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Nach der Katastrophe

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Entwicklung heißt für Dritte-Welt-Länder nicht selten Bedrohung der Umwelt. Afrika und Lateinamerika besinnen sich. Ein Sisy-phus-Unterfangen, wie es derzeit scheint.

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Entwicklung heißt für Dritte-Welt-Länder nicht selten Bedrohung der Umwelt. Afrika und Lateinamerika besinnen sich. Ein Sisy-phus-Unterfangen, wie es derzeit scheint.

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Die von Lateinamerika lange verdrängte Ökologiedebatte erzwingt sich nach dramatischen Häufungen von Umweltkatastrophen ein Forum.

Um nur ein Beispiel zu nennen: An Guatemalas Pazifikküste starben jüngst drei Dutzend Bauern am Genuß vergifteter Muscheln. Weitere 200 Personen, Bauern, ihre Frauen und Kinder, werden in den vernachlässigten Spitälern der rückständigen Pazifik-Region wegen Vergiftungserscheinungen behandelt. Guatemalas Gesundheitsministerium meint, die Ursache in einer Häufung von Rotalgen im Pazifik auszumachen.

Aber jeder in Guatemala-Stadt weiß, wie fast alle hier im Land, dln tatsächlichen Grund: Sehr schwere Regenfälle schwemmen die hochgiftigen Pestizide, die auf die Baumwollfelder gesprüht werden, ins Meer. Die vergifteten Muscheln treiben sterbend an der Wasseroberfläche der Küstenregionen und bilden so eine einfache Beute für die Fischer, die sie einsammeln und auf den Märkten verkaufen.

Lateinamerika hat lange die

Umweltprobleme negiert. In der polemischen Diskussion wurde die Ökologiedebatte sogar als „Trick der Imperialisten“ eingestuft, ein Trick, der den Subkontinent an der Erschließung seiner Ressourcen hindern soll. Heute jedoch, da ganze Landschaften und Klimazonen kippen, muß auch Lateinamerika einsehen, daß die ökologischen Wahrheiten auch im eigenen Ambiente gelten.

Die sichtbarsten Schäden finden sich in den Urbanen Agglomerationen und in den Mega-Städ-ten Lateinamerikas. Batterien von Dieselbussen, die dicken Qualm ausstoßen, mangelhaft verarbeiteter PKW-Treibstoff, Industriesmog, Abfälle, der Schmutz von Slums und Kanisterstädten ohne Kanalisation — dies alles summierte sich über Dekaden zu heute nicht mehr gutzumachenden Umweltsünden.

Mexiko-City, Sao Paulo, Santiago de Chile, Caracas, aber auch überschaubare Städte wie Medel-lin oder Guatemala-Stadt leben im Dauer-Smog. Cubatao, die zusammengewürfelte Industrieregion zwischen Sao Paulo und dem Atlantik, hat eine der schlimmsten Umweltverschmutzungen der Dritten Welt.

Der städtische Smog indessen macht nicht alleine das Problem aus. Im ländlichen Bereich wird entsprechend der Empfehlungen der Entwicklungsexperten chemisch gesprüht, vom Flugzeug aus oder mit der Hand, daß einem angst und bange werden muß.

Wo immer man auf dem großen Kontinent durch ländlichen Raum fährt, sieht man entlang der Straßen Bauern mit den Sprühkanistern auf dem Rücken. Auch Kleinbauern, die eine Privatparzelle bebauen, treiben es arg, weil sie annehmen, doppelt oder dreifach gesprüht wirke dementsprechend besser. So weisen gerade Gemüse und Früchte auf den bescheidenen Dorfmärkten Giftkonzentrationen auf, die, wenn gemessen, die Laboranten das Fürchten lehren.

Nach einem griffigen Bonmot leben die Lateinamerikaner dank des medizinischen Fortschritts heute länger denn je, aber auch schlechter denn je dank des landwirtschaftlich-chemischen Fortschritts.

Was kann getan werden? Die leichte Lösung heißt Umweltgesetzgebung. In der Tat verfügen die meisten lateinamerikanischen Staaten, beraten von der Welternährungsorganisation FAO, über vorbildliche Umweltgesetze. Kolumbien zum Beispiel genießt den Ruf, überhaupt das beste Umweltgesetz in der Dritten Welt geschrieben zu haben.

In Lateinamerika freilich wurden Gesetze selten eingehalten, und schon gar nicht im ökologischen Bereich, wo keine Sofortgewinne zu erreichen sind. Basisgruppen, die von der Graswurzel her den Kampf gegen die Umweltverpestung aufnehmen, gibt es erst in Ansätzen. Regierungen haben einfach kein Geld für den Umweltschutz, weil die Moderni-sierungs- und Entwicklungspolitik (die ja das Problem in die Welt setzen) Vorrang genießen.

Neuerdings schält sich eine kuriose Strategie zur Erhaltung von ökologisch wichtigen Habitats heraus: Umweltschutzorganisationen der Industriestaaten beginnen dafür zu zahlen, daß lateinamerikanische Regierungen zum Beispiel intakte Tropenwälder nicht erschließen, sondern in Nationalparks verwandeln. Im

Falle Boliviens wird damit sogar eine Verringerung der Außenschuld bewirkt.

Die UN-Wirtschaftskommission für Lateinamerika mit Sitz in Santiago de Chile (CEPAL) schließt neuerdings in ihre Strategiedebatten die Forderung nach einem „alternativen Entwicklungsstil“, der ökologische Akzente aufweist, mit ein. Die Interamerikanische Entwicklungsbank hat soeben eine Agenda für „sustainable development“ vorgelegt, womit eine Entwicklung gemeint ist, die mit geringen Geldmitteln, aber großer Umweltschonung arbeitet.

Die Diskussion hat also in Lateinamerika begonnen, nur kommt sie für mehrere regionale Schwerpunkte, wo die ökologische Katastrophe schon eingetreten ist, zu spät.

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