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Nachweis österreichischer Einigkeit wurde geliefert

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In welchem Zusammenhang sind das Landesbewußtsein und Gesamtstaatsverständnis in Österreich nach den beiden Weltkriegen zu sehen? Dr. Anton Staudinger vom Institut für Zeitgeschichte der Universität Wien ist diesem Problemkomplex nachgegangen. Er hat seine Forschungsergebnisse in einem Artikel zusammengefaßt, der in austriaca“ des „Centre d'Etudes et de Recherches Autrichiennes“ erscheinen wird. Hier Auszüge aus der Arbeit von Dr. Staudinger:

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In welchem Zusammenhang sind das Landesbewußtsein und Gesamtstaatsverständnis in Österreich nach den beiden Weltkriegen zu sehen? Dr. Anton Staudinger vom Institut für Zeitgeschichte der Universität Wien ist diesem Problemkomplex nachgegangen. Er hat seine Forschungsergebnisse in einem Artikel zusammengefaßt, der in austriaca“ des „Centre d'Etudes et de Recherches Autrichiennes“ erscheinen wird. Hier Auszüge aus der Arbeit von Dr. Staudinger:

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Als im Auflösungsprozeß der Habsburgermonarchie auch aus den deutschsprachigen Gebieten ein Staat gebildet werden sollte, bestimmten die „historisch-politischindividuellen“ Länder (Niederösterreich, Oberösterreich, Steiermark, Tirol, Vorarlberg, Kärnten, Salzburg) die Entwicklung wesentlich mit. Während die Länder nicht nur als soziale, wirtschaftliche und politische Gebilde bereits organisiert und in ausgeprägtem, bis ins Mittelalter zurückreichenden Landesbewußtsein verankert waren, mußte die Staatlichkeit der österreichischen Republik erst organisiert werden - eines Staates, der auch des Staatsbewußtseins entbehrte.

Zudem glaubten sowohl die von den bürgerlichen Parteien und insbesondere von der Christlichsozialen Partei dominierten Länder als auch die gesamtstaatlich orientierten politischen Faktoren wie die in Wien dominierende Sozialdemokratische Partei, die österreichische Staatlichkeit nur unter der Perspektive der Vereinigung mit dem Deutschen Reich sehen zu müssen.

Die Vorstellungen über die Verwirklichung des Anschlusses unterschieden sich nicht nur auf Parteiebene, sondern eben auch nach Landes- und Staatsbewußtsein: nämlich länderweiser Anschluß nach Landesinteressen oder Anschluß des Gesamtstaates. Erst die Verhinderung solcher Bestrebungen durch die Pariser Friedenskonferenz und die verordnete Eigenstaatlichkeit, beziehungsweise deren Konsumierung im Verlaufe der Ersten Republik, schuf Grundlagen für ein österreichisches Staatsbewußtsein.

Trotz der partikularistischen und separatistischen Tendenz auf Landesebene leisteten die Länder nach dem Ersten Weltkrieg doch auch ei-

„Die Voraussetzungen unterscheiden sich vor allem in der Einstellung zum Staat“

nen positiven Beitrag zur Staatswerdung Österreichs: Durchsetzung der Entscheidung für die republikanische Staatsform vor allem innerhalb der Christlichsozialen Partei und Übernahme dringlichster Verwaltungsaufgaben auf Länderebene, bevor noch ein staatliche Verwaltungsorganisation hatte aufgebaut werden können.

Thesenhaft sei präsentiert:

• Wohl entstand die Republik Österreich in beiden Fällen durch Loslösung aus einem größeren staatlichen Zusammenhang (Österreich-Ungarn, Deutsches Reich). Aber die Voraussetzungen unterschieden sich vor allem in der Einstellung zum Staat: mußte die republikanische österreichische Staatlichkeit nach der Auflösung der Monarchie erst eingerichtet werden, beziehungsweise wurde 1918 und danach die Lebensfähigkeit dieses österreichischen Staates in Österreich selbst weitestgehend bestritten und eine Vereinigung mit dem Deutschen Reich angestrebt, so wollte die , österreichische Politik nach 1945 bewußt die vor dem Anschluß praktizierte demokratische Eigenstaatlichkeit in den Normen der Verfassung von 1929 fortsetzen.

• So wie nach dem Ersten Weltkrieg (Anschlußverbot durch die Entente) bestimmen auch nach der Niederlage

des deutschen Faschismus Faktoren von außen die Errichtung Österreichs wesentlich mit: Wiederherstellung eines selbständigen demokratischen österreichischen Staates als eines der allierten Kriegsziele (Moskauer Deklaration 1943).

Allerdings erfolgte die Konstituierung der staatlichen Regierungsinstitutionen und jener der Länder zu Beginn der Republik 1918 ohne direkte Einflußnahme der Entente.

1945 hingegen wurde die Provisorische Staatsregierung von einer der alliierten Siegermächte, der Sowjetunion, eingesetzt.

• Partikularistische und separatistische Bestrebungen der österreichischen Länder wie nach 1918 sind 1945 nicht wirksam geworden.

Gemeinsam mit den politischen Parteien, die sich nach anfänglichen Schwierigkeiten (vor allem in der ÖVP) bundesweit organisierten, lieferten schließlich die Länder auf den im September und Oktober 1945 abgehaltenen gesamtösterreichischen Länderkonferenzen - insbesondere durch Sanktionierung der von Seiten der Regierung Renner bereits getroffenen politischen Entscheidungen -den für die Anerkennung der Provisorischen Staatsregierung durch die westlichen Alliierten wesentlichen Nachweis österreichischer Einigkeit.

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