6908143-1980_51_06.jpg
Digital In Arbeit

Mythen und Märtyrer

19451960198020002020

Die A uslegung des britisch-irischen Gipfels von der vergangenen Woche ist in London und Dublin so verschieden wie Tag und Nacht: Während Irlands Premier Charles Haughey von einem „historischen Durchbruch" sprach, versuchte die britische Ministerpräsidentin Margaret Thatcher genau den entgegengesetzten Eindruck zu erwecken: Der Besuch sei nichts weiter gewesen als der übliche Kontakt mit einem EG-Partner.

19451960198020002020

Die A uslegung des britisch-irischen Gipfels von der vergangenen Woche ist in London und Dublin so verschieden wie Tag und Nacht: Während Irlands Premier Charles Haughey von einem „historischen Durchbruch" sprach, versuchte die britische Ministerpräsidentin Margaret Thatcher genau den entgegengesetzten Eindruck zu erwecken: Der Besuch sei nichts weiter gewesen als der übliche Kontakt mit einem EG-Partner.

Werbung
Werbung
Werbung

Beiläufig fügt die Premierministerin hinzu, es hätte auch noch andere Gründe für den Besuch gegeben: Sicherung der gemeinsamen Grenze, Absage an den Terror, Wahlrecht irischer Bürger in Großbritannien und britischer in der irischen Republik. Ansonsten aber nichts von besonderer Wichtigkeit, jedenfalls kein Grund, im Parlament eigens darüber zu berichten.

Auffallend nur, daß sich die Britin genötigt sieht, sogleich Ulster zu beruhigen: Nichts sei geschehen, was zu Befürchtungen Anlaß geben könnte, keine Rede von Konföderation. Nordirland bleibt Teil des Königreiches, mit ihm „vereint, vereint, vereint".

Jedes Zeichen, diesen Status der Provinz als Teil des Königreiches zu ändern, fährt den nordirischen Protestanten in die Glieder. Die Mehrheit der Bevölkerung will es so. Zumindest ist der protestantische Fanatiker Ian Paisley davon überzeugt, sonst würde er nicht vorschlagen, eine Volksabstimmung sollte über das Schicksal Nordirlands entscheiden.

Nicht unbedingt aus Loyalität ist die Klammer mit London geschaffen, wohl aber aus der Befürchtung, der protestantisch-schottische Charakter werde vom katholisch-irischen aus dem Süden überdeckt, verändert, gefährdet. Verei-/ nigung der beiden Teile Irlands, Revision der fatalen Trennung von 1921, Konföderation sind für Paisley und Co. ein heißes Thema, das nicht einmal diskutiert werden darf.

Der Norden braucht die Grenze, hinter welcher sich der Einfluß der Kirche auf Gebiete wie Scheidung, Geburtenkontrolle und Erziehung ausdehnt. Dem Süden ist dieselbe Grenze ein Dorn im Auge. Premier Haughey will die Wahlen im nächsten Jahr durch die Demonstration gewinnen, die irische Einheit vorbereitet zu haben.

Die Eiserne Lady wiederum ist bestrebt, jeden Eindruck zu verwischen, der aus dem Treffen im Dubliner Schloß einen Triumph für das Anliegen Haugheys konstruiert. Das würde die Ulster-Protestanten alarmieren, die ohnedies ein Techtelmechtel zwischen London und Dublin beargwöhnen.

Daraus ergibt sich ein Kontrast zwischen politischer Zielsetzung und Äußerung. Thatcher wäre nicht Thatcher, wollte sie sich in Geduld und Zufriedenheit mit den Gegebenheiten abfinden. Das hat sie schon im Falle Rhodesien vorexerziert.

Macht sich Thatcher auch in der irischen Problematik einen Standpunkt zu eigen, an den ihre Vorgänger nicht einmal zu denken wagten? Hat sie einen - freilich extrem langen - Weg im Visier, an dessen Ende ein institutionelles Rahmenwerk steht, in welchem Nord und Süd untergebracht werden können?

Es gibt guten Grund, das anzunehmen. Im selben Maß, als sich die Grenze lockert, verschwände die selbstgesetzte Berechtigung der IRA (Irisch Republikanische Armee), eine gegen London gerichtete Terrororganisation zu sein. Eine jahrzehntelange Geschichte von Terror und Gewalt könnte zu Ende gehen.

Um das Risiko zu vermeiden, die Protestanten in Ulster aufzuschrecken, muß Thatcher behutsam vorgehen. Gesetzlosigkeit kann schließlich nicht beseitigt werden, indem neue Gewalttaten, diesmal von der anderen Seite, provoziert werden. Ein kleiner Schock wird gleichwohl nicht zu vermeiden sein.

Wenn Paisleys militante Anhänger merken, daß London nicht mehr der altgewohnte verläßliche Stützpunkt ist, dann wäre das für sie der Anstoß, ihren Standpunkt neu zu überdenken. Letzten Endes waren sie es, die in der Vergangenheit jeden Versuch einer institutionellen Lösung blockiert haben.

Das auslösende Moment für die Be-' gegnung in Dublin war ein Ereignis, das die gegenwärtige Situation bis zum äußersten belastet: Der Hungerstreik von sieben ausgewählten IRA-Terroristen im Maze-Gefängnis von Belfast.

Hungerstreik ist eine alte Methode von republikanischen Gefangenen, deren Forderungen effektiven Nachdruck zu verleihen. Auch heute noch schafft der Tod durch Hunger, schon zu normannischen Zeiten angewendet, Mythen und Märtyrer.

1971 hat der jetzige Innenminister Whitelaw, dazumal für Nordirland zuständig, einer ähnlichen Situation nachgegeben, um Terrorakte zu vermeiden: Gefangenen IRA-Männern wurde der besondere Status eines politischen Häftling, zuerkannt. Das war ein Fehler, der sich nicht wiederholen durfte.

Drei Jahre später wurde von der Labour-Regierung ein Gesetz verabschiedet, das die Zuerkennung eines speziellen Status an Terroristen ausschließt. Gegenwärtig sitzen in nordirischen Gefängnissen 350 Gefangene, die sich seit 1972 besonderer Privilegien erfreuen.

Der Hungerstreik von sieben IRA-Terroristen - seit 1. Dezember von drei Frauen im Gefängnis von Armagh begleitet - setzt sich dasselbe Ziel: als politische Häftlinge Unterscheidung von gewöhnlichen Kriminellen.

Die Situation ist delikat. Der physische Zustand der Betroffenen, die nun schon gut fünfzig Tage ohne Nahrung sind, nähert sich dem kritischen Stadium. Mit jedem Tag ohne Abbruch des Streiks die Gefahr eines Ausbruchs der Emotionen.

Thatcher schlug bisher jedes Nachgeben unter dem Druck der Ereignisse überzeugend aus. Zwei Möglichkeiten bleiben, doch wie die Entscheidung auch ausfällt, in jedem Fall sind ernste Schwierigkeiten zu erwarten.

Bleibt Thatcher hart und unerbittlich bei der Weigerung, dann ist der Tod der Hungernden unvermeidlich und ebenso neue Terroraktionen in der Weihnachtszeit. Macht Thatcher Konzessionen, dann reden die Protestanten von Kapitulation vor Erpressern.

Ein Mittelweg bietet sich allerdings an, der schlimmstenfalls die Fanatiker in Ulster auf die Barrikaden bringt: Relativ geringe Konzessionen an die Streikenden, allerdings ohne diese von anderen Gefangenen abzuheben, das heißt: eine allgemeine Verbesserung der Situation in nordirischen Gefängnissen überhaupt, wozu eine liberale Gesetzgebung die Handhabe bietet.

Doch die Zeit drängt. Die labile Situation erlaubt keine Wartefrist.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung