auch manche Theologen in den Jahren nach dem Konzil meinten, sich in den Vordergrund drängen zu müssen durch — gelinde gesagt — etwas extreme doktrinäre Ansichten und besondere Polemik (und sich solches auch im als konservativ bekannten Wien ereignen soll), hat der Neo-kIrenengründer Mvnarek (..habe die Absicht, einen .Bund freier Christen' zu gründen“ — wobei diese etwas phrasenhaft anmutende Formel theologisch wie philosophisch geradezu paradox klingt) eigentlich bis heute kein grundlegendes Dogma in Frage gestellt; seine Kritik gilt vielmehr dem Verwaltungsstil der katholischen Kirche: „Der Autoritaris-mus hat zugenommen und damit ist eine hoffnungslose Verkrustung und Mumifizierung ... der Kirche eingetreten. Man kann aus der Annahme eines ewigen Gottes keine Verewigung einer absolutistisch-monarchistisch verfaßten Kirche ableiten“ (offener Brief Mynareks). Daß Grundbegriffe der Staatslehre, wie „Absolutismus“ und „Monarchismus“, von einem Wissenschaftler (der sich immerhin einer nicht zu verkennenden Beliebtheit unter den Studenten erfreute — was eigentlich für ihn in gleicher Weise wie für eben diese Studenten spricht) derart trivial mißverstanden werden, nimmt allerdings Wunder: Denn die absolute Monarchie ist dadurch gekennzeichnet, daß der Monarch als konkrete physische Person einzige, weil höchste normsetzende Autorität ist und als solche die Möglichkeit hat, jede Entscheidung jederzeit an sich zu ziehen (vgl. Kelsen, Staatslehre). Dies ist aber weder die Theologie des Papsttums noch die Praxis, am wenigsten in der Weiterentwicklung des Konzils, auf dem sich jedenfalls klar gezeigt hat, daß der Papst nur gemeinsam mit dem Konzil (und damit der Kirche) letzte Entscheidungen trifft.

Damit ist nicht gesagt, daß alle Initiative vom Amt auszugehen hat, daß der „Laie“ (nicht der ist, der von nichts etwas versteht) nicht der passive Zuhörer des Amtsträgers zu sein hat — ja nicht einmal, daß nicht in konkreter Situation eine individuelle Gewissensentscheidung außerhalb der Lehrmeinung der Kirche etabliert werden muß. Aus solcher besonderer Situation (von der niemand sagen kann, ob sie jemals wirklich eintritt, noch wann sie je schon eingetreten ist) kann aber nicht die allgemeine Behauptung abgeleitet werden, das Selbstverständnis der Kirche sei falsch, weil autoritär (wobei wiederum ein Begriff einer beliebig wiederholbaren Form menschlicher Gemeinschaft auf die spezielle Form der Kirche übertragen wird, obgleich diese schlechthin unvergleichbar ist — jedenfalls für den, der sie wirklich als übernatürliche Einrichtung verstehen kann). Wer aber sich diesem Selbstverständnis nicht anschließen kann, wer sich selbst eben anders versteht, als die anderen Mitglieder der Gemeinschaft sich verstehen und verstehen wollen, der soll nüchtern und sachlich den Hut nehmen, aber nicht als offensichtlich Verständnisloser andere zu diesem „Unverständnis“ veranlassen — oder sie inkriminieren, weil sie sich und ihre Gemeinschaft eben anders verstehen.

Natürlich wäre es vordergründig, den Fall Mynarek bloß akademisch-theoretisch abtun zu wollen, ohne die existentielle Problematik eines konkreter! Menschen zu beachten — in einem Gewissenskonflikt, um den ihn niemand zu beneiden braucht. Als etwas verkrampfter und heftiger Charakter fand der Ausländer Mynarek nicht nur schwer zu Kontakten unter der Kollegenschaft — über Freunde würde man kaum in der Öffentlichkeit urteilen, „keinen einzigen Zölibatar gefunden zu haben, der mit dem Problem Frau wirklich zurechtgekommen ist“ (Offener Brief), sondern zur Wiener Gesellschaft überhaupt — deren Solipsismus geradezu schon zum Markenzeichen geworden zu sein scheint. Zu dieser menschlichen Vereinsamung kam noch eine' gewisse Verbitterung, weil seine Lehrtätigkeit auf Grund des neuen Studiengesetzes für katholische Theologie auf die Hälfte reduziert worden war, die Suche nach weiteren Lehrverpflichtungen jedoch ergebnislos verlief. Scheinbar gelang auch die Kompensation in seelsorglicher Tätigkeit nicht ganz zufriedenstellend. Nach der Erfahrung der asketischen Tradition (die selbstverständlich nicht ohne weiteres auf jeden konkreten Fall angewendet werden muß) drängt zumindest eine derartige Verfassung zum Kontakt mit einer Frau. (Auf der Fakultät fielen jedenfalls die häufigen Urlaube auf.) „Ich weiß aber, wen ich wahrscheinlich heiraten würde, wenn ich einmal heiraten sollte“ (Mynarek). Selbstverständlich ist es möglich, daß bei einem bestimmt veranlagten Charakter „die seins- und erlebnismäßige Verbindung von Mann und Frau zu den unveräußerlichen und 'ursprünglichsten Rechten des Menschseins gehört“ (Mynarek), denen der individuelle einzelne Rechnung tragen muß; selbstverständlich kann manche kritische Überlegung an der Politik der Amtskirche in dieser Frage am Platze sein; diese persönliche oder theoretische Problematik jedoch zu einem Eklat gegen den Papst („Der Priester als Mensch mit seiner erotisch-sexuellen Problematik scheint Sie, Heiliger Vater, kaum interessiert zu haben“) und die weiland priesterlichen Amtskollegen zu mißbrauchen, heißt doch etwas übers Ziel schießen.

Bleibt noch die Frage nach der Zukunft: Auf Grund der Bestimmungen des österreichischen Konkordates (Art. 5 § 4 — selbst Kirchenrechtler plädierten für seine Änderung) muß man sich über die materielle Existenz keine Sorgen machen. Auf Grund des gleichen Konkordates steht es der Kirchenleitung allerdings zu, die „missio“ zu entziehen, womit eine weitere Lehrtätigkeit auf der Katholisch-Theologischen Fakultät unmöglich wird. Dieser Entzug der Lehrbefugnis ist wohl kaum eine Einschränkung der in der Verfassung garantierten Gewissensfreiheit, da das österreichische Konkordat doch wohl auf der Verfassung basiert und nur deren mögliche Interpretation ist. Ob auf der Philosophischen Fakultät eine Lehrkanzel frei ist, kann mit Recht bezweifelt werden. Vielleicht wäre es auch gar nicht opportun, jemanden Roligionsphilosophie dozieren zu lassen, der das „System“ der katholischen Kirche so grob mißverstand zu einer Zeit, da er ihr noch selbst angehörte.

Ob nicht vom Knallbonbon nach dem Knall nichts mehr übrigbleibt, ob nicht zum seelischen auch noch das geistige Ghetto kommt? Bleibt zu hoffen, daß die Mitwelt nicht noch einmal versagt.

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