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Nach dem US-Tief

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Uber die wirtschaftlidie Entwidduuig in den USA im Jahre 1971 gibt es unterschiedliche Auffassungen: Die Regierung erwartet ein reales Wirtschaftswadistum von mehr als 4,5 Prozent, die OECD ein solches von 4 Prozent, nach vorsichtigeren privaten Schätzungen kann mit einer Vergrößerung des Bruttonationalprodukts (nach Ausschaltung von Preissteigerungen) von 3 bis 3,5 Prozent gerechnet werden.

Welche Erwartungen immer eintreffen mögen, gegenüber einem Wachstumsrückgang von 0,4 Prozent im Vorjahr dürfte damit sicher sein, daß die US-Konjunktur ihren Tiefstand überwinden konnte und eine neuerliche Belebung der Wirtschaftstätigkeit bereits eingesetzt hat. Die internationalen Auswirkungen dieser Expansion machen es nodi unwahrscheinlicher, daß sich in Europa die Konjunktur gefährlich verlangsamt und dadurch cJie Vollbeschäftigung in Frage gestellt wird.

Die offizielle Prognose in den USA kann einige gute Argumente dafür ins Treffen führen, daß sie gleichzeitig einen Rückgang der Arbeitslosenrate und eine Verringerung der Inflationsrate erwartet. Zwischen dem Wirtschaftsrückgang und dessen Auswirkung auf die Inflationsrate besteht eine Zeitspanne, die bereits abgelaufen sein dürfte, wie das Absinken der Inflationsrate im vergangenen Jahr zeigt. Die Wiedereingliederung von Arbeitslosen soll so langsam vor sich gehen, daß bei vorsichtiger Geldpolitik keine inflationistischen Gefahren bestehen, anderseits soll die Erhöhung der Beschäftigtenzahl aber doch so rasch erfolgen, daß eine starke Steigerung der Produktivität eine Verlangsamung des Preisauftriebs erwarten läßt. Günstige Voraussetzungen für eine expansive Finanz- und Währungspolitik bestehen dadurch, daß sie auf eine weniger als zu 75 Prozent ausgelastete Industrie und auf beachtliche Arbeitsmarktreserven stößt

Ein spürbarer Rücäcgang der Inflationsrate würde die Wettbewerbsfähigkeit der US-Wirtschaft wieder stärken und die US-Zahlungsbilanz verbessern. Nicht so ohne weiteres kann heute beurteilt werden, welche Bedeutung eine wieder florierende Wirtschaft in den Vereinigten Staaten für Europa haben wird Einmal war man der Meinung, daß ein Schnupfen in der Wirtschaft der USA eine Lungenentzündung für .die europäische zur Folge haben müsse. Mit dem Erstarken der eiiropäischen Wirtschaft gegen Ende der fünfziger Jahre schien Europa von den Konjunkturzyklen in den USA relativ unabhängig. Daß dem nicht ganz so ist, zeigte das vergangene Jahr: Nachdem die hohe Nachfrage nach Dollars in der Zeit der monetären Restriktionen in den USA zu extrem hohen Zinssätzen gerade in Europa geführt hatte, bewirkte die expansive Geldpolitik in den Vereinigten Staaten eine um so raschere Rückbildung der Geldkosten in Europa; zuerst auf dem Euro-Dollar-Markt unmittelbar, und dann auch auf den wichtigsten europäischen Geldmärkten. Für Europa bleiben die Ausstrahlungen des amerikanischen Wirtschaftsgiganten ein bedeutender Faktor.

In den letzten 15 Jahren hat sich der europäische Gesamtexport verdreifacht, die Ausfuhren In die USA aber vervierfacht. Das heißt, nicht nur der Geld- und Kapitalverkehr, auch der Handelsverkehr mit den Vereinigten Staaten ist von wachsender Bedeutung. Die Überwindung des Konjunkturtiefpunktes in den USA wird auch auf Europa ausstrahlen und die Nachfrage verstärken. Dies ist ein Grund mehr, im Interesse der Erhaltung der Kaufkraft unserer Währungen vor übereilten Maßnahmen zur Ankurbelung der Wirtschaft zu warnen.

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