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Nach der Weinlese: das Wein-Lesen

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Nach der Weinlese das Wein-Lesen: der Herbst bringt nicht nur neuen Wein, sondern auch neue Bücher über die Weinkultur.

Das Schrifttum über den Wein findet Leser in großer Zahl. Man könnte meinen, das Publikum hat sich den subtilen Fragen der Lebenskunst zugewandt, und sicherlich ist der Erfolg solcher Bücher ein Anzeichen für die wachsende Lust am Rückzug in das Private.

Es wäre allerdings falsch, das Phänomen ausschließlich als ein Zeichen von Hedonismus zu deuten. Die Befriedigung der Bedürfnisse wäre auch ohne Bücher möglich. Die Schrift schafft nicht nur Nähe zum beschriebenen Gegenstand; sie sorgt auch für Distanz.

Wer in den richtigen Weinbüchern blättert, kann den eigenen

Geschmack gleichsam von außen betrachten. Er gewinnt an Bewußtheit, sieht sich selbst als handelndes Subjekt der Jahrtausende alten Weinkultur. Es eröffnet sich die Möglichkeit, die eigenen Erfahrungen mit den Erlebnissen früherer Generationen zu vergleichen und in Kenntnis der Trinksitten ferner Länder die eigenen wenn nicht kritischer, so doch wachsamer zu betrachten.

Wer, zum Beispiel, das Buch des großen Weinfachmannes Emile Peynaud nicht nur flüchtig durchblättert, sondern wirklich studiert, kann über die Wissenschaft des Weinverkostens alles Wesentliche erfahren. „Die Hohe Schule für Weinkenner“ dringt in die Tiefe, Ein Kapitel mit dem Titel „Die neurophysiologischen Mechanismen der Degustation“ eröffnet die Studien über die verschiedenen Möglichkeiten, den Wein zu prüfen: durch Betrachtung, mit Hilfe des Geruchsinns, durch Schmecken. Geradezu klassisch sind die Ausführungen über „die Gleichgewichte von Geruch und Geschmack“. Erst im letzten Kapitel wird „die Kunst des Trinkens“ behandelt. Der Autor schließt mit einem bedenkenswerten Rat:

„Wenn ich die Kunst des Trinkens definieren sollte, würde ich zunächst zwei Grundsätze angeben: Maß und guter Geschmack. Hieraus folgen zwei einfache Formeln: .Wenig trinken, aber Gutes trinken', oder auch .Wenig trinken, damit man möglichst lange trinken kann'.“

Neben Peynauds wissenschaftlichem Werk wirkt das Buch „Wein“ von Susi Piroue freilich etwas oberflächlich. Doch die meisten Leser wollen sich nicht allein mit der Kunst des Weinverkostens beschäftigen, sondern sich lieber über alle Gebiete der Weinkultur rasch und vergnüglich informieren. Susi Piroue gibt einen guten Uberblick. Natureinwirkungen, Weinbereitung, die richtige Auswahl, die Rolle des Weins in der Tischkultur: das alles wird trefflich behandelt. Im zweiten Teil ihres Buches beschreibt die Autorin die wichtigsten Weinländer der Welt.

Wie man ein einziges, allerdings auch einzigartiges Weingebiet beispielhaft beschreiben kann, zeigt Hubrecht Duijkers Buch „Die Spitzenweine von Bordeaux“. Legendäre Namen wie Me-doc, Saint-Emilion und Pomerol können nach der Lektüre mit einer großen Anzahl von Kenntnissen verbunden werden. Auch Duij-ker beginnt seine Arbeit mit der Darstellung der Weinbereitung; dann aber beschreibt er die Weine der wichtigsten Hauer, die freilich nicht bescheidene Winzer sind, sondern Besitzer von Weingütern. Der berühmte Weinfachmann Hugh Johnson rühmt in seinem Vorwort zu Recht die „kühle Aufrichtigkeit“ des Autors. Dieser scheut sich nicht, sich gegebenenfalls auch kritisch zu äußern. „1963 Gering in jeder Hinsicht“ ist da zu lesen oder „1965 Wohl das schlechteste Jahr des Jahrhunderts“. Angenehmes wird mit der gleichen Nüchternheit vermerkt. „Ich habe den Eindruck gewonnen, daß die Weine von Tertre sich qualitativ jedes Jahr steigern“, notiert der Autor. Und selbst beim Verkosten des berühmten Jahrgangs 1961 des noch berühmteren Chäteau Mouton Rothschild bleibt er fast sachlich:

„Zuerst kam die verwirrend tiefe Farbe. Dann das geballte, tiefe und reiche Bukett, dem sich ein runder und fruchtiger Geschmack mit sattem Holzton anschloß, und schließlich der lange, am Gaumen haftende Abgang, der noch eine halbe Stunde nach der Verkostung nachtönte.“

Bücher dieser Art finden ihre sinnvolle Ergänzung in den Weinliedern gewidmeten Anthologien. Klabund hat vor vielen Jahren eine vielbeachtete Sammlung solcher Gedichte herausgegeben, nun folgt ihm Jochen Kandel mit seinem „Das chinesische Brevier vom weinseligen Leben“. Der Herausgeber und Ubersetzer bietet eine reiche Auswahl von poetischen Texten. Am Anfang stehen Anekdoten von Liu Ling aus dem 3. Jahrhundert n. Chr., und die spätesten Gedichte sind von Liu K'o-chuang (1187-1269) verfaßt. Trotz der zeitlichen und räumlichen Entfernung wirken die Verse nicht fremdartig; vieles scheint die europäische Moderne vorwegzunehmen. „Seit Tagen weiß ich / wie man leben muß: / ohne staatliche Meriten / und folgerichtig unberühmt“, schreibt Wang Chi, ein Dichter des 7. Jahrhunderts, in seinem Gedicht „Einsamer Rausch“. Und der Dichter Li Yü (937-978) erinnert geradezu an Paul Verlaine: „Wie deine Tränen, in rote Schminke eingetaucht, / mich zu weiterem Trinken treiben!“

Was von Peynaud als Wissenschaft beschrieben wird, wirkt hier weiter als Poesie.

DIE HOHE SCHULE FÜR WEINKENNER. Von Emile Peynaud. Albert Müller Verlag, Rüsehlikon-Zürich 1985. 224 Seiten, 78 Abb., Ln., öS 920,40.

WEIN. Von Susi Piroue. Gräfe und Unzer Verlag, München 1985. 240 Seiten, 170 Abb.. Ln., öS 686,40.

DIE SPITZENWEINE VON BORDEAUX. Von Hubreeht Duijker. Albert Müller Verlag, Rüschlikon-Zürich 1985. 200 Seiten, 537 Abb., Ln., öS 546,-.

DAS CHINESISCHE BREVIER VOM WEINSELIGEN LEBEN. Hrsg. von Jochen Kandel. Scherz Verlag, Bern 1985. 288 Seiten, Ln., öS 232,50.

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