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Nackte Zahlen, harte Sprache

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Funktionäre der Ärztekammer malten Anfang Dezember das Gespenst einer drohenden Ärztearbeitslosigkeit an die Wand: „Der österreichischen Ärztekammer geht es mit dieser Flucht an die Öffentlichkeit vor allem darum, zu verhindern, daß Studenten, die heute oder morgen ihr Medizinstudium beginnen, nach der Promotion arbeitslos vor den Türen der Spitäler stehen.“ Bereits einige Wochen vorher hatten die Studentenvertreter der Medizinischen Fakultät der Universität Wien — allerdings mit anderem Ziel — Alarm geschlagen: den rund 1400 Erstinskribenten an der Fakultät steht eine Kapazitätsgrenze von 720 Studenten pro Jahr gegenüber! Die Folgerung lautete: „Ärzteausbil-düng schwer gefährdet“ und das Ziel der Federungen war, „die Ausbildung für alle Studenten unter besseren räumlichen und personellen Voraussetzungen sicherzustellen“.

Die Ressortverantwortlichen, Wissenschaftsminister Firnberg — für die Medizinerausbildung — und Gesundheitsminister Leodolter — für die Sicherstellung der medizinischen Versorgung — reagierten gelassen. Frau Firnberg beantwortete die von den Studenten aufgeworfene Frage mit der Feststellung, daß die „Ausbildung der Medizinstudenten gesichert ist“ („Arbeiter-Zeitung“, 1. November 1975), Gesundheitsminister Leodolter sah das von den Ärztevertretern aufgeworfene Problem mit der Begründung nicht ein, weil „eine große Pensionierungswelle auf uns zukommt und daher Ärzte gebraucht werden“ (Kurier, 12. Dezember 1975).

Ob es nun in einigen Jahren eine Ärzteschwemme geben wird und junge Mediziner eine Arbeitslosigkeit zu befürchten haben, oder ob zur Verbesserung der ärztlichen Versorgung und Betreuung der Bevölkerung auch in Zukunft jeder Arzt gebraucht werden wird, ist aber sachlich am besten durch nackte Zahlen festzustellen. Diese Zahlen sind in einer detaillierten und umfassenden Untersuchung des Instituts für Gesundheitswesen enthalten, die als Analyse der ärztlichen Versorgung Österreichs sehr aufschlußreich ist.

Mit einer Arztdichte von etwa 538 Einwohnern pro Arzt liegt Österreich im Vergleich zu anderen Ländern sehr günstig. In der Bundesrepublik Deutschland kommen auf einen Arzt zirka 560 Einwohner, in Dänemark etwa 613 Einwohner und in Holland auf einen Arzt zirka 760 Einwohner.

Dieser generell befriedigenden Situation in der Versorgung stehen jedoch starke regionale Unterschiede gegenüber. Dazu einige Beispiele: • 1974 hatte ein niedergelassener praktischer Arzt im Durchschnitt 1750 Einwohner zu versorgen. Bis zu 2800 Einwohner pro praktischen Arzt waren es jedoch in den politischen Bezirken Güssing, Klagenfurt-Land, Gmünd, Linz-Land und Feldkirch.

• Die Versorgungsdichte mit Frauenärzten liegt bei zirka 6000 Frauen (ab dem 15. Lebensjahr) pro Gynäkologe. In einigen Bezirken wird dieser Durchschnittswert stark überschritten. So kommen beispielsweise in den Bezirken Feldbach, Leibnitz, Amstetten, Melk, Linz-Land, Villach-Land und Innsbruck-Land auf einen Gynäkologen mehr als 25.000 Frauen!

• Die durchschnittliche Arztdichte bei Kinderärzten beträgt etwa 5000 Kinder (bis zu 14 Jahren) pro niedergelassenem Kinderarzt. In einer Reihe von Bezirken in Österreich mit bis zu 15.000 Kindern gibt es überhaupt keinen oder nur einen Kinderarzt (Oberpullendorf, Völkermarkt, Rohrbach, Feldbach, Weiz). • Die Versorgung der Bevölkerung mit Zahnbehandlem liegt in Österreich im Durchschnitt bei etwa 2300 Einwohnern pro Zahnbehandler. In Eisenstadt-Umgebung kommen auf einen Zahnbehandler 11.000 Einwohner und in Graz 6100 Einwohner.

Ein weiteres Problem, das die Versorgungsgüte entscheidend mitbestimmt, ist die Frage der kassenärztlichen Versorgung, also die Betreuung durch Ärzte, die einen Vertrag mit einer der großen Krankenversicherungen hat, bei denen der Großteil der Österreicher versichert ist.

Auch hier sind erhebliche regionale Unterschiede festzustellen. So haben in Wien nur 48 Prozent der praktischen Ärzte einen Kassenvertrag, im Burgenland hingegen 79 Prozent und in Oberösterreich immerhin noch 71 Prozent. Bei den Fachärzten sieht es noch schlimmer aus:nur 34 Prozent der Fachärzte in Wien haben einen Kassenvertrag, in ganz Österreich sind es auch nur 41 Prozent der Fachärzte, die einen Vertrag mit einer der großen Krankenkassen haben. Fachärzte zeigen überhaupt die Tendenz, keine Kassenverträge abzuschließen.

Die Altersstruktur der Ärzteschaft zeigt weiters, daß in den nächsten zehn Jahren 34 Prozent aller Ärzte das 65. Lebensjahr überschreiten werden. Bei den praktischen Ärzten werden es sogar 52 Prozent sein, bei den Fachärzten 34 Prozent der jeweiligen Fachgruppe. In den kommenden Jahren müßten sich daher, um den gegenwärtigen Versorgungsgrad aufrecht erhalten zu können, etwa 2500 praktische Ärzte und etwa 1600 Fachärzte niederlassen.

Die dafür in Frage kommende Gruppe umfaßt derzeit etwa 1400 Ärzte in Ausbildung zum praktischen Arzt und 1500 in Ausbildung zum Facharzt.

Damit zeigt sich, daß der Bedarf an Fachärzten für den Prognosezeitraum bis 1985 durch die in Ausbildung stehende Gruppe gedeckt sein dürfte. Hingegen ist abzuschätzen^ daß sich die Situation in der Versorgung mit praktischen Ärzten verschärfen wird, wenn nicht mehr junge Mediziner die Laufbahn des praktischen Arztes einschlagen.

In der Studie des Instituts für Gesundheitswesen wird zusammenfassend die Meinung vertreten, daß bei gleichbleibenden Pxomotionszahlen für den längerfristigen Prognosezeitraum nach 1985 der Mehrbedarf in den medizinischen Wissenschaften, medizinischen Technologien, im expandierenden Gesundheitswesen und für dessen neue Organisationsformen ausreichend gedeckt sein wird. Diese Feststellung würde die Meinung jener unterstützen, die vor einer Ärzteschwemme warnen, wenn auch schwer festzustellen ist, wieviel Ärzte zur bestmöglichen Versorgung der Bevölkerung in einem sich ausweitenden Gesundheitswesen in Zukunft gebraucht werden.

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