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Nationalschatz

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Kunst in Polen — von der Gotik bis heute, ein Anschauungsunterricht, der den Besucher dieser Ausstellung im Kunsthaus Zürich aus Anlaß der Juni-Festwochen (bis 8. sptepber) in seinen Betrachten-gen weit über das rein Kunstgeschichtliche hinaus führt. Nicht deshalb, weil in mancherlei Brechungen das Schicksal dieses Landes sichtbar wird, das jahrhundertelangen Zer-reisproben gegenüber sich behauptete und sich seinen nationalen Stolz ungebrochen erhalten hat. Sondern darum, weil es, wie immer die jeweilige geschichtliche Stunde mitbestimmend gewirkt haben mag, durch alle Zeiten hindurch die großen Kunstströmungen unbedenklich einfließen iieß, um sie gefiltert als Eigenes zurückzugeben. Wobei als Gesamteindruck dieser Ausstellung offenkundig wird, daß Polen eh und je dem westlichen Kulturkreis zugehörte und in seiner heutigen künstlerischen Bekundung nach wie vor zugehört.

Eine unausgesprochene Sehnsucht und eine stumme Anklage gegen diejenigen, welcher Nationalität auch immer sie angehören mögen, die den geschichtlichen Augenblick, um diese Sehnsucht zu erfüllen, in jüngster Vergangenheit verspielt haben. Nirgends wird man slawische Einflüsse entdecken, was aufgenommen und eingebildet wurde, waren westliche Kunstformen, oder nach den Türkenkriegen Orientalisches in der Textil-kunst, die in den Dekors der großen Gürtelbänder, namentlich in der Verwendung von Pflanzenmotiven, aber auch von rein geometrischen Außergewöhnliches erreichte. Das ist eine grundlegende Erkenntnis dieser Ausstellung, die dank der schier uneingeschränkten, alle Einwände überwindenden Bereitschaft zur vorübergehenden Entäußerung von Kunstwerken, die noch nie das Land verlassen haben, erstmals einem westeuropäischen Publikum eine Vorstellung von dem künstlerischen Patrimonium Polens vermittelt.

Ohne die Begeisterung für den Plan seitens des Direktors des Na'tionalmuseums in Warschau, Professor Stanislaw Lorentz, wäre das unverwirklichbar gewesen. Er begegnet uns in der Ausstellung aber nicht nur als der umsichtige Bewahrer des ihm anvertrauten Kulturgutes; er ist auf eine wohl einzigartige Weise bemüht, ungeachtet der großen wirtschaftlichen und sozialen Probleme, vor die sich sein Land gestellt sieht, aus den Trümmern, die Wahnsinnige zurückließen, das alte Warschau und sein Königsschloß wiedererstehen zu lassen, während man zur gleichen Zeit in Ost-Berlin das alte niederriß. Ein Zeichen dafür,, daß nicht überall der Sinn für Symbole verloren ging. Denn dieses Schloß wie in Prag der Hradschin ist für'die Polen das Monument ihres nationalen Stolzes, das sie in dem Bewußtsein ihrer Eigenständigkeit gerade in Zeiten der Not bestärkte. Mögen die Städtebilder von Bernardo Bellotto, genannt Canaletto, dem Neffen des Venezianers Antonio Canaletto, ihm dabei behilflich sein, das alte Stadtbild Warschaus neu erstehen zu lassen und die glanzvolle Reihe von zwölf dieser Stadt-Ansichten vermittelt eindrücklich die Vorstellung der alten Schönheit —,so wird das Zusammenbringen dieses Mosaiks aus unzähligen Trümmerstücken nicht geringere handwerkliche Künste in unserer technisierten Zeit auf den Plan rufen müssen, um dieses Restaurationswerk zur Vollendung zu bringen.

Hier wird also verlebendigte Kunstgeschichte betrieben und durch dokumentarische Beigaben vorgeführt. Doch auch das im Laufe der Geschichte, in der jüngsten Vergangenheit erst in den nationalen Kunstbesitz Eingegangene läßt durch den ungewöhnlich guten Erhaltungszustand Schlüsse zu auf die vorbildliche Kunstpflege. Das wird besonders deutlich an dem sogenannten Graudenzer Altar, der jahrhundertelang auf der Marienburg seinen Standort hatte und in der weichen Malweise und Tönung an böhmische Einflüsse denken läßt. Und in gleicher Weise an dem „Jüngsten Gericht“ von Memling, einst auf dem Wege zu seinem vermutlichen Auftraggeber, den Mediceern, von Seeräubern abgefangen und nach Dan-zig verbracht. Nicht einmal zu der großen Memling-Ausstellung anfangs der siebziger Jahre wurde er ausgeliehen. Daß er in Zürich und damit wohl zum letzten Mal im Westen zu sehen ist, muß als Zeichen besonderen Entgegenkommens hoch bewertet werden und dürfte viele Besucher aus den Nachbarländern anlocken. Ein Werk, das ebenso durch seine vollendete Komposition wie durch die realistische Darstellung der Figuren den Betrachter in seinen Bann zieht und mit der Weiterführung des Themas auf den Flügeln ins Überweltliche führt. Was politisch noch getrennten Bereichen angehörte, ist künstlerischstilistisch umso näher, ob es der Meßkelch aus einer Werkstatt in Ploch ist, der überlebensgroße Crucifixus aus Pommern, oder die Missale-Miniaturen aus der Krakauer Domwerkstatt. Durch die Modernität ihrer vereinfachenden Gestaltung verblüffen die sogenannten „Wawel-Köpfe“, der Schmuck der Kassetten-Holzdecke des Abgeordnetensaales im königlichen Wa-wel-Schloß zu Krakau. Mit ihrer Realistik leiten sie über zu den Sar-matischen Porträts, so benannt, weil die Dargestellten durch sagenhafte Rückbezüge sich eine noblere Herkunft zuzudichten suchten. Die Sargporträts, an der Frontseite des Sarges angebracht, auch sie ein seltsames Dokument eines Repräsentationsbedürfnisses, wirken in ihrer Strenge kaum barock. Das gilt eher für die Porträts des Danziger Malers Daniel Schultz, der in seiner Malweise französisiert wirkt.

Französisches und Niederländisches, Gericault und Frans Hals, bestimmen auch den Pinselduktus, die pastose Malweise und Farbwahl Michalowski's für seine Porträts und Pferdedarstellungen. Sind sie noch aus einer gewissen gesellschaftlichen Geborgenheit entstanden, so bedeuten die Historienbilder von Jan Metejko eine Flucht in die bombastische Verklärung der Vergangenheit, entstanden in der Zeit der politischen Auslöschung. Ein Ausweg, der künstlerisch nicht sehr weit führt und von dem jungen Polen abgelöst wird durch Bilder einer verquälten Symbolik, Jacek Malczewski mit seinem Triptychon „Den Engeln folgend“, oder Josef Mehoffer mit dem „Merkwürdigen Garten“. Als gelte es, dies alles politisch wie künstlerisch zu überwinden, so braust in Breitleinwand-Manier das „Viergespann“ von Josef Chelmonski auf den Beschauer zu.

Alle diese Fesseln scheinen abgestreift in der Kunst des 20. Jahrhunderts. Erstmals wird sie aus den Beständen des Museums für moderne Kunst in Lodz von dessen Direktor Ryszard Stanislawski im Westen präsentiert und macht auf überraschende Weise deutlich, daß die Avantgarde der polnischen Kühstier in vielem dem Westen voraus war. Eine „Raumkomposition“ von Katarzyn Kobro ist mit ihrem reicheren Formenkanon den Werken der konkreten Kunst von 1929 ebenso voraus, wie die „Unistischen Kompositionen“ von Wladyslaw Strzeminski ähnliches von Tobey vorwegnehmen. Getreu dem Prinzip der Ausstellung, Kunst in Polen zu zeigen, sind hier die Freundschaftsgaben der westlichen Künstler wie Baumeister, Arp, Vantongerloo, van Doesburg, Sophie Taeuber-Arp einbezogen, nicht zuletzt die Schweizer Maler Hans Rudolf Schiess und Kurt Selig-man. Als gälte es, die Drohung ins Gedächtnis zu rufen, die auch heute über dem Lande lastet, schließt die Ausstellung mit einem der Nacht-mare der Textilplastikerin Magdalena Abakanowicz, mit einem ihrer Abakan, einer alles in sich aufsaugenden „schwarzen Kleidung“.

Rene Wehrli, der den Ausstellungssaal des Kunsthausneubaus schon lange wie ein Instrument beherrscht, hat mit der Anordnung dieses Kaleidoskops der Kunst in Polen einmal mehr sich als ein Inszenator festlicher Anlässe erwiesen und mit seinem Stab das Ganze so bewegt gestaltet, daß es eine wahre Freude ist, durch die Ausstellung zu gehen und sich mühelos in die verschiedenen Epochen anzustimmen.

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