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Nach dem ersten Wahlgang: Der große Erdrutsch blieb aus

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Mit großer Erwartung gingen Frankreichs Linksparteien in den ersten Wahlgang am vergangenen Sonntag, weil sie hofften, ohne Schwierigkeiten mit 51 bis 54 Prozent die starke Majorität bilden zu können. Es zeigte sich jedoch relativ kurzfristig, daß es immer schwieriger wurde, von einer „Union der Linksparteien“ zu sprechen. George Marchais erwartete sich 25 Prozent der abgegebenen Stimmen, Mitterrand spielte mit der Hoffnung, mindestens 35 Prozent einzuheimsen. Doch die Wähler waren in der überwiegenden Mehrheit nicht bereit, den Linksparteien völlig Vertrauen zu schenken. Die Beobachter der innenpolitischen Szene Frankreichs konnten jedenfalls mit einer gewissen Überraschung feststellen, daß die politischen Ziele der Kommunisten und Sozialisten mit 45,1 Prozent bei diesem ersten Wahlgang keineswegs in vollem Umfang erreicht wurden.

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Mit großer Erwartung gingen Frankreichs Linksparteien in den ersten Wahlgang am vergangenen Sonntag, weil sie hofften, ohne Schwierigkeiten mit 51 bis 54 Prozent die starke Majorität bilden zu können. Es zeigte sich jedoch relativ kurzfristig, daß es immer schwieriger wurde, von einer „Union der Linksparteien“ zu sprechen. George Marchais erwartete sich 25 Prozent der abgegebenen Stimmen, Mitterrand spielte mit der Hoffnung, mindestens 35 Prozent einzuheimsen. Doch die Wähler waren in der überwiegenden Mehrheit nicht bereit, den Linksparteien völlig Vertrauen zu schenken. Die Beobachter der innenpolitischen Szene Frankreichs konnten jedenfalls mit einer gewissen Überraschung feststellen, daß die politischen Ziele der Kommunisten und Sozialisten mit 45,1 Prozent bei diesem ersten Wahlgang keineswegs in vollem Umfang erreicht wurden.

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Die Bürger Frankreichs haben erkannt, daß es bei dieser Wahl urri mehr als nur um die Auswechslung eines Parteiregimes durch ein anderes geht. Die Linksparteien hatten im Jahr 1972 ein gemeinsames Programm entwickelt, das sich als Mythos herausstellte und immer dazu bereitstand, die Einheit der sozialistischen und der kommunistischen Partei zu stärken. Obwohl die wenigsten Bürger diesen Pakt studiert hatten, wurde doch vor der Wahl vielfach die Besorgnis laut, daß an Stelle der sozialdemokratischen Linie, die in vieler Hinsicht als beispielhaft dargestellt wurde, die kollektivistische zum Zuge käme, die einen Zustand schaffen könnte, der dem System eines östlichen sozialistischen Staates gleicht.

Nachdem es zu einer Krise zwischen Sozialisten und Kommunisten im September 1977 gekommen war, wurden die Angriffe der KPF gegen Mitterrand und seine Partei mit großer Brutalität in aller Öffentlichkeit geführt. Fran-cois Mitterrand, der aus der verschlafenen und wirkungslosen Sozialistischen Partei ein immerhin starkes Zentrum für die Begegnung aus den verschiedensten Lagern, so auch von katholischer Seite, gebildet hatte, prophezeite, daß die Sozialistische Partei die größte des Landes werden würde. Mitterrand irrte! Die Sozialisten sind

zwar stärker geworden, um größte Partei Frankreichs zu werden, fehlten ihnen nach diesem Wahlgang aber doch die Stimmen.

Die Kommunistische Partei konnte mit 20,5 Prozent und die Sozialisten mit 22,5 Prozent, angereichert durch einige Stimmen der extremen Linken und der Umweltschützer, nicht jenen

Durchbruch zu den Massen der Wähler erzielen, wie dies von den einen erhofft, von den anderen befürchtet worden war. Weit mehr noch: Die drei Chefs der Linksparteien, Mitterrand, Marchais und Fabre, mußten sogar hinnehmen, daß sie bei diesem ersten Wahlgang nicht die absolute Mehrheit erzielen konnten und

daher gezwungen sind, am kommenden Sonntag einen zweiten Wahlgang durchzustehen. In diesem Zusammenhang sei darauf hingewiesen, daß die wichtigsten Spitzenpolitiker aus dem Lager Giscard d'Estaings und Chiracs schon am vergangenen Sonntag dank einer absoluten Mehrheit, die sie erhalten hatten, berufen wurden, als Volksvertreter im Palais Bourbon zu wirken.

Nun stehen innerhalb der Linksunion Sozialisten und Kommunisten fast gleichstark gegenüber. Es ist nur zu verständlich, daß Marchais, der über einen gewaltigen Politapparat verfügt, alles daransetzen wird, um Mitterrand zu zwingen, sämtlichen Wünschen der KPF - und es sind deren viele - prompt nachzukommen. Der Sozialistenführer dürfte nicht damit rechnen können, die Stimmen der kommunistischen Wähler am kommenden Sonntag automatisch zu erhalten. So spricht man schon heute in Paris von einem Diktat Marchais', der gegenwärtig eine absolute Schlüsselposition der französischen Innenpolitik innehat.

Viel besser als erwartet, haben die bisherigen Parteien der Majorität mit

46,5 Prozent abgeschnitten. Den Verdienst dafür kann in erster Linie der Bürgermeister von Paris, Chirac, auf sein Konto buchen, der ununterbrochen mit bewundernswertem Einsatz in unzähligen Wahlkreisen auftauchte, um der gaullistischen Sammelbewegung die Bestätigung zu verschaffen, eine echte Massenpartei zu sein. Dieser Beweis ist ihm ohne Zweifel auch gelungen: Mit 22,6 Prozent ist das RPR weiterhin die stärkste politische Gruppierung Frankreichs.

Die kleineren Mittelparteien hatten monatelang große Schwierigkeiten, um der Bevölkerung ein eindrucksvolles Image zu bieten. Buchstäblich in der letzten Minute ist es der Republikanischen Partei, der Zentrumspartei und der Radikalsozialistischen Partei gelungen, eine Föderation (UDF) zu bilden, die es immerhin auf 21,5 Prozent gebracht hatte. Selbst der vielkritisierte Ministerpräsident Barre hat einiges dazu beigetragen, um diese politische Gruppe, die dem Staatspräsidenten Giscard d'Estaing am nächsten steht, als vierte Macht der französischen Republik zu etablieren. So ist es knapp vor Beginn des Votums gelungen, eine liberale und christliche Partei zu bilden, die dem offen vorgetragenen Wunsch des Staatspräsidenten folgte und sich so weit aneinander gebunden hatte, daß viele Wähler bereit waren, in der UDF die Stimme und Intention des Staatspräsidenten zu erkennen.

Aber das Schicksal Frankreichs ist vor dem kommenden Sonntag nicht entschieden. Nach wie vor steht zur Diskussion, ob zahlreiche Wähler, die dieses Mal sozialistisch wählten, am kommenden Sonntag wieder zur bisherigen Mehrheit abwandern. Es ist eine alte Tradition Frankreichs, im ersten Wahlgang seine Wut über eine schlechte Verwaltung oder Finanzpolitik abzureagieren, während man im zweiten Wahlgang dann politisch wählt und jener Partei die Stimme gibt, der man sich infolge zahlreicher Kriterien zugehörig fühlt. Also kann keine Rede davon sein, daß die Mehrheit des Präsidenten sich nicht gut geschlagen hätte.

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