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Nach den Wäldern sterben die Acker

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Noch stehen wir im Banne des Waldsterbens, schon meldet sich ein neues Problem: die Böden sind bedroht, jene dünne schwarze Schicht, auf der unsere Nahrung wächst.

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Noch stehen wir im Banne des Waldsterbens, schon meldet sich ein neues Problem: die Böden sind bedroht, jene dünne schwarze Schicht, auf der unsere Nahrung wächst.

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Die Kirche hat mit Recht in die Allerheiligenlitanei die Bitte um Bewahrung der Erde vor Vergiftung aufgenommen und sie eingeschoben zwischen den immer aktuellen Bitten um Befreiung von „Hunger, Krieg und Krankheit” sowie der Bitte um Befreiung von „einem plötzlichen Tod”. Diese Bitte um Befreiung von der „Vergiftung der Erde” in der Allerheiligenlitanei, die in der gesamten Kirche in den Feld-Bittprozessionen vor Christi Himmelfahrt gebetet wird, entspricht einem lebenswichtigen Bedürfnis der heutigen Welt.

Zunächst ist eine theologische Tatsache zur Kenntnis zu nehmen, die in der Heiligen Schrift vermerkt wird. „Gott, der Herr, formte den Menschen aus Erde vom Ackerboden” (Genesis 2,7). Der bekannte und profunde Theologe Dietrich Bonhoeffer gibt dazu folgenden Kommentar:

„Der Mensch, den Gott nach seinem Ebenbild geschaffen hat, ist aus der Erde genommen. Stärker konnten selbst Darwin und Feuerbach nicht reden. Aus einem Stück Erde stammt der Mensch. Seine Verbundenheit mit der Erde gehört zu seinem Wesen. Die .Erde ist seine Mutter', aus ihrem Schoß kommt er. Aus ihr hat er seinen Leib. Sein Leib gehört zu seinem Wesen. Der Mensch, der sich seines Leibes entledigt, entledigt sich seiner Existenz vor Gott, dem Schöpfer. Der Ernst des menschlichen Daseins ist seine Gebundenheit an die mütterliche Erde” (Bonhoeffer Brevier S. 80/ 81).

Daß die Vergiftung der Erde durch übermäßige Schadstoffe und das langsame Schwinden der so lebenswichtigen Ackerkrume, der Ernährungsbasis, zu einer Schicksalfrage der Menschheit heranwächst, hat erst eine Katastrophe den Menschen zum Bewußtsein gebracht.

Zu allererst bekamen es die amerikanischen Farmer am eigenem Leib zu spüren. Am 11. Mai 1934 riß in den Great Plains der Vereinigten Staaten ein Orkan, der über den Mittelwesten hinwegfegte, an die 350 Millionen Tonnen fruchtbaren Ackerbodens in die Luft. Es kam zur Verdunkelung der Millionenstadt New York. Bis 500 Meilen vor der atlantischen Küste wurden

Schiffe in einen braunen Nebel eingehüllt.

Dieser Orkan hatte verheerende Folgen für die Landwirtschaft: dreieinhalb Millionen Hektar Ak-ker- und Weideland wurden zerstört. Seit dieser Katastrophe ist die Menschheit hellhörig geworden auf die verschiedenen Ursachen der Bodenkrankheit.

Nicht nur durch Wind und fließendes Wasser wird die Ackerkrume abgetragen, die Ver-Wü-stung des Bodens erfolgt durch Ausbeutung, Uberbenützung, Vergiftung mit übermäßigen Schadstoffen und Chemikalien. Fachleute der Bodenkultur haben festgestellt, daß bereits ein einziger Millimeter abgetragenen Bodens einen Verlust von 15 Tonnen Erdreich pro Hektar bedeutet.

So gehen jedes Jahr nach Untersuchungen der Vereinten Nationen 60.000 Quadratkilometer Ackerboden - das entspricht mehr als zwei Drittel der Fläche Österreichs — in Wüste über. Weitere 210.000 Quadratkilometer verlieren wegen Überweidung beziehungsweise wegen zu starker Ausbeutung ihre landwirtschaftliche Nutzbarkeit.

Nach Angaben amerikanischer Experten kämpfen heute 43 Länder mit ernsthaften Erosionserscheinungen. An dieser Auszehrung des Bodens leidet bis ein Viertel der Weltanbaufläche. Immer schwieriger wird das Problem der Ernährung der Weltbevölkerung, die gegenwärtig von 4,7 Milliarden bis zum Jahre zweitausend auf sechs Milliarden anwachsen wird.

Gewaltige Bodenverluste

Und wie steht es um die Bodenverhältnisse in Österreich? Laut einer vor Jahren veröffentlichten Studie zur Umweltbilanz des Bundesinstituts für Gesundheitswesen liegt eine umfängliche Schadstoffbilanz vor, der zufolge jährlich an die 300.000 Tonnen Schwefeldioxid (SO2) über Regenwasser und Staub in den Boden eindringen. So hat jeder Hektar Boden an die 300 Kilogramm SO2 zu verkraften. Kalkarme Böden leiden immer mehr an Versauerung, die zunehmend den Kalkbedarf der Landwirtschaft erhöhen.

Ferner zieht die Schwermetallbelastung der Äcker schwere Folgen nach sich. Allein die Schadstoffe aus Kraftfahrzeugen mit den jährlich anfallenden 400 Tonnen Blei dringen größtenteils in den Boden. Auch werden hohe Bleikonzentrationen entlang stark befahrener Straßen bis zu einer Entfernung von 300 Metern gemessen.

Überdies fallen pro Jahr in Österreich vier Tonnen Quecksilber und zwei Tonnen Cadmium an und dies hauptsächlich aus Kleinbatterien, die über den Boden sich in Pflanzen als Schadstoffe anreichern. •

Nicht zu übersehen sind die „Pflanzenschutzmittel”, die in einer Menge von jährlich 4.000 Tonnen abgesetzt werden. Uber die Zweckmäßigkeit dieser chemischen Mittel in der Landwirtschaft werden kritische Stimmen immer lauter.

Auch die Salzstreuungen auf den winterlichen Straßen sind nicht ohne geringen Einfluß auf die Böden. Bemerkenswert ist der Absatz des Auftausalzes zwischen 1975 und 1980 von 36.000 auf 100.000 Tonnen gestiegen.

Jeder Quadratmeter einer Hauptverkehrsstraße in der Wintersaison schluckt ein Kilogramm Salz. Das aufgelöste Salz führt zur Verschlammung und Verdichtung der straßennahen Böden.

Nicht unerwähnt bleiben soll der für den Tourismus einträgliche Skisport. Es existieren gegen 3.500 Lifte und Seilbahnen, die zu 20.000 Skipisten führen. Im Sommer sind diese Skipisten meist nur ein Stück verwüsteter Natur. Nicht nur das Pflanzenkleid ist zerstört, sondern auch die Vegetationszeit ist infolge des festgepreßten Pistenschnees spürbar verkürzt. Das alles trägt zur Ertragseinbußen in der Almwirtschaft bis zu 75 Prozent bei.

Hinzukommen die vielen unkontrollierten und wilden Mülldeponien, deren schädliche Einflüsse auf die Böden unabschätz-bar sind.

Wichtig ist, zunächst die Bodenverluste anzuhalten, damit die fruchtbaren Böden ausschließlich der landwirtschaftlichen Nutzung erhalten bleiben. Notwendig ist eine neue Richtung in der Agrarpolitik mit dem Ziel: Weg von Monokultur und industrieller Landwirtschaft, hin zu altbewährten Anbaumethoden mit neuen Produktionen, etwa Eiweißfutter oder Energiepflanzen (Biosprit). Die Hoffnung besteht, daß das vielgenannte Biospritprojekt verwirklicht wird.

Die angeführten Tatsachen und Überlegungen sind würdig eingeflochten zu werden in das Gebet, der Allerheiligenlitanei mit der Bitte: „Von der Vergiftung der Erde befreie uns, o Herr!”

Der Ernst des menschlichen Daseins ist nach Bonhoeffer seiner Gebundenheit an die mütterliche Erde. Eben diese Verbundenheit mit der Erde gehört zum Wesen des Menschen.

Der Autor ist emeritierter Dozent für Gesellschaftslehre an der Philosophisch-Theologischen Hochschule in Heiligenkreuz.

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