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Nachkommen für ein Fortkommen
Was hat man für die Wald-viertler nicht schon alles versucht: Straßen wurden gebaut, um sie aus ihrer Randlage zu holen; Gewerbe- und Industriebetriebe wurden errichtet, um ihnen Arbeitsplätze zu geben; Förderungsmittel wurden verteilt, um die Landwirtschaft zu verbessern und Dörfer zu sanieren.
Doch die Abwanderung ließ sich nicht aufhalten und das Schicksal nicht abwenden. Können wir wirklich nur mehr schicksalsergeben zusehen, wie das Land an der Grenze verödet und leer wird? Sind es wirklich nur die Sachzwänge, die Umstände, die politischen Konstellationen, die uns hindern, etwas zu verhindern?
Immer öfter hört man nicht nur Waldviertler sagen und klagen:
„Die Elite ist abgewandert. Die Tatkräftigsten fehlen heute. Die jungen Leute sind nicht mehr da, um durch ihre Nachkommen für ein Fortkommen des Waldviertels zu sorgen!"
Sieht man sich die Menschen näher an, die im äußersten Winkel Niederösterreichs leben, arbeiten und wohnen, dann könnte man meinen, das Waldviertel werde langsam ein großes Altersheim. Doch der Schein trügt.
Es muß uns langsam klar werden: Diese Entwicklung hat einen ganz anderen Sinn gehabt. Wir müssen es nur einmal ganz anders sehen — nicht nur negativ.
Die vielen Waldviertler, die abgewandert sind, sind nicht leichtfertig und bedenkenlos weggezogen, sondern aus einem äußeren Zwang der Situation heraus, dem ein inneres Dilemma vorausgegangen ist.
Ich sage dies deshalb, weil immer mehr der versteckte Vorwurf zu hören ist, das seien „Landesverräter" die ihre Heimat in Stich gelassen haben. Es ging keiner und geht keiner ohne banges Gefühl im Herzen. Es gibt keinen; der sich nicht innerlich nach seiner Heimat zurücksehnt. Und es gibt keinen, der nicht gerne zurückkehren würde. Nur gibt diese Sehnsucht keiner zu.
Wir sprechen heute immer noch sehr pauschal von „den Städtern". Dabei wohnen heute viel mehr ehemalige Landbewohner als echte Städter in unseren Städten. Und sie prägen sehr nachhaltig das städtische Leben. Ja, ohne diese Menschen wäre das Leben in den Städten längst unerträglich geworden!
Das ist die eine Seite. Die andere: Sind wirklich die Besten abgewandert und die „Schlechtesten" zurückgeblieben? Ein oberflächliches und kurzsichtiges Werturteil. Ist ein Bauer, der zurückgeblieben ist, nur deshalb ein Zurückgebliebener, weil er nicht auch abgewandert ist? Sind nicht gerade die wind- und wettergeprüften Bäume die widerstandsfähigsten?
Dem Waldviertel kann es erst besser gehen, wenn wir das städtische und ländliche Leben wieder anders und als zusammenhängende, aber selbständige Einheiten sehen. Die ländliche und städtische Welt muß wieder ins rechte Lot gebracht werden. Und das geht nur, wenn wir uns selbst ändern und zu alten neuen Werten zurückkehren.
Ein grundlegender Fehler war, daß wir geglaubt haben, man müsse nur planen. Immer öfter müssen wir erkennen, daß nicht alles, was wir getan haben, gut und richtig war. Wir müssen immer mehr einsehen, daß wir nicht alles können, was wir glauben tun zu können, und nicht alles tun dürfen, was wir glauben tun zu dürfen. Wir kommen zur Erkenntnis, daß weniger Planung oft eine bessere Planung ist.
Jede Anstrengung für das Waldviertel wird in Zukunft umsonst sein, wenn weiter nach den bisherigen Maßstäben gemessen wird. Und das bisherige Maß ließ nur gelten, was von Nutzen war.
Nach dem Gesetz der größeren Zahl wurden jene Gebiete mehr gefördert, die mehr Menschen aufzuweisen hatten. Nach dem Gesetz der Politik wurde dort mehr getan, wo man sich mehr Erfolg versprach.
So kam das Waldviertel immer mehr ins Hintertreffen. So ist es aber nicht aus dem Entwicklungsrückstand zu holen.
Das größte Zukunftspotential ist mehr denn je der Mensch. Die Waldviertler selbst und die „Aus-landswaldviertler" müssen wir mobilisieren und zur Mitarbeit aktivieren.
Was immer wir auch in Zukunft tun, es wird nur dann gut gehen, wenn wir Vertrauen zum Waldviertel und zu den Waldviertlern haben: Die kleinen Chancen zu nützen - statt auf die großen zu warten, darauf kommt es an. Nicht der Streit, wer wann was machen sollte, führt weiter, sondern nur die Bereitschaft, konkret etwas zu tun.
Der Autor ist niederösterreichischer Landesbeamter (Raumplanung) und Projektmanager für das Walaviertel.
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