6852901-1977_02_10.jpg
Digital In Arbeit

Mysterium Austriacum

Werbung
Werbung
Werbung

Professor Claudio Magris hat vor kurzem sein Buch „La lettera- türa austriaca e ii mito absbur- gico“, das vor zehn Jahren zugleich in deutscher und italienischer Sprache erschien, italienisch neu drucken lassen.

Ich protestiere, wenn in Frankreich und seinen Nachbarländern ein Rilke, ein Hofmannsthal, ein Kafka als „deutsche“ Schriftsteller genannt werden. Würde man es wagen, Maeterlink oder Ramuzals „Franzosen“ zu betrachten? Dasselbe gilt, trotz der größeren Einheit des deutschen Sprachgebietes, für die österreichischen Autoren, deren literarische Selbständigkeit nicht nur anerkannt, sondern auch betont werden soll. Mit ausgezeichneter Kenntnis tut es Professor Magris.

In erster Linie scheint mir die Einheit der „Letteratura austriaca“ in der auffallenden Musikalität ihrer Meisterwerke zu bestehen. War dieser Zug nicht schon in Walther von der Vogelweide, dessen Name wie ein Programm klingt, spürbar? Wenn wir Beispiele in den nächsten Jahrhunderten wählen - hat Franz Werfel nicht das „Lied der Bernadette“ geschrieben? Das konnte nur ein Österreicher. Wer hätte sonst im banalen Leben der Heldin von Lourdes so viel Musik gehört? Erst mit dem Prager hat sich die Kunst mit der kunstlosen Religiosität Frankreichs am Ende des 19. Jahrhunderts so glänzend versöhnt.

Steht bei Grillparzer, trotz der un- gemein dramatischen, mitunter kaum erträglichen Spannung seiner Tragödien, die architektonische Harmonie der Kaiserstadt nicht immer im Hintergrund?

In Griechenland hat der klassische, fast geometrische Charakter der Landschaft das philosophische, ästhetische, auch wissenschaftliche Denken der Hellenen tief beeinflußt. Psychologisch wirkt auch die Landschaft erzieherisch. Ist nicht das Schöne die Flamme, an der sich ästhetisches Gefühl, Geschmack, Sinn für Musik entzünden?

Vergleicht man Grillparzers Böhmen mit dem Schillerschen, so fühlt man sofort, wie der Wiener Zeit, Raum und ästhetisches Moment in der Geschichte anders empfängt als der Deutsche. Wallensteins Land ist nüchternes Schlachtfeld, politisch äußerst wichtige Provinz Europas, während Rudolfs Prag voll von Geheimnissen und Zauber erscheint. Befragen beide Helden mit gleichem Eifer den Ster- nenlauf, so sprechen sie davon in ganz verschiedener Weise. Im „Goldenen Vlies“ fließt mit demselben Reiz das Gold der klassischen Melodie. Im Dichter schwingt etwas von Mozart mit.

In Georg Trakl gibt es nur Musik. Die Wörter singen, die Bilder klingen. In seinem Gedicht über Grodek, wo das Grausame der Schlacht dem Salzburger unerträglich wurde, bleibt ein Schwanengesang hörbar.

Bei Musil ist alles Satzklang, Wörtersymphonie, wie bei Joyce, bei Biely, bei Proust. Der Österreicher ist ebenso wie der Ire oder der Russe mehr als Architekt, Denker und Dichter, Komponist. Aber kein Schüler von Schönberg! Etwa in der kurzen Beschreibung Wiens vor der Katastrophe am Anfang des „Mannes ohne Eigenschaften“ - da wird, trotz aller Schwermut, das Gehör wie die anderen Sinne, bezaubert.

Die tiefere Originalität dieser Literatur liegt aber vor allem da, wo Professor Magris sie richtig feststellt: in ihrem übernationalen Charakter. Sie identifiziert sich mit dem ganzen Donauraum, mit Mitteleuropa weit über die Grenzen Kleinösterreichs hinaus; die sie dauernd überschreitet. Österreich ist ein Mysterium. Deswegen spricht Magris von Mythos.

Adalbert Stifter ist vor allem böhmisch, fühlt sich aber jn allen Habsburger-Erbländen wohl. Auch das Ün- garntum versteht er, wenn er „Brigitta“ schreibt. Maria von Ebner- Eschenbach, echte Mährerin, die das harte Leben der Galizier und die milderen Sitten ihrer gemütlichen Heimat zu beschreiben weiß, erscheint wie eine „grande dame“ in Schönbrunn. Mit Recht preist Magris diese Schriftstellerin von Format, die man in Frankreich kaum kennt.

Franz Kafka, der deutsch, tschechisch und hebräisch konnte, betete, wie sein Tagebuch uns wissen läßt, während des Ersten Weltkrieges für den Sieg der k. u. k. Armee. Er betrachtete das Nachbarland auch nach der Katastrophe, als er es Ausland nennen mußte, als seine Heimat. Dort starb er. Viele andere bedeutende Tschechen, Mährer, Slowaken, ob Katholiken oder Protestanten, wie Pa- lacky, Smetana, selbst Masaryk vor 1914, haben Österreich, das sie „Ra- kousko“ nannten, als ein Bruderland betrachtet. 1968 wurde dieses Gefühl in Prag wieder lebendig, wie es 1956 in Ungarn blühte.

Oder die typisch „österreich-ungarischen“ Großen: der Dichter-Bischof Ladislaus Pyrker, der die schöne neoklassische Kathedrale von Erlau (Eger) bauen ließ, Nikolaus Lenau, Franz Liszt. Ohne von Lehär zu sprechen! Wurde nicht, zwei Jahrhunderte vorher, Peter Pazmäny, der Meister der modernen ungarischen Sprache, ein Freund Österreichs, ein Stütz-’ punkt der Dynastie ebenso wie der Retter des Katholizismus im Reiche des heiligen Stefan? Auch unter den patriotisch gesinnten ungarischen Schriftstellern hat mehr als einer österreichfreundliche oder wenigstens der Dynastie treue Stellung bezogen.

Unter den Südslawen ragen vor allem der kroatische Dichter Peter von Preradovic hervor. Ein Freund von Solowiew war auch Bischof Georg-Jo- sef Strossmayer.

Für Böhmen hat schon im 15. Jahrhundert der Wiener Theologe und Historiker Thomas Ebendorfer (1388-1464) die Tragik des Hussiten- tums richtig gezeichnet. Sein Zeugnis über Johan von Pomuk (oder Nepomuk) hat für die wissenschaftliche Kenntnis dieser Zeit einen besonderen Wert. Er besuchte Prag in der ersten Hälfte des Jahrhunderts. Aus seinen Berichten erfahren wir viel über den Hus-Kult zu dieser Zeit. Was sagt österreichisches Schrifttum über die Luxemburger, die für das österreichisch-böhmische Zusammenleben so wichtig sind? Karl IV., Schwiegervater Rudolfs IV. von Österreich, hat vieles über Österreich zu sagen. Der Freund des Petrarca, der Gründer der Prager Universität, wo’Deutsche und Tschechen gemeinsam dozierten, war auch Mittelpunkt eines Kreises von Dichtern, die man in Wien hochschätzte.

Wenig später hat der Wiener Humanismus mit Celtes, Cuspinianus, Piccolomini im ganzen Donauraum seinen Einfluß ausgeübt. Rudolf II., der von Grillparzer so glänzend geschildert wird, war ein echter Prager. Er ruht noch heute im Dom auf dem Hra- ‘dschin.

Unter den Österreichern, die sich für das Slawentum begeistert haben, wäre der Steyrer von Gagern zu nennen, der nicht nur die Slowenen, sondern die Slawen überhaupt, hochschätzte, die seiner Meinung nach ein Ideal der brüderlichen Liebe, der Einfachheit, der Stüle verbreiten, dem faustischen Element im Germanentum ein glückliches Gegengewicht.

Die Geschichte ist ein Beweis dafür, daß die Donauvölker, voneinander getrennt, einander entbehren. Böhmen hat sich im Lauf der Jahrhunderte mit Polen, Schlesien, Ungarn, Tirol wie mit Österreich nicht nur im Zuge dynastischer Politik verbunden. Ungarn tat es mit Polen, Siebenbürgen, Böhmen, Kroatien, Neapel ebenso wie mit Österreich. Triest hat sich spontan unter den Schutz Wiens gestellt. Die Folge davon ist, daß man heute in jedem Land des Donauraums, Klein- Österreich eingeschlossen, Vertreter aller Völker des ganzen Gebietes findet.

Das „Mysterium Austriae“ hegt also vor allem darin, daß man im Donauraum zur evangelischen Auffassung der „Einheit in der Vielheit und Vielfältigkeit“ gezwungen ist. Den sich abschließenden Egoismen, den heidnischen Nationalismen muß entsagt werden.

Noch einen Zug Österreichs deutet Magris richtig: die Söhne des auserwählten Volkes haben stets eine besondere Rolle in seinem Geistesleben gespielt. Der Anteil jüdischer Intelligenz an der Blüte der Wissenschaft, der Kunst, der Literatur in Österreich ist im Westen nicht genug erkannt und geschätzt worden. Kein katholisches Volk hat so viel für die verfolgten Erben der zwölf Stämme Israels getan wie Österreich. Solowiew hoffte, daß Rußland mit seinen Katholiken in Polen und Litauen, wie mit der starken Minderheit von Juden die Versöhnung des Ostens mit dem Westen erreichen könnte. Sein Wunsch ist nicht in seiner Heimat, sondern in Österreich-Ungarn erfüllt worden. Deswegen oder, besser gesagt, dagegen ist das Phänomen Hitler entstanden. Das aristokratische Moment im jüdischen Wesen, dessen Existenz Marcel Proust so klar bewiesen hat und das sich auf die biblische Schätzung der Genealogien stützt, hat auch mitgewirkt, um Judentum und österreichertum in Einklang zu bringen.

Das „Mysterium Austriae“ (oder der „Mythos“, wenn man dem Worte denselben Sinn gibt) wirft auf die Literaturgeschichte des Landes an der Donau ein starkes Licht. In dieses Mysterium sind Selbständigkeit, Sinn für Katholizität, Harmonie und Musik eingeschlossen. Höher noch: Die „Pietas austriaca“ sagt das letzte Wort.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung