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Nebenkosten-Krebs

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Soziale Sicherheit ist eine der Hauptforderungen unserer Zeit. In allen Staaten, auch in jenen mit einer noch starken und intakten liberalen Tradition, wie der Schweiz und den USA, wurde im letzten Jahrzehnt der Sozialstaat kräftig ausgebaut. Die Überzeugung, daß die Gemeinschaft dem Individuum gewisse Risken abnehmen muß, daß sie für den einzelnen verantwortlich sei, breitet sich unaufhaltsam aus.

Mit der Zeit wird aiber auch die Frage — und das gilt vor allem für Staaten, die auf diesem Wege schon weit vorgeschritten sind — nach den Grenzen einer sinnvollen Versongungsstaatlichkeit virulent.

Gewiß können für alle diese sozialen Forderungen gute Gründe geltend gemacht wenden, und die davon Begünstigten werden sie begrüßen, zumal der Preis, den sie und andere daifür au bezahlen haben, nicht unmittelbar sichtbar wird. Aber die Mittel für diese Leistungen müssen irgendwoher kommen. Sie müssen entweder dem einzelnen in Form von Steuern und Sozialversiche-rungsfoeträgen abgenommen werden, oder sie gehen als Lohnnebenkasten in die Kalkulation der Unternehmen ein und haben relativ niedrige Barlöhne zur Folge.

Ist es aber wirklich erstrebenswert, daß das Einkommen, worüber der einzelne verfügen kann, relativ immer kleiner wird, daß er immer stärker in die Abhängigkeit von anonymen Institutionen gerät? Es sind nicht die schlechtesten Sozialpolitiker, die dafür eintreten, man solle dem Menschen eine soziale Sockelversorgung sichern, ihm im übrigen aber die Verfügung über seine Einkünfte möglichst selbst überlassen.

Wie akut gerade für Österreich dieses Problem ist, beweist eine kürzlich fertiggestellte Studie des Beirates für Wirtschafts- und Sozialfragen über die Abwanderung von Arbeitskräften aus österrreich, in der gerade die hohen Lohnneibenkosten, die sich aus dem hohen Anteil der Soziallöhne in Österreich ergeben, als Zentralproblem erkannt werden. Dieses gemeinsame Organ der Sozialpartner stellt dabei zwei Tatsachen fest, von denen, je nach Couleur des entsprechenden Blattes, meist nur über eine der Leserschaft berichtet wurde: einerseits haben die Unternehmer recht, wenn sie behaupten, daß der Anteil der Lohnnebenkosten an den gesamten Lohnkosten in Österreich weitaus höher als in den Arbeitskräfte absaugenden Nachbarländern Deutschland und Schweiz ist, anderseits stimmt aber auch die Gewerikschaftsbehaup-tung, daß die Gesamtlohnkosten in jenen beiden Staaten noch immer über den österreichischen liegen, daß also die relativ niedrigeren Barlöhne bei uns nicht, nur eine Folge der hohen Lohnnebenkosten sind.

Die Voraussetzung für Angleichung der Gesamtlohnkosten an die unserer Nachbarn ist aber, wie auch der Beirat betont, eine weitere Verbesserung der Industriestruktur, was von entsprechenden und entsprechend umfangreichen Investitionen abhängt. Aber eine solche Angleichung könnte die Abwanderung nur verlangsamen, nicht weitgehend zum Stillstand bringen, denn die Barlöhne — und sie sind es, auf die der einzelne Arbeitnehmer den größten Wert legt — würden infolge der hohen Lohnnebenkosten noch immer nicht den deutschen oder Schweizer Standard erreichen.

Der Beirat nahm daher in den Maßnahmenkatalog seiner Studie — nach anfänglichem Widerstand der Arbeiterkammern und der Gewerkschaften — auch die Empfehlung auf, bei weiterer Anhebung des Lohnniveaus vor allem die Direktlohne, nicht aber die Lohnnabenkositen zu steigern. Leider haben die Gewerkschaften bisher aus dieser Empfehlung noch keine Konsequenzen gezogen, denn die neuen Kollektiivver-tragswünsche enthalten in vielen Fällen abermals gewichtige rahmenrechtliche Forderungen, die auf eine weitere Erhöhung der Lohn-neibenkositen — im engeren oder weiteren Sinn — hinauslaufen.

Wie groß die Diskrepanz hinsichtlich der Lohnnebenkostenbelastung zwischen Österreich und seinen Nachbarländern schon heute ist, zeigt die Beiratstudie unmißverständlich auf:

Während in der Bundesrepublik Deutschland die Lohnnebankosten nur 45 Prozent und in der Schweiz 30 Prozent des Grundlohnes ausmachen, betragen sie in Österreich nicht weniger als 76 Prozent. Von den Gesamtarbeitskosten werden in Deutschland als Grundlohn 69,2 Prozent, in Österreich hingegen nur 56,9 Prozent ausbezahlt.

Außerdem ist die Besteuerung in Österreich fühlbar höher. Bei einem Bruttomonatsverdienst von 900 DM ergibt sich bei österreichischer Besteuerung für einen Ledigen ein Nettoverdienst von 4398 Schilling, bei deutscher Besteuerung von 4670 Schilling. Aber auch ein Allerin-verdiener mit zwei Kindern ist in Deutschland in einer günstigeren Situation. Ihm bleiben bei österreichischer Besteuerung bei einem Bruttoverdienst von 900 DM nur 5807 Schilling, bei deutscher Besteuerung mit österreichischer Kinderbeihilfe — die auch die Abwan-derer erhalten — hingegen 5924 Schilling.

Bei höheren Einkommen ist die Diskrepanz noch bedeutend größer, die Verlockung zur Abwanderung dementsprechend auch. Diese höheren Steuern vermindern den österreichischen Grundlohn zusätzlich, so daß die Unterschiede gemessen an den Barlöhnen noch größer als bei den Grundlöhnen sind.

Verstärkt wird der Unterschied auch noch durch einen optischen Nachteil bei Einkünften in Österreich. Während sich die österreichischen Gesamtlöhne (welche die Grundlage der Lohniberechnungen des Beirats bilden) auf 14 Monatsgehälter verteilen, werden in Deutschland höchstens 13 ausbezahlt. Der Arbeitnehmer beachtet aber meist nur jenen Betrag, den er monatlich oder wöchentlich auf die Hand bekommt.

Alles das sind -objektive Nachtedle für den österreichischen Unternehmer im Konkurrenzkampf um die Arbeitskraft. Sie sind ein nicht unerheblicher Grund dafür, daß nicht weniger als 130.000 Österreicher im Ausland tätig sind, daß allein in den letzten Hochkonjunkturjahren etwa 30.000 zusätzlich abwanderten. Daß etwa die gleiche Zahl von ausländischen Arbeitskräften aus dem Südosten nachrückt, ist kein Ausgleich.

Die Aufgabe, das Lohnniveau anzugleichen, stellt sich daher nicht ausschließlich den Unternehmern, sondern auch den Sozialpolitikern. Es müßte ihnen zu denken geben, daß die Arbeitnehmer dort, wo sie die Wahl haben, mehr Barlohn einem höheren Soziallohn entschieden vorziehen.

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