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Nahost in den Krallen des Terrors

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Weihnachten in Israel: Der Nahost-Friedensprozeß ist schwer gefährdet. Israels Premier Jizchak Rabin reagierte auf die Mordtaten von Hamas mit Ausweisungen. Ex-Verteidigungs- und Ex-Wohnungsbau-Minister Ariel Scharon fordert die Tötung jedes bewaffneten Terroristen.

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Weihnachten in Israel: Der Nahost-Friedensprozeß ist schwer gefährdet. Israels Premier Jizchak Rabin reagierte auf die Mordtaten von Hamas mit Ausweisungen. Ex-Verteidigungs- und Ex-Wohnungsbau-Minister Ariel Scharon fordert die Tötung jedes bewaffneten Terroristen.

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Es kam alles nicht zufällig. Nicht nur die Intifada jährte sich zum fünften Mal; es war auch der 25. Jahrestag der Gründung der Volksfront zur Befreiung Palästinas, vor allem aber der fünfte Geburtstag von Hamas, was soviel heißt wie Harakat al-muqawama al-islamiyya - islamische Widerstandsbewegung. Das Wort bedeutet auch Kampfgeist, Enthusiasmus.

Militanter Islam macht sich nicht nur in den besetzten Gebieten, sondern auch im Libanon bemerkbar. Die Gotteskämpfer der schiitischen Hezbollah machtender israelischen Armee zu schaffen. Aber auch die Intifada selbst hat ihr Gesicht verändert. Während sie in den ersten Jahren als politische Massenbewegung zu verstehen war, die einige Erfolge zu verzeichnen hatte, kam es nach dem Golfkrieg und den schleppenden Friedensverhandlungen seit der Konferenz von Madrid (Oktober 1991) zu einer Differenzierung beziehungsweise Regression.

Jene Teile der politisierten Kräfte, die einen Ausverkauf palästinensischer Interessen befürchteten, wandten sich nicht nur in bewaffneten Aktionen gegen die israelische Besatzungsmacht, sondern auch immer mehr gegen der Kollaboration verdächtigte Palästinenser beziehungsweise auch gegenwärtige Repräsentanten bei den Verhandlungen in Washington.

Es war eigentlich die Intifada gewesen, welche es der PLO erlaubte sich auf eine Zwei-Staaten-Lösung festzulegen und so die gegenwärtigen Verhandlungen möglich zu machen. Indirekt hat sie auch den Ausgang der israelischen Wahlen vom Juni 1992 beeinflußt. Denn der Anteil der Israelis, die sich für eine politische Beendigung des Konflikts aussprachen, nahm zu - besonders wegen des Verhaltens der Bush-Administration.

Die Hoffnungen, die durch den Regierungswechsel in Jerusalem ausgelöst wurden, konnten bisher nicht erfüllt werden; sie trugen aber zu einer Polarisierung in beiden Lagern bei. So erklärten Vertreter der Siedler und der israelischen Rechten die Zunahme von palästinensischen Anschlägen als direktes Resultat der angeblich „weichen" Regierung Rabin. Stellvertretend sei der Führer der Tsomet-Partei und ehemalige Generalstabschef Raffael Eitan zitiert, der noch vor der Entführung und Ermordung des israelischen Grenzpolizisten Shmuel Toledano erklärte: „Wir müssen die Familien von steinewerfenden Kindern deportieren. Wir müssen jeden Araber erschießen, der Soldaten oder Zivilisten bedroht. Es hat keinen Sinn, terroristische Mörder vor Gericht zu stellen." (Eitan war ernsthaft von Rabin als Koalitionspartner umworben worden).

Durch die Entführung sollte der Hamas-Gründer und Führer Scheich Achmed Jassin freigepreßt werden. Die Intifada war weder in ihren Zielen, noch in ihren Aktionsformen wesentlich vom Islam geprägt gewesen. Zwar ist eine gewisse Religiosität für die meisten islamischen Palästinenser typisch, nicht aber eine „islamistische" politische Ausrichtung.

Hamas war aus der Bewegung der Moslembrüder hervorgegangen, die in Palästina nie sehr einflußreich war. Sie existiert überall in der arabischen Welt, richtet sich gegen westliche Einflüsse, fordert eine Rückkehr zum „wahren" Islam und die Wiedereinführung der Scharia, des islamischen Rechts, Durch die Revolution im Iran erfuhren die Moslembrüder einen gewissen Aufschwung, auch in Palästina.

Nur empfanden sie sich dort in unmittelbarer Konfrontation mit dem „Bösen": mit Israel, dem Westen, aber auch mit säkularen Ideologien wie Kommunismus und (auch palästinensischem) Nationalismus. Sie hoben die Bedeutung Palästinas und Jerusalems für den Islam besonders hervor und interpretierten den Konflikt mit Israel als Fortsetzung der Auseinandersetzungen des Propheten Mohammed mit jüdischen Stämmen auf der araabischen Halbinsel. Weil sie jahrelang politisch nicht aktiv gegen Israel aufgetreten waren, wurden sie von den Besatzungsbehörden geduldet und als nützliche Rivalen der PLO angesehen.

Im Jänner 1980 verwüsteten sie den Sitz des „Roten Halbmonds" in Gaza, der vom gegenwärtigen Führer des palästinensischen Verhandlungsteams, Haider Abdul Schafi, geleitet wurde. Hamas ist in Gaza viel stärker als auf der Westbank, wo auch viele Christen leben. Ihr Einfluß nimmt jedoch zu, wenn der Kampf nationalistischer Kräfte wenig Erfolg verspricht. Sie konnte zwar in vielen Bereichen der Gesellschaft die Rückkehr zu islamischer Kleidung und Traditionen erzwingen, war aber nicht in der Lage, der Intifada insgesamt ihre politische Ausrichtung aufzuprägen.

Hamas ist „natürlich" gegen einen palästinensischen Staat neben Israel. Eine ihrer Losungen lautet: „Das Verschwinden Israels ist eine schon im Koran festgestellte Geschichtsnotwendigkeit!" Sie kann damit aber auch an bestimmte Vorbilder in der palästinensischen Bewegung der dreißiger Jahre anknüpfen. Mit der Losung „Izzadin ist überall!" wird auf Izzadin al-Kassem Bezug genommen, der während des Aufstands 1936 bis 1939 eine islamisch inspirierte Guerillabewegung anführte und von den britischen Mandatsbehörden getötet wurde.

Die palästinensische Sprecherin Hannan Ashrawi (eine christliche, westlich gebildete Intellektuelle) verurteilte die Entführung. Sie mußte aber auch gegen die Ausweisung von 415 Hamas-Aktivisten protestieren und die Verhandlungsbereitschaft (vorübergehend) aufkündigen. Die Verhandlungen sind festgefahren. Es geht um Autonomie-Entwürfe als Übergangsform.

Übergang wohin? Das ist jetzt die Frage. Den Palästinensern geht es um eine Regelung, die spätere Souveränitätsansprüche nicht präjudiziell. Alles blickt aber auch auf Bill Clinton. Wird er im Friedensprozeß intervenieren, wie es Bush und Baker getan haben? Wird die PLO doch in die Gespräche einbezogen werden? Einige Anzeichen deuten darauf hin. Immerhin soll das Gesetz, das den Kontakt mit ihr kriminalisiert, aufgehoben werden.

Für die USA bleibt der Nahe Osten auch im Kontext der Rivalität mit Europa und Japan eine strategisch wichtige Region, deren Stabilität durch eine Entschärfung von Konfliktursachen gewährleistet werden soll. Eine amerikanische Rolle bleibt notwendig, um zu vermitteln, eine negative Dynamik zu bremsen und „Unruhen" zu vermeiden. Clinton wird zwar innenpolitische Prioritäten setzen, er hat aber auch erklärt, eine prinzipiengeleitete Außenpolitik zu betreiben und demokratische Anliegen international zu unterstützen.

Die starke Unterstützung, die er von der jüdischen Öffentlichkeit in den USA erhalten hat, sollte nicht als Hindernis für eine solche Orientierung betrachtet werden. Eines ist sicher: die USA werden weiterhin ein kräftiges Wort bei der Entwicklung des Nahen Ostens mitzureden haben.

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