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Narr oder Sonderling?

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Als Gegenstück zum Buch über Kaiserin Elisabeth (siehe „Furche“ Nr. 34) ist im gleichen Amalthea- Verlag (Wien-München) ein ebenso prachtvoll ausgestattetes Buch über den bayrischen König Ludwig II. (1845 bis 1886) erschienen. Ludwig II. von Bayern war ein „Märchenkönig“, um dessen Leben ein Hauch von später Romantik liegt. Sein Tod in den Wassern des Starnberger Sees ist bis heute ein tragisches Rätsel. Und obwohl dieser König politisch von keiner großen Bedeutung war, läßt sein Geschick die Menschen nicht zur Ruhe kommen und sie immer wieder nach den Gründen der Tragödie dieses Königs fragen. Und es ist tatsächlich eine zutiefst menschliche Tragödie, die das Leben dieses Herrschers darstellt.

Mit 16 Jahren wurde Ludwig II. schon König. Er muß von einer berückenden Schönheit gewesen sein, die alle Welt in den Bann zog. Aber er kam völlig unvorbereitet zur Regierung. Die Eltern hatten ihm keine entsprechende Erziehung gegeben, ja noch mehr, die Eltern hatten den Prinzen in einer Atmosphäre aufwachsen lassen, die ihn schon in jungen Jahren zerbrechen und für das Leben unfähig machen mußte. Sein Vater erzog ihn spartanisch. Er mußte immer früh aufstehen, erhielt nur eine magere Kost, sehr viel Unterricht, strenge Strafen auch bei den geringsten Vergehen und nur ein paar Kreuzer Taschengeld. In letzter Tatsache liegt schon der Umstand begründet, daß Ludwig II. als König sein Geld mit vollen Händen hinauswarf. Denn wer als Kind nicht mit Geld umzugehen lernt, dem wird es einst durch die Finger rinnen.

Seine Mutter haßte Ludwig II. sein Leben lang. Er sprach von ihr nur als „die Frau meines Vorgängers“. Sie war eine preußische Prinzessin und die Aversion gegen Preußen, die

Ludwig II. mit allen Bayern gemeinsam hatte, muß mit ein Grund seines Hasses gegen sie gewesen sein. Allerdings wohl nicht der ausschlaggebende. Sicher hatte sie es versäumt, dem kleinen Prinzen jene Nestwärme zu geben, die jedes Kind benötigt Das Kind und der junge Prinz wurden durch diese Erziehung völlig menschenscheu und kontaktarm. Ja, hatte Angst, Entscheidungen zu treffen. Und Ludwig II. sollte so sein Leben lang bleiben. Der König mied jeden Kontakt; mit seiner Regierung, mit seinen Untertanen, mit Menschen überhaupt. Er besuchte als König sehr oft das Theater. Aber die Vorstellungen mußten vor ihm allein stattflnden. Er gab Diners, aber nur er allein nahm daran teil. Und er fand überhaupt nicht den geringsten Kontakt zu Frauen. Hier beginnt eines der tragischesten Kapitel des Königs. Während manche Mütter ihre Söhne so okkupieren, daß sie dadurch jeden Kontakt zu Frauen unterbinden, können wieder andere Mütter einfach dadurch, daß sie ihren Söhnen nicht genügend mütterliche Wärme schenken, den Zugang zu Frauen verbauen. Und letzteres war bei Ludwig II. der Fall. Aber natürlich hatte auch er den Wunsch nach Liebe, und so kann sich jedermann ausmalen, welcher Form von Liebe er sich zuwandte.

Es waren keine Frauen …

Was warf man diesem König eigentlich vor? Daß er irrsinnige Summen für völlig zwecklose Schloßbauten im historisierenden Stil hinauswarf. Gewiß gab er sehr viel Geld für die Erbauung von Hohenschwangau, Linderhof und Herrenchiemsee aus. Aber es war in erster Linie sein eigenes Geld beziehungsweise waren es die Gelder seiner Zivilliste, die er für diese Bauten verwendete. Er hat damit hunderten und aberhunderten von Menschen durch lange Zeit einen guten Verdienst verschafft. Ein Verbrechen ist dies wahrlich nicht. Hätte er diese Gelder verwendet, um damit Rüstungen zu finanzieren, dann hätte ihn wahrscheinlich alle Welt als einen großen Monarchen gepriesen. Das Bauen, noch dazu das Bauen in historisierenden Stilen war übrigens ein Ausdruck seiner Zeit. Alle Welt baute. Die Herrscher, wie Napoleon III. und Wilhelm L; die Industriebarone, die Magistrate. Und alle bauten im historisierenden Stil. Postämter erhielten Ecktürme mit Schießscharten, Bahnhöfe romanische Portale, Spitäler arabische Wandelhallen, Villen barocke Fassaden. Die Bauwut Ludwigs II. folgte somit nur einem Zug der Zeit. Gewiß, seine Bauten waren nicht immer schön, aber auch die Siegesallee in Berlin ist (oder richtiger war, denn sie wurde im zweiten Weltkrieg zerstört) vollendeter Kitsch.

Für Ludwig II. war dieses Bauen die Flucht in einen Traum. In den Traum des Hauses Wittelsbach nach Größe und Bedeutung. Diese uralte Dynastie, die länger als die Habsburger oder gar die Hohenzollern regierte, hatte innerhalb der deutschen Geschichte immer eine zweite Rolle spielen müssen. Und innerhalb der europäischen nur zu oft eine klägliche. Alle Versuche, einmal eine große Rolle zu spielen, scheiterten immer wieder. Nur zweimal gelang es dem Haus Wittelsbach, die römische Kaiserkrone zu erwerben. Einmal im 14. und einmal im 18. Jahrhundert. Über Karl VII., der von 1742 bis 1745 regierte, spottete alle Welt in Abwandlung des alten lateinischen Sprichwortes „et Caesar et nihil“. Die Schloßbauten Ludwigs II. sind nichts anderes als der zu Stein gewordene Traum des Hauses Wittelsbach, in der Welt eine große Rolle zu spielen, wie sie im Mittel- alter die Kaiser und in der Neuzeit Ludwig XIV. von Frankreich gespielt hatte. Die Gelder, die Ludwig II. für diese Bauten hinauswarf, kamen inzwischen hundertfach wieder herein. Denn Schlösser bilden eine erstklassige Attraktion für den Fremdenverkehr.

Er gab auch unendlich viel Geld für Theaterbauten und Theateraufführungen aus. Dem König ist es allein zu verdanken, daß Richard Wagner sein Werk zu ‘einer derartigen Höhe führen konnte. Ohne Ludwig II. gäbe es wahrscheinlich keinen Ring der Nibelungen und keinen Parsifal. Denn Ludwig II. war es, der das Genie Richard Wagner entdeckte und immer wieder förderte.

Er warf viel Geld für Bauten hinaus und für Theateraufführungen, er hatte auch sonst merkwürdige Schrullen. So baute er sich eine Grotte und fuhr darin auf einem Kahn, der von einem Schwan gekrönt war, herum. Aber auch diese Schrullen waren nicht nur dem König eigen, sie gehörten zum Bild der Zeit. Wilhelm II. liebte es, einen Helm zu tragen, der von einem Lohengrin-Schwan gekrönt war und Theodor Herzl, der ideelle Begründer des Staates Israel, träumte, daß sein Sohn der erste Herrscher dieses Staates sein werde und beim Regierungsantritt eine Tracht wie ein Doge von Venedig tragen werde und von einer Eskadron „Herzl-Küras- sieren“ beschützt werde.

Seine mangelnde Kontaktfähigkeit sowie seine Unfähigkeit, sich entscheiden zu können, hatte dreimal tragische Konsequenzen: 1866

kämpfte Bayern auf der Seite Österreichs, aber der König konnte sich nicht entscheiden, die bayrische Armee entweder mit der hannovra- nischen zu vereinigen, wodurch die preußische Flanke sehr bedroht gewesen wäre, oder seine Armee, ähnlich wie die sächsische, mit der österreichischen zu vereinigen, die dann auf jeden Fall das Übergewicht gegenüber der preußischen gehabt hätte. Vielleicht hätte es dann kein Königgrätz gegeben.

1870 wiederum war es seine Ent- schlußlosigkeit und seine Scheu vor Entscheidungen, die es verhinderten, daß Deutschland auf einer anderen Basis geeinigt wurde, als sie dann Bismarck vollzog.

Bismarck, der in der Politik manchmal wie ein Gangster handelte (ähnlich wie sein italienischer Zeitgenosse Cavour, der einmal den bemerkenswerten Ausspruch tat: „Wenn wir im Privatleben alles das täten, was wir in der Politik tun, dann wären wir lauter Lumpen“), war wie so viele Gangster auch ein guter Psychologe, der scharfsinnig die schwachen Stellen seiner Partner erkannte. So auch im Falle Ludwigs II.

Er bemerkte sofort die Unfähigkeit Ludwigs II., sich entscheiden zu können, und Wußte nur zu gut, daß solche Menschen gerne bereit sind, ihnen vorgelegte Entscheidungen zu akzeptieren, wenn dabei nur halbwegs ihr Gesicht gewahrt wird. Dies nützte Bismarck aus. Er „kaufte“ sich den Grafen Holstein, gab diesem das Konzept eines von ihm verfaßten Briefes mit, mittels dessen Ludwig II. als „erster“ unter den deutschen Fürsten den König von Preußen bat, die deutsche Kaiserkrone anzunehmen. Mit diesem Trick war das Gesicht Ludwigs II. gewahrt, und er sandte brav diesen Brief an Wilhelm I., ohne irgendeine Gegen- rechnung zu präsentieren. Bismarck beruhigte Ludwig II. außerdem noch damit, daß er Bayern einige Sonderrechte zugestand, die politisch völlig belanglos waren, aber Ludwig II. zunächst das Gefühl — und nicht mehr — gaben, eine echte Souveränität zu besitzen. So durfte Bayern eigene Briefmarken herausgeben, was höchstens für die bayrischen Finanzen von Bedeutung war, es hatte eine selbständige Armee, was nichts besagte, denn diese war im Kriegsfall dem preußischen Kommando unterstellt, es hatte das aktive und passive Gesandtschaftsrecht, das ebenfalls politisch wertlos war, denn die bayrischen Gesandten im Ausland konnten doch nicht die Politik der deutschen Botschafter konterkarieren, und es hatte eine eigene

Eisenbahnverwaltung, welche den Bayern das beruhigende Gefühl gab, in Waggons zu reisen, die die Aufschrift trugen „Kgl. bayrische Staatsbahnen“. In Wirklichkeit war es natürlich mit der bayrischen Selbständigkeit ebenso dahin wie mit jener der anderen deutschen Bundesstaaten, die seit der Proklamierung des deutschen Kaiserreichs in Versailles 1871 mehr oder minder Vasallen von Preußen geworden waren. Ludwig II. merkte nur zu bald, daß es mit der Selbständigkeit Bayerns dahin war, und seine Aversion gegen Preußen wurde noch stärker, aber es war zu spät.

Bismarck, der, wie so manche Gangster, manchmal aber auch ein Mitgefühl mit seinen Opfern hatte, gab dann Ludwig II., als die Gefahr seiner Absetzung immer näher rückte, den Rat, sich an die Spitze seiner Truppen zu setzen und in München einzumarschieren (und das Ministerium und die übrige Wittelsbacher Familie zum Teufel zu jagen). Bismarck wußte, daß das bayrische Volk diesen schüchternen, schönen, unglücklichen König liebte, der den Traum von der Größe Bayerns weiterspann. Aber der König war einfach unfähig, eine solche Tat zu setzen. Und so kam es zur Tragödie seiner Internierung.

Seine Internierung im Jahre 1886 war ein glattes Verbrechen. Eine von der Regierung zusammengesetzte Kommission von Irrenärzten erklärte Ludwig II. für unfähig, länger an der Macht zu bleiben. Man schickte zu ihm eine Abordnung, um ihn zur Abdankung aufzufordern, der sich der König aber ganz energisch widersetzte. Am 11. Juni 1886 bemächtigte sich eine Kommission, angeführt vom Irrenarzt Dr. Gudden, des Königs und brachte ihn auf Schloß Berg am Starnbergersee. Aber die Internierung dauerte nur zwei Tage. Denn am 13. Juni 1886 wurden der König und Dr. Gudden im See ertrunken aufgefunden. Bis heute ist es nicht geklärt, wieso es zu dieser Katastrophe kam. Und niemand.

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