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Nach Raffaels Vorbild

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Unter Mitarbeit des Erzbischöflichen Dom- und Diözesanmuseums wurde im Vorjahr das 700-Jahr-Jubiläum der Wiener Stadtpfarrkirche St. Michael gefeiert. Dabei konnten neue wertvolle Erkenntnisse über die Ausstattung der sogenannten Vesperbild-Kapelle, ein Meisterwerk frühbarocker Kunst, gewonnen werden.

Im Sinne der gegenreformatori- schen Erneuerung des religiösen Lebens wurde — unter Berufung auf das Konzil von Trient — aufgrund des Wirkens des Mailänder Erzbischofs Kardinal Carlo Borromeo — dem heiligen Karl Borro-

mäus - die Liturgiereform auch wesentlicher Anreger für das künstlerische Schaffen. Nach dem Vorbild römischer und Mailänder Kirchen erfolgten auch außerhalb Italiens Neubauten beziehungsweise wurden bestehende Altbauten im Sinne der zeitge-. nössischen Gestaltungstendenzen adaptiert — vor allem auch wenn es darum ging, besonders zu verehrende Gnadenstätten zu re- funktionalisieren. In der Wiener Michaelerkirche, die damals dem Bamabitenorden zum pastoralen Dienst auf kaiserliche Widmung hin übergeben wurde, wurden in dieser Zeit die Seitenkapellen unter anderem umgestaltet, nachdem das spätgotische, um 1430 vermutlich unter Einfluß der Werkstatt Jakob Kaschauers entstandene Gnadenbild „Maria im Pfeiler“—eine Pieta (Vesperbild) - in die mittlere südseitige Langhauskapelle versetzt worden war.

Der heutige Altar dieser Kapelle entstammt einer abermaligen

Umgestaltung nach einem Entwurf des Antonio Beduzzi (1721/ 1722), der auch das 1713 vollendete Gehäuse der Sieber-Orgel dieser Kirche entwarf. Der Altar enthält das Vesperbild als Zentrum eines vorhangartigen, von Säulenstellungen flankierten Retabelauf- baues und wurde sowohl in jose- phinischer Zeit wie auch im Klassizismus des frühen 19. Jahrhunderts adaptiert.

Jahrhundertelang wurde die übrige Ausstattung der Kapelle wenig beachtet: ihr übermalter und weitgehend komplett erhaltener Stuckdekor, der ursprünglich in broncierter goldgelbtoni- ger Seccomalerei (auf trockenen Putz aufgebrachte Malerei) gefaßt war, ihre figürlich-bildliche Ausstattung mit Seccomalereien in den Gewölbekartuschen und am Kapellenfrontbogen, mit Put- ti mit den Leidenswerkzeugen Christi, mit aufsatzartigen Malereien der seitlichen Lünetten und mit Ölmalereien auf Leinwand an den Seitenwänden.

Abstrahiert vom Raumeindruck des übrigen Kircheninneren vermittelt gerade diese 1637 vollendete Vesperbild-Kapelle einen signifikanten Eindruck vom Stellenwert des künstlerischen Schaffens mitten im Dreißigjährigen Krieg im Wiener Raum. Erst eine dringend erforderliche Restaurierung würde ihre dekorative Fülle wieder zur Geltung bringen. Auch die Kapel- len-Seitenwände sind in ihrer Gestaltung an frühbarocken Altar- Aufsätzen orientiert.

Das aufwendig dekorierte Kap-

pengewölbe mit einem zentralen Bild (Clipeus) in Gestalt einer stuckgerahmten flachkuppeligen Gewölbezone, das von vier Kartuschen in den Gewölbekappen und durch stuckierte Bänder an den Gewölbegraten umgeben ist, ignoriert gleichsam die Struktur des ursprünglich vorhandenen Kreuzrippengewölbes. Der kreisrunde, zentrale Clipeus wird von vier Kartuschen in den Gewölbekappen umgeben wie auch durch stuckierte Bänder an den Gewölbegraten. Zwischen den Bändern sind von Putti gehaltene Fruchtgehänge reigenartig gespannt—so sollte die Idee einer dominierenden Kuppel dem architektonischen System eines Kreuzrippengewölbes aufgezwungen werden.

Durch die übermalte, aber mit freiem Auge doch sichtbare bron- cierte Ornamentmalerei werden die figuralen Bilder organischer in das stuckierte architektonische System eingebettet. Das gemalte Ornamentsystem verleiht dem Raum einen „vornehm“ wirkenden Oberflächencharakter, der an Goldschmiedearbeiten ähnlich einem Reliquienschrein erinnert.

Im Bildprogramm ist im Zentrum des Gewölbes die Verklärung Christi dargestellt, die auf einem verbreiteten Vorbild Raffaels im Vatikan (um 1517-1520) und der Vorlage im Kuppelmosaik der Capella Chigi in Santa Maria del Popolo in Rom (1516)

von Raffael beruht. In den umgebenden Kartuschen sind die vier lateinischen Kirchenlehrer (Augustinus, Gregorius, Hieronymus, Ambrosius) als Halbfiguren dargestellt. An den Seitenwänden befinden sich große Ölgemälde — rechts Christus am ölberg und links die Kreuztragung Christi. Darüber sind wie bei einem Altaraufsatz Seccomalereien mit der Geißelung Christi (rechts) und der Dornenkrönung Christi (links) gemalt.

Die Geißelung Christi zeigt einen engen Zusammenhang mit der themengleichen Szene Sebastiano de Piombos in der Cappella Borgherini in San Pietro in Montorio in Rom (1521 und 1524). Auch ein Bild der Verspottung Christi im Kolleg von St. Michael, das Anton Schoonjans zugeschrieben werden kann, fußt offensichtlich indirekt auf diesem römischen Vorbild und ist wahrscheinlich von den Seccomalereien der Vesperbild-Kapelle beeinflußt.

Als Maler der Kapelle wird in den Archiven Ambros Petrucci genannt, der für seine Arbeiten 346 Gulden erhielt. In der einschlägigen Literatur ist er jedoch nicht faßbar. Daß der Künstler in keinem einschlägigen Lexikon zu finden ist, könnte vorläufig ein Hinweis dafür sein, daß er bei geringer eigener Kreativität prominente Vorbilder zitierte und der jeweiligen formalen Gegebenheit angepaßt hat.

Oie Autorin ist Kunsthistorikerin und Mitarbeiterin am Erzbischöflichen Dom- und Diözesanmuseum.

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