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Nationalistischer Eifer
Am 1. September haben die Slowaken mit großer Mehrheit der Abgeordneten im Nationalrat, also im Parlament von Bratislava, ihre neue Verfassung angenommen. Dagegen gestimmt haben nur die Christdemokraten der KDH des ehemaligen Premierministers Jan Carnogursky, die für eine föderalistische Lösung - also gegen die Trennung von Prag -sind.
Am 1. September haben die Slowaken mit großer Mehrheit der Abgeordneten im Nationalrat, also im Parlament von Bratislava, ihre neue Verfassung angenommen. Dagegen gestimmt haben nur die Christdemokraten der KDH des ehemaligen Premierministers Jan Carnogursky, die für eine föderalistische Lösung - also gegen die Trennung von Prag -sind.
Die Vertreter der bedeutenden ungarischen Minderheit verließen den Saal vor der Abstimmung. Ein Zeichen dafür, daß sich die 600.000 Ungarn in der Slowakei bald abspalten werden, weil sie die gewünschte Autonomie nicht erlangten? „In der Slowakei ist die Lage nicht gleich wie in Jugoslawien", meinen Beobachter; die meisten ungarischen Abgeordneten sind ebenfalls dieser Meinung.
„Im allgemeinen ist die Lage in der Slowakei für die Ungarn eher ruhig. Es kann schon vorkommen, daß jemand - wenn er betrunken ist - aggressiv wird, aber das gibt es überall... Als ich die Universität besuchte, konnte ich nicht gut slowakisch, aber die Professoren haben Verständnis gezeigt." Bela Bugär ist Parlamentsabgeordneter magyarischer Herkunft. Er gehört zu den 600.000 Mitgliedern der ungarischen Minderheit in der Slowakei (elf Prozent der Bevölkerung) und kämpft - auch weiterhin - für die Autonomie der Ungarn im neuen slowakischen Staat.
Stolz und zugleich mit Angst vor der Zukunft haben die Slowaken reagiert, als am 17. Juli die Souveränitätserklärung vom Parlament in Bratislava verabschiedet, am 27. August die Auflösung der Tschecho-Slowa-kischen Föderation für Jahresende angekündigt und am 1. September die neue slowakische Verfassung angenommen wurde. Manche Kreise der slowakischen Intellektuellen und die ungarische Minderheit zeigen offen ihre Ratlosigkeit angesichts der „Scheidung" von Prag. Die Ideen von Premierminister Vladimir Meciar und seine nationalistischen Tiraden beunruhigen die „kleinen Leute" noch nicht.
Bela Bugär ist 34 Jahre alt und Ingenieur in der Maschinenindustrie; er wohnt in Samorin, einem der vielen Städtchen am linken Donauufer, wo Ungarn leben. Der Abgeordnete und Präsident der ungarischen christdemokratischen Bewegung MKDM (Magyar Kereszteny Demokrata Moz-galom) mit seinem jugendlichen „Managerlook" wirkt auf den Besu-
cher eher gemäßigt in dem, was er sagt. „Wir sind keine Separatisten, wir kämpfen nur dafür, daß alle Bürger die gleichen Rechte haben", auch wenn der Trianon-Vertrag, der Ungarn 1920 einen großen Teil „seines" Territoriums nahm, ihm gewissermaßen im Halse stecken bleibt.
Die Parteien der ungarischen Minderheit „Együttelles" („Zusammenleben") und die ungarische christdemokratische Partei MKDM, die zusammen 14 Sitze im Parlament von Bratislava gewonnen haben, verlangen schulische und kulturelle Autonomie für die Ungarn. Nup, da es die Tschecho-Slowakei bald nicht mehr geben wird und die Unabhängigkeit der Slowakei bevorsteht, empfindet die ungarische Minderheit einen unbestimmten psychologischen Druck. „Wir können das noch nicht so ganz mit objektiven Tatsachen begründen", bemerkt Bela Bugär, der allerdings Fälle von Reibereien zwischen verschiedenen Gemeinschaften erwähnt, die aufgetreten sind, seit die Nationalisten die Oberhand gewonnen haben. Er trauert schon beinahe der Ze,it der Kommunisten nach, die „auf nationaler Ebene keine Unterschiede machten".
Staatssprache slowakisch
In manchen Orten will man auf dem Zivilstandesamt keine typisch ungarischen Namen mehr registrieren, so Bugär. Auch hätten gewisse chauvinistische Äußerungen des slowakischen Premierministers Meciar die ungarische Minderheit beunruhigt, die für die Zukunft eine härtere Linie fürchtet. Die neue Verfassung hält in ihrer Präambel fest, daß sie vom „slowakischen Volk" erarbeitet wurde. Die Ungarn hätten gewünscht, man wäre davon ausgegangen, daß die Verfassung ein Werk der Bürger der Slowakei sei - ohne dabei Nationalitäten zu nennen.
Auch wird in der neuen Verfassung das Slowakische als Staatssprache genannt, was um den zukünftigen Gebrauch des Ungarischen in der örtlichen Verwaltung oder bei Gericht in Gebieten mit ungarischer Bevölkerung fürchten läßt.
Im Dorf Gabcikovo, wo die Arbeiten am gigantischen Wasserkraftwerk am umgeleiteten Lauf der Donau kurz vor dem Abschluß stehen, zählt der junge ungarische Besitzer eines Cafes viele Slowaken zu seinen Freunden. Er sagt von sich, er sei Pazifist; seine Befürchtungen haben vor allem mit der Wirtschaftskrise zu tun. In den Schaufenstern kann man sehen, daß ein 600-Gramm-Paket Persil-Waschpulver 50 Kronen kostet, ein Hemd 200, Schuhe mehr als 400 -
während ein Arbeiter etwa 3.500 Kronen und ein Chefarzt oder Universitätsprofessor kaum mehr als das Doppelte verdient.
Und es heißt, daß Elektrizität und Gas teurer werden. Neben der Krise und der wachsenden Arbeitslosigkeit bewegt den sympathischen Bartträger auch die diffuse Angst vor nationalistischen Spannungen. „Trotzdem", so betont Bugär, „ist es besser, in der Slowakei zu leben, wenn man unsere Lage mit jener der Ungarn in Siebenbürgen, in Rumänien, in der Wojwodina, in Serbien oder auch in der transkarpatischen Ukraine vergleicht!"
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