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Nach der Sensationswahl

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Die CDU hat sich in Berlin zu sicher gefühlt und die Wahl offenbar durch Abstinenz von gesellschaftspolitischen Themen verloren. Ein österreichischer Beobachter zieht Lehren.

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Die CDU hat sich in Berlin zu sicher gefühlt und die Wahl offenbar durch Abstinenz von gesellschaftspolitischen Themen verloren. Ein österreichischer Beobachter zieht Lehren.

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Berlin ist einfach anders als andere Städte. Das sagte kürzlich ein bekannter Politikwissenschaftler. Zu Recht. Es gibt in keiner Stadt dieser Erde eine solche Spannung, wie in der geteilten.

Im ersten Moment ist dies gar nicht erkennbar, im Gegenteil. Berlin-West bietet alles, was das Herz begehrt. Man muß, wenn man von Berlin spricht, klar zwischen West- und Ostberlin trennen.

Ich will mich aus aktuellem Anlaß nur mit Westberlin befassen. Ostberlin ist für mich indiskutabel. Jedoch auch im Westsektor spürt man bei näherem Betrach-

ten der politischen Situation eine gewisse Spannung. Sie hat sich gegenüber den vergangenen Jahren etwas gelockert. Die Mauer begleitet einem aber auf Schritt und Tritt.

Ich konnte dies im Rahmen des Wahlkampfes zum Berliner Abgeordnetenhaus ganz deutlich spüren. Einige Tage mitten im Gewühl des Wahlkampfes zu stehen, war dort ein besonderes Schlüsselerlebnis. Trotz meiner bereits langjährigen politischen Tätigkeit habe ich noch nie erlebt, daß Bürger bei der Übergabe von Werbeprospekten sagten, daß sie dieses Informationsmaterial zwar gerne annehmen würden, es aber nicht dürften, weil es zu gefährlich sei.

Erst nach längerem Befragen kam man auf den Grund. Die — hauptsächlich — älteren Menschen stammten aus dem Ostsektor, sie waren nur auf wenige Stunden in den Westteil der Stadt gekommen. Die Mitnahme von Westinformation hätte für sie jedoch schlimme Folgen gehabt.

Die Straßendiskussionen haben fast nur ein Thema: Die Mauer und die langsame Öffnung dieser für Ost und West.

In dieser politischesten Stadt der Welt hat also eine historische Wahl stattgefunden. Eine Wahl, deren Ausgang sicherlich eine Sensation war (FURCHE 5/1989). Und zwar auf mehreren Ebenen.

Die meisten Kommentatoren in den österreichischen Tageszeitungen hatten jedoch meiner Meinung nach eine falsche Sicht der Dinge. Viele Zeitungen schrieben, daß der äußerst aktive Regierende Bürgermeister von Berlin (zu vergleichen mit einem Landeshauptmann) Eberhard Diepgen deswegen die Wahl verloren habe, weil die erstmals kandidierende Rechtspartei ins Parlament einzog, und die FDP aus dem Abgeordnetenhaus eliminiert wurde. Dies ist zwar in der ersten Analyse logisch, bei näherem Betrachten hatte das schlechte Abschneiden Diepgens und seiner CDU jedoch andere Gründe.

Alle Meinungsforscher gaben der regierenden Partei die klare Mehrheit, alle Femseh- und Rundfunkstationen sowie die Zeitungen feierten Diepgen bereits als Sieger. Ja sogar der politische Gegner rechnete klar damit.

Wenn man die Wahlwerbung der SPD, die im großen und ganzen schlicht als dumm bezeichnet werden kann, die sogar ihren Spitzenkandidaten Walter Mom- per „versteckt“ hat, betrachtet, hätte der Wahlausgang eigentlich auch klar sein müssen — zumal auch die FDP einen eher jämmerlichen Eindruck bot. In dieser Situation glaubten sehr viele Berliner Bürger, auf ihre Stimme komme es nicht an.

„Diepgen wird auch ohne meine Stimme Bürgermeister.“ Die Wahlbeteiligung war mit Ab-

stand die schlechteste seit dem Krieg. Von den 20 Prozent Wählern, die diesmal weniger zur Wahl gingen, kann man — wie eine Wahlnachanalyse zeigte — zirka zehn Prozent ins Spektrum der Politikverdrossenen einstufen. Die anderen zehn Prozent gingen — wie erwähnt — einfach aus Bequemlichkeit und einem gewissen Sicherheitsgefühl für Diepgen nicht zur Wahl.

Das hat einem der populärsten Bürgermeister Berlins die Mehrheit gekostet. Diepgen ist im Gegensatz zu vielen seiner Vorgänger ein echter Berliner. Richard von Weizsäcker, Hans-Jochen Vogel, Klaus Schütz und andere waren keine Berliner.

Das Ergebnis für die rechtsradikalen Republikaner muß zu denken geben. „Wehret den Anfängen“, heißt ein bekanntes Sprichwort. Hier gilt es doppelt. Die Partei eines ehemaligen Waf- fen-SS-Mitgliedes, der darauf noch stolz ist, erhielt auf Anhieb 7,5 Prozent der Stimmen.

Daß eine solche wahlwerbende Gruppe primär wegen ausländerfeindlicher Parolen Stimmen gewonnen hat, muß auch in Österreich zu denken geben. Ein zynischer Spraydosenspruch auf einer Berliner Hauswand ist in diesem Zusammenhang nicht uninteressant: „Ausländer rein — Rheinländer raus!“

Der geteilten Stadt wäre jetzt eine Vernunftehe zwischen SPD und CDU zu wünschen, da auch die grünen Alternativen Berlin nicht den dringend benötigten inneren Frieden bringen könnten.

Das Resümee für politische Parteien — auch in Österreich: Die Wahl ist erst am Wahltag gewonnen. Ein „Zu-sicher-Fühlen“ kann tödlich sein. Die großen demokratischen Parteien in den westlichen Staaten müssen einander trotz unterschiedlicher weltanschaulicher Ansichten wieder mehr schätzen lernen. Sonst sind Extremisten Nutznießer einer negativen Entwicklung.

Der Autor ist Vizepräsident der Kammer für Arbeiter und Angestellte für Vorarlberg.

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