6951688-1984_14_16.jpg
Digital In Arbeit

Mythos und Realität

Werbung
Werbung
Werbung

Will man eine Prognose der Entwicklung des österreichischen Mediensystems im nächsten halben Jahrzehnt versuchen, so muß man von der wirtschaftlichen Realität ausgehen. Betrachten wir diese nüchtern, so müssen wir mit einer Periode verlangsamten Wachstums rechnen, und die Realeinkommen werden nach dem heutigen Stand ökonomischen Wissens eher sinken als steigen.

Selbst wenn es zur 35-Stunden-' Woche kommen sollte, ist damit noch lange nicht gesagt, daß die voll disponible Freizeit des Menschen wirklich zunehmen muß. Es gibt genügend Anzeichen dafür, daß man (insbesondere in Zeiten geringerer Prosperität) einen vorverlegten Dienstschluß als willkommene Möglichkeit für nebenberufliche Tätigkeiten, auf Deutsch: für Schwarzarbeit, nützt. Laut Mikrozensus 1981 betrug die faktisch frei disponible Freizeit bei der beruflich aktiven Bevölkerung etwas unter dreieinhalb Stunden, von denen im Jahresdurchschnitt fast zwei dem Fernsehen gewidmet werden.

Daraus ergibt sich logisch, daß eine Ausweitung der Mediennutzung in zeitlicher Hinsicht nur in sehr eingeschränktem Maße möglich ist. Das zeigt sich auch in jenen 25 % der österreichischen TV-Haushalte, in denen ausländische

Fernsehprogramme empfangbar sind. Wenn sie auch meist im demographisch jüngeren und wirtschaftlich weiter fortgeschrittenen Westen Österreichs liegen, was geringere Fernsehnutzung zur Folge hat, so ist doch bemerkenswert, daß Reichweiten und Nutzungszeiten in diesen Haushalten deutlich unter dem Österreich-Durchschnitt liegen.

Das Zeitbudget für die Mediennutzung ist also nicht beliebig ausweitbar. Ähnlich ist es aber aus den eingangs angeführten Gründen auch mit dem finanziellen Medienbudget. Zur Zeit beträgt die Rundfunkgebühr monatlich 170 S. Ein Kabelanschluß kostet zwischen 2.850 S (Wien) und 11.900 S (Salzburg, Burgenland). Die monatliche Gebühr liegt in vielen Netzen schon in der Gegend von 150 S.

Ein Videorecorder liegt in seinen Anschaffungskosten noch immer deutlich über dem österreichischen Durchschnittseinkommen pro Monat; eine unbe-spielte Kassette kostet 300 S. Die Anschlußgebühr für Bildschirmtext samt MUPID beträgt 1.000 S, die Monatsgebühr liegt zur Zeit bei 200 S, wozu noch die erhöhten Gesprächsgebühren kommen.

Nehmen wir also an, man hätte sich durch eifriges Ansparen der Anschaffungskosten für ein kleines Medienparadies, bestehend aus Kabel-TV, Videorecorder und Bildschirmtext, entschlossen, dann beträgt die monatliche Belastung des Haushaltseinkommens bereits vor Inbetriebnahme 520 S, Kassettenanschaffung nicht gerechnet.

Es soll aus diesen Berechnungen nun keineswegs ein allgemeiner Medienpessimismus abgeleitet werden. Vielmehr geht es mir darum, die Grundlagen für einen Medienrealismus darzulegen.

In realistischer Sicht wird es in den vor uns liegenden fünf Jahren nicht zu einer radikalen Medienrevolution, sondern bestenfalls zu einer organischen Medienevolution kommen. Wenn es 1983 ein Wachstum des Kabelfernsehens von sieben auf neun Prozent (das sind 250.000 Haushalte) gegeben hat, ist auch in den nächsten Jahren nicht mit Zuwachsraten von fünf oder zehn Prozent zu rechnen, so daß der 60-80prozentige Verkabelungsgrad mancher westeuropäischer Staaten (Bene-lux, Schweiz) in Österreich erst für die späten neunziger Jahre zu erwarten ist. Dieser Rückstand

Österreichs auf dem Mediensektor drückt sich auch etwa im Videorecorderbesitz (zur Zeit 5%) aus. Wir müssen aber noch etwas anderes zur Kenntnis nehmen, nämlich die Tatsache, daß Österreich im internationalen Vergleich ein Werbemarkt von Gartenzwerggröße ist: knapp sechs Millionen TV-Kunden entsprechen der Konsumenten-Zahl des deutschen Bundeslandes Niedersachsen.

Wenn man nun meint, daß es so einfach sei, auf den noch winzigeren Teilmärkten Österreichs, im Bereich von Bundesländern oder städtischen Ballungsgebieten, private Medienformen gewinnbringend zu etablieren, dann möge man sich vorher genaue betriebswirtschaftliche Durchführbarkeitsstudien anfertigen lassen. Denn nach nicht einmal sechsmonatiger Laufzeit beginnen bereits mehrere Schweizer Lokalradios in ihren Fugen zu krachen.

Radio „Z", das aufwendigste Lokalradio, soll nach Presseberichten Stammkunden Gratis-werbezeit geben, der Rest ist oft nur für wenige Minuten am Tag ausgebucht. Und CBS Cable, das ambitionierteste Projekt des US-Mediengiganten, baute im ersten Betriebsjahr einen Verlust von 30 Millionen Dollar und mußte eingestellt werden. Wo liegen die Ursachen?

Die Medienkonsumenten von heute sind verwöhnt. Sie bekommen für ihre Rundfunkgebühr in Österreich täglich 19 Stunden Fernsehen und über 60 Stunden Radio ins Haus geliefert. Bietet die deutsche oder Schweizer Konkurrenz nicht Programme an, die den heimischen deutlich "überlegen sind, wird nicht umgeschaltet. So kommt eine durchschnittliche Auslandsreichweite von nur 16% (alle deutschsprachigen Fernsehprogramme zusammen) in den Haushalten mit Empfang der ausländischen Sender zustande, während das ORF-Fernsehen täglich 72 % der Österreicher anzusprechen vermag.

Jeder private Programmveranstalter muß kostengünstig und konkurrenzfähig produzieren. Wenn er die Auflagen des Rundfunkgesetzes (Programmvielfalt) zu erfüllen hat, wird das auf den geschilderten kleinen Teilmärkten praktisch unmöglich sein. Muß er keine Auflagen erfüllen, kann er sich also auf reine Kommerzware (Serien, Filme älteren Ursprungs) beschränken, wird er über kurz oder lang Gähnen hervorrufen.

Der Autor ist Leiter der ORF-Meinungsforschung.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung