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„Nebelherz hab ich gegessen“

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Als die Bachmann im Oktober 1973 an einer schweren Verbrennung starb, wunderte man sich gar nicht so sehr. Als habe man es von ihr erwartet, als habe sie nur die Konsequenzen gezogen aus ihrem Werk. Undine war gegangen. Tod durch Leiden, durch den Schmerz aus sich selbst. Denn die Leidende, die Märtyrerin war Ingeborg Bachmann immer gewesen, die moderne Inkarnation des „poetą dolens“.

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Als die Bachmann im Oktober 1973 an einer schweren Verbrennung starb, wunderte man sich gar nicht so sehr. Als habe man es von ihr erwartet, als habe sie nur die Konsequenzen gezogen aus ihrem Werk. Undine war gegangen. Tod durch Leiden, durch den Schmerz aus sich selbst. Denn die Leidende, die Märtyrerin war Ingeborg Bachmann immer gewesen, die moderne Inkarnation des „poetą dolens“.

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Mit dem Tod der Bachmann ging ein Mythos zu Ende, eine Mystifizierung, die „ih der unpoetischen Zeit noch einen Rest an Poesie trank“. Die „reine Dichterin“ lebte nicht mehr. Eine Epoche der Literaturgeschichte hatte ihre letzte Repräsentantin verloren. Und man erinnerte sich an die Gestik der Bachmann, mit der sie notorisch ihre Haarsträhne beim Lesen aus dem Gesicht streifte, an ihre dünne, brechende, erotische Stimme, mit der sie bei einer Tagung der Gruppe 47 ihre ersten Gedichte vorgetragen hatte. Sie war auch sofort anerkannt, umsorgt wie ein Kind, das sich noch nicht zurechtfindet, geliebt und hochgelobt.

Mit ihren Gedichten hat sie die Lyrik wieder in die literarische Diskussion gebracht. Hat hohe Auflagen erreicht. Nicht nur durch Schreiben allein. Was die Bachmann so faszinierend erscheinen ließ, war ihr Auftreten, ihr fast kokettes Sich-Zurückziehen aus der Öffentlichkeit, ihre Kunst, der Welt noch einmal die Vorstellung einer „wahren Dichterin“ zu geben, die nur aus Sprache und sich verschämt und doch bewußt zeigender Sinnlichkeit besteht. Damit stand sie auch in einer Tradition, die immer schon Mythos war. In der Tradition der „Leidenden“. Die es nie gegeben hat, die immer Projektion einer literarischen Öffentlichkeit waren. Die sich aber wohl gefühlt haben. Symptom des spätbürgerlichen Selbstverständnisses. Die Lust am Leiden als Vehikel des, Schreibens.

Bachmann, die Dichterin, nicht bloß die Autorin oder Schriftstellerin. Eine, die „zu den Aktualitäten“ nur zu sagen hat, „daß man über sie hinwegschreiben muß, man muß die Aktualitäten seiner Zeit korrumpieren, man darf sich nicht von den Phrasen korrumpieren lassen.“

Phrasen waren sie auch nicht, ihre ersten Gedichte, die sie in „Die gestundete Zeit“ gesammelt hatte. Gedanken, sinnliche Erfahrungen, die nach Worten suchten, nach Konstruktionen, die Sprache nicht mehr hergeben konnte. Gedichte über den Tod und über die Liebe durch den Tod. Liebe und Tod - zwei Momente, die Bachmann unbeirrt durch ihr ganzes Werk beschrieben, behandelt, beweint hat. Wie in „Erklär mir Liebe“.

Liebe, die zum Tod führt, zum Tod führen muß. Immer wieder dringt dies bei Bachmann durch. Eine Sicht, die man begeistert aufgenommen hat, mit der man sich identifizieren konnte. In gespieltem Schmerz. Eine Sicht, die man heute, fünf Jahre nach dem Tod der Bachmann, kritisch sehen müßte. Auch wenn man sie noch verehrt, auch wenn ihr Liebesnimbus durch den seltsamen Tod noch stärker wurde. Auch wenn jetzt mit großer Publizität und fast kultartig die neue Bach- mann-Gesamtausgabe herausgegeben worden ist, mit neuen, noch nicht ver öffentlichten Erzählungen und Romanfragmenten, mit allen ihren theoretischen Essays - Bachmann hatte immerhin über Kierkegaard dissertiert - und Rundfunkreden.

Man kann nachlesen, sich überzeugen. Wie wirken die Gedichte heute, da das Bild der Bachmann, der sinnlichen Frau, nicht mehr greifbar ist, da die Erinnerung an sie unter einem Schleier verdämmert?

Und in der Distanz verlieren sich auch die Konturen, fallen einige Gedichte ab, wirken falsch, formal nicht ausgearbeitet. Hier merkt man, wie schwer sich die Bachmann mit der Prosa getan hat. Wie ihre Egozentrik ungeformt durchbricht. Aber es bleiben einige Arbeiten stehen. Sie wider stehen. Wie „Undine geht“, die Abrechnung mit den „Männern mit dem Namen Hans“, einige Gedichte aus „Die Anrufung des großen Bären“.

Da werden Bachmanns Beziehungen zu Hans Werner Henze oder zu Max Frisch deutlich, als kristallisierte Prosa, als Versuch, sie zu bewältigen. In Sprache, die Leiden heißt, die manchmal auch Kitsch heißt und Konventionalität. Da wird der Todes- Liebesmythos relativiert auf eine einzige Sehnsucht, auf das „brennende Bedürfnis“, geliebt zu werden. Von den Männern. Von Männern, die in ihren Werken immer Ungeheuer sind; Monstren, Neurotiker, aggressive, „schlagende“ Männer.

Die Männer mit Namen Hans: „Deine Einsamkeit werde ich nie teilen, weil da meine ist, von länger her, noch lange hin. Ich bin nicht gemacht, um eure Sorgen zu teilen. Diese Sorgen nicht! Wie könnte ich sie je anerkennen, ohne mein Gesetz zu verraten? Wie euch glauben, solange ich euch wirklich glaube, ganz und gar glaube,

daß ihr mehr seid als eure schwachen, eitlen Äußerungen, eure schäbigen Handlungen, eure törichten Verdächtigungen. Ich habe immer geglaubt, daß ihr mehr seid, Ritter, Abgott, von einer Seele nicht weit, der allerköniglichsten Namen würdig.“

Die Abrechnung mit den Männern - Bachmann war keine Feministin, zumindest nicht bewußt - ist eine Abrechnung mit der frustrierten Liebe, mit der Trauer, mit der Hoffnungslo sigkeit der Liebe, wie Bachmann es auch in ihrem großangelegten Romanzyklus „Todesarten“, der in Fragmenten erstmals vorliegt, versucht hat. Es ist ihr nicht gelungen - in dem ersten Roman „Malina“ nicht, den sie unter Zeitdruck und Verlagsdruck schreiben mußte, im zum Teil fertiggestellten Entwurf „Der Fall Franza“ nicht. Da quält sich die Bachmann von Zeile zu Zeile, schreibt sie verkrampft, zerstörerisch suchend nach Ausdrücken. Da wird sie schlecht.

In der Distanz fallen die Urteile auch leichter, da kann man sich besser distanzieren, kann man kritisieren, muß man eingestehen, daß vielleicht zehn, zwanzig Gedichte wirklich gut sind, daß einige Erzählungen Weltliteratur sind, daß aber vieles überschätzt ist. Daß der Mythos Bachmann ein Symptom ist, ein bürgerliches Symptom, Gegensätze zu versöhnen, Ausgleiche zu schaffen. Versöhnungen, die es nicht gibt, auch in der Verzweiflung nicht. In der Trauer nicht. Im Märtyrertum nicht.

Man wird die Bachmann doch noch lesen. Man wird sich ihr weiter nicht entziehen können. Ihren Gedichten nicht, ihrer Prosa nicht. „Nur mit Wind, mit Zeit und mit Klang ..

WERKE. Vonlngeborg Bachmann. Piper Verlag, München 1978, vier Bände, 2394 Seiten, öS 1644,-.

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