6865903-1978_03_05.jpg
Digital In Arbeit

Nach Scheidung von Austro-Porsche: Kreisky-Flirt mit Zwentendorf?

Werbung
Werbung
Werbung

Was Bruno Kreisky in der Frage Zwentendorf am liebsten machen möchte, liegt auf der Hand: Er hofft immer noch, mit sozialpartnerschaftlicher Hilfe des ÖGB den Wirtschaftsbund der ÖVP zu einem Ja zur Atomkraft bewegen zu können, da dieser Flügel der ÖVP noch am ehesten ein schwaches Herz für technokratische Wachstumsargumente haben müßte. Schritt 2 der Kreisky-Strategie wäre dann nicht schwer zu erraten: Er weiß zwar, daß Befürworter und Gegner der Atomenergie in fast auf den Prozentpunkt gleich hohen Anteilen auf die Parteien verteilt sind, traut sich aber zu, in seiner Partei die Atomgegner erfolgreicher zu disziplinieren als er es von der ÖVP für ihr Lager erwartet.

Daß Bruno Kreisky aber - zumindest derzeit - seine Rechnung ohne den Taus macht, ist ebenso klar: Oppositionsführer Josef Taus hält eine im Zeitraum November-Dezember 1977 durchgeführte Fessel-Umfrage in Händen, welche die von der ÖVP im großen und ganzen vor fast einem Jahr eingeschlagene Linie bestätigt: Kein übereiltes Ja zu Zwentendorf,1 solange nicht die Sicherheitsfrage befriedigend gelöst ist, aber auch kein apodiktisches Nein: Denn jeder Technologe integriert sich langfristig in den Fortschritt, wenn sie „keine Wahnsinns-Technologie oder eine überholte Technologie ist“, lautet das Argument im ÖVP-Quartier in der Kärntnerstraße.

Die Fessel-Umfrage zeichnet folgendes Bild: 23 Prozent der Befragten meinen, „Atomkraftwerke sind heute sicher zu bauen und für Österreich notwendig“, 36 Prozent gaben die Antwort: „Atomkraftwerke müssen erst sicher gemacht werden, sind aber dann für Österreich notwendig“. Für die Antwort „Atomkraftwerke können zwar sicher gemacht werden, sollten aber auch dann nicht eingesetzt werden“, entschieden sich 11 Prozent, während 26 Prozent erklärten, „Atomkraftwerke können nach meiner Meinung nie sicher gebaut werden“.

Das Resultat dieser Erhebung ist recht klar: Würde das Kraftwerk Zwentendorf sofort in Betrieb genommen werden, lautete das Verhältnis zwischen Befürwortern und Gegnern 23 : 73; würde noch einige Zeit zugewartet werden, so bestünde die Chance, bis dahin Atomkraftwerke noch sicherer zu machen (oder in der Öffentlichkeit diesen Eindruck zu erwecken), womit das Verhältnis Befürworter zu Gegner 59:37 lauten würde. Logische Schlußfolgerung: Die Bevölkerung hat das Gefühl, daß Zwentendorf nicht übereilt in Betrieb genommen werden darf. Aber immerhin eine deutliche Mehrheit (59 Prozent) wird dann, wenn die Technologie bereits ausgereifter als heute sein wird, Zwentendorf ihre Zustimmung nicht verweigern.

Für die Regierungspartei lautet momentan die Frage: Gelingt es, Atommüll und Brennstäbe der Volkspartei auf den Kopf fallen zu lassen oder muß die endgültige Entscheidung über Zwentendorf bis zu den -notfalls vorverlegten - Nationalratswahlen hinausgeschoben werden? Steigt das Risiko der ersten Alternative, so gewinnt die zweite an Wahrscheinlichkeit; nicht zuletzt auch deshalb, weil bei den nächsten Wahlen die Kandidatur einer Bürgerinitiativen-Partei zu befürchten ist, die für die Mandatschancen aller Parteien gefährlich werden könnte.

Unter dem Druck der Gewerkschaft könnte Kreisky aber durchaus noch in den nächsten Wochen auf die Linie der erklärten Atomkraftfreunde einschwenken. Voraussetzung wäre nur, daß er zu Zwentendorf eine ähnlich irrationale Zuneigung entwickelt wie zuletzt zum Austro-Porsche-Projekt, von dem er persönlich genausowenig verstanden haben dürfte wie von der Kernenergie. Lediglich Leopold Gratz betreibt zur Zeit innerparteiliche Opposition gegen die Kernkraft, sieht man von der seit je ablehnenden Haltung der Vorarlberger SPÖ ab. Energieminister Josef Staribacher ist letztlich auf klarer Gewerkschaftslinie, Hannes Androsch versucht innerparteilich ungeschoren über die Runden zu kommen.

Deutlich wie kaum zuvor hat sich letzte Woche ÖGB-Gewaltiger Anton Benya für die Kernkraft ausgesprochen: „Wir von der Gewerkschaft sind der festen Überzeugung, daß Zwentendorf sobald wie möglich in Gang gesetzt werden soll. Man kann das ruhigen Gewissens verantworten.“ Relativ unbeachtet ist bisher geblieben, daß die Sozialisten, hielten sie sich an ihren Programmentwurf (oder ist er schon überholt, bevor er in Kraft tritt?) ebenso wie Josef Taus für weiteres Zuwarten entscheiden müßten. Im Programmentwurf heißt es: „Auf Grund der unbestreitbaren Gefährlichkeit dieser Technologie entwik-keln sich überall in der Welt große politische Widerstände dagegen... Die Entwicklungen auf dem Gebiet der Atomenergie können keineswegs als endgültig und ausgereift angesehen werden.“

Eine vermittelnde Position zwischen Programmentwurf-Nein und Benya-Ja nimmt der Regierungsbericht über die Atomfrage ein. In der ursprünglichen Fassung hieß es, daß die „Wahrscheinlichkeit eines Reaktorunfalles minimal“ ist und daß sie „in Kauf genommen werden kann“. Klar, daß eine solche Formulierung in Kreisky die Grausbirnen hochsteigen ließ, weshalb er im Herbst die Vornahme „stilistischer Korrekturen“ empfahl. Die „bereinigte Fassung“ lautet nunmehr: „Die Wahrscheinlichkeit eines Reaktorunfalles ist so minimal, daß die Gewinnung von Strom aus Kernenergie als sicherer betrachtet werden kann als die Gewinnung von Strom aus anderen Energiearten“. Eine andere stilistische Korrektur betraf das Lagerproblem. Zuerst hieß es, man habe „noch keine endgültige Lösung gefunden“, in der zweiten Fassung wird diese explizierte Feststellung einfach verschwiegen und in verschwommener Form in den restlichen Text hineingepackt.

Für die Politiker interessante Daten über die Atomkraft hat schon vor einem Jahr und dann noch einmal vor einem halben Jahr das IMAS-Institut im Auftrag des Allensbacher Institutes für Demoskopie zu Tage gefördert. Im Dezember 1976 sowie im Juni 1977 wurde die Frage gestellt: „Wie ist eigentlich Ihre Meinung zu Atomkraftwerken - sind Sie grundsätzlich dafür oder dagegen, daß bei uns in Österreich Atomkraftwerke gebaut wer-den?“Im Dezember 1976 lautete das Verhältnis 30 (Ja): 42 (Nein) und verschob sich bis Juni 1977 auf 34:40. Interessant dabei ist, daß sich die Männer zu Befürwortern der Atomkraftwerke entwickelt haben (45:32, Gegenüber 36:38 im Dezember 1976). Die Ablehnung unter den Frauen wurde in diesem Jahr noch um einen Prozentpunkt signifikanter und betrug im Juni 1977 25 (Ja): 46 (Nein). Die . IMAS-Umfrage stimmt übrigens tendenzmäßig mit den Fessel-Resultaten überein. Der IMAS-Feststellung „Atomkraftwerke sollte man bei uns erst bauen, wenn das Ablagerungsproblem des Atommülls restlos geklärt ist“, stimmten 62 Prozent zu. 58 Prozent der Befragten stimmten mit der Feststellung „Atomkraftwerke sollte man erst bauen, wenn wirklich alle anderen Energiequellen restlos ausgeschöpft sind“ überein.

Wenn am Donnerstag dieser Woche die Parteiobmänner neuerlich in der Atomfrage verhandeln, wird wieder nichts herauskommen: Kreisky wird vergeblich die Strategie der Opposition herauszubekommen versuchen, die Opposition wird an Kreisky neuerlich verschiedene Fragen betreffend die Sicherheit und das Atommüllproblem richten. Ob Bruno Kreisky sich auf das riskante Spiel einer raschen Entscheidung einläßt, ist zweifelhaft.

Weniger zweifelhaft ist, wie Kernkraftgegner behaupten, daß der Verbund in der Lage wäre, das Stromnetz einmal aus „pädagogischen Gründen“ zusammenbrechen zu lassen. Damit könnte der Stimmung in der Bevölkerung etwas nachgeholfen werden. Laut IMAS-Umfrage erklärten von den befragten Männern 41 Prozent, sie würden zeitweilige Stromabschaltungen in Kauf nehmen, ebenfalls 41 Prozent meinten, lieber mit den Gefahren der Atomkraft leben zu wollen. Bei den Frauen waren die Befürworter von Stromabschaltungen mit 50:31 noch deutlich in der Überzahl.

Ob sich das angesichts der heute weitgehend vom Strom abhängigen Haushalte nicht sehr schnell ändern würde?

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung