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Mythos und Marketing

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Bevor es sie gibt, werden sie heiß diskutiert. Sind sie dann da, verstauben sie in den Schubladen: Die Parteiprogramme -noch fixer Bestandteil der „politischen Folklore”.

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Bevor es sie gibt, werden sie heiß diskutiert. Sind sie dann da, verstauben sie in den Schubladen: Die Parteiprogramme -noch fixer Bestandteil der „politischen Folklore”.

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Alle sprechen von Parteiprogrammen; wenige lesen sie; und niemand hält sich daran. Denn die Politik folgt anderen Regeln - gerade in der Demokratie neigen, durchaus verständlich, die Parteien dazu, ihre Programme nach der Meinung der für entscheidend gehaltenen Wählerschichten abzustimmen; also Programme als Mittel zum Zweck zu sehen. In der Demokratie wollen Parteien nicht Wahlen gewinnen, um ihre Programme durchzuführen -sie geben sich vielmehr Programme, um damit Wahlen zu gewinnen.

Doch diese logisch einsichtigen Zusammenhänge dürfen von den Parteien nicht eingestanden werden. Sie müssen der Öffentlichkeit und letztlich damit auch sich selbst etwas vormachen - etwa von der gewaltigen Theoriekraft ihrer programmatischen Aussagen; etwa von der intellektuellen Schärfe ihrer programmatischen Analysen; etwa von der Ernsthaftigkeit, mit der sie ihre Politik anhand ihrer eigenen Programmatik ständig kritisch überprüfen.

Angeblich war dies früher anders. Das stimmt - für die Erste Republik; zumindest für die Sozialdemokratie. Diese war, am besten ausgedrückt im Linzer Programm von 1926, eine theoretisch interessierte und orientierte Partei. Aber sie hatte es, paradoxerweise, auch relativ leicht. Denn sie war vom Regieren ausgeschlossen - und so konnte sie, ohne in die Gefahr zu kommen, beim programmatischen Wort genommen zu werden, großartig Programmdebatten führen. Die Christlichsozialen waren schon damals programmatisch sehr zurückhaltend - denn ihre Praxis ließ programmatische Verengungen und Festlegungen nicht wünschenswert erscheinen.

In der Zweiten Republik setzte, jedenfalls für ÖVP und SPÖ, dieser Pragmatismus sich vollkommen durch. Freilich, gewisse Mythen blühten und wurden am Leben gelassen. So etwa der Mythos der Pro-grammorientierung des Bruno Kreis-ky. 1978 beschloß die SPÖ ein Grundsatzprogramm, in dem die „klassenlose Gesellschaft” als Ziel (nochmals und vermutlich zum letzten Mal) festgeschrieben wurde. Doch wer glaubt wirklich, daß die Politik der SPÖ von diesem marxistischen Programmbegriff entscheidend geprägt wurde und wird?

Diese Kritik an nicht haltbaren Wunsch Vorstellungen von Programmen ändert nichts daran, daß Programme Funktionen haben - freilich nicht die, die sie sich selbst zuschreiben. Programme haben eine Außen- und Innenwirkung; sie sollen ein möglichst gutes Bild von der Partei nach außen geben, und sie sollen nach innen hin möglichst vielen Gruppierungen und Interessen eine Heimat ermöglichen. Programme haben einen ausgeprägten Marketing-Charakter, und sie dienen einem innerparteilichen Pluralismus. Mit diesen Aufgaben sind sie befaßt

- aber sie sind nicht die von Wilhelm Hennis einmal (ironisch) zitierten politischen Eisenbahnfahrpläne, in denen die Politiker (und Politikerinnen) nachsehen, wenn sie wissen wollen, wohin ihr Zug fährt.

Programme zeigen an, in welche Richtung die Parteien ihr Erscheinungsbild verändert sehen wollen. Ein wichtiges Beispiel dafür ist das Grundsatzprogramm der SPÖ von 1958. In diesem schrieb die österreichische Sozialdemokratie ihr (programmatisch) geändertes Verhältnis zur Katholischen Kirche fest. Nicht mehr bloße Trennung von Kirche und Staat; nicht mehr Erklärung der Religion zur „Privatsache” - sondern der Kirche wurde Verständnis und Zusammenarbeit signalisiert.

Signale für die Wähler

Daß die Formulierungen des Pro-grammes von 1958 überhaupt nicht originell waren, sondern auf eine gleichlautende Erklärung der Sozialistischen Internationale zurückgingen, änderte nichts an der Wirkung des Programmes: Die Kirche und generell die Öffentlichkeit nahmen die Signale auf; der Konkordatskompromiß von 1960 und die Schulgesetze von 1962 waren die Folge.

Und die Folge war auch, daß für Katholiken die Hemmschwelle in Richtung SPÖ abgebaut wurde - so wurden Voraussetzungen hergestellt, die die „Ära Kreisky” ermöglichten.

Natürlich ist diese Öffnung der Sozialdemokratie zu katholischen Wählerinnen und Wählern nicht vom Programm gemacht worden, aber das Programm hat die reale Öffnung signalisiert und so vorbereitet. Das Programm hat, im Sinne des Marketing-Charakters, funktioniert. Die Signale wurden von einer nicht unerheblichen Minderheit von Wählern entsprechend verstanden -und zum Nutzen des Verkäufers, der SPÖ, auch beantwortet.

Wenn schon Programme in diesem Zusammenhang zugeordnet werden, dann dienen sie der werbe-mäßigen Behübschung der politischen Reise. Ohne Programme wären bestimmte Vorstellungen von der politischen Wirklichkeit noch schwerer aufrecht zu erhalten. Und solange dies so ist, werden Programme bleiben; werden Programme eingefordert und auch immer neu formuliert werden.

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