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Nehmen Sie Urlaub oder machen Sie Ferien?

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„Nehmen Sie Urlaub oder machen Sie Ferien?“ Der Vorstand des finanzwissenschaftlichen Instituts der Universität Innsbruck, Univ.-Prof. Clemens-August Andreae, erklärt in einer Studie über sozioökonomische Aspekte des Tourismus, welche wesentlichen Unterschiede nach zwischen Urlaub und Ferien bestehen:

„Urlaub ist eine vertragliche Angelegenheit, Ferien eine Frage der Persönlichkeit, der Seele, der inneren Verwandlung und Erneuerung. Urlaub nimmt man von der Arbeitswelt oder - im liberalen Strafvollzugssystem - auch vom Gefängnis. Ferien nimmt man dagegen vom Ich, wie dies Paul Keller einst formuliert hat.“

In den Tarifverträgen steht ausdrücklich, daß man sich in der vertraglich vereinbarten Urlaubszeit zu erholen hat. Es ist verboten, während des Urlaubs zu arbeiten. Aber gerade der Urlaub wird für viele Menschen immer mehr zu einer strapaziösen Zeit. Denn erholend ist für viele das Faulenzen nicht, und die Ärzte warnen geradezu davor, den Urlaub als „soziale Pflicht zur Langeweile“ aufzufassen.

Erholend ist für die meisten Menschen eine Lebensweise, die ganz entfernt von der Tätigkeit im Beruf liegt: Erholsam kann es sein, sich Wadenkrämpfe bei Rad- oder Bergtouren zu holen, sich Schwielen bei der Gartenarbeit zuzuziehen oder die längst fälligen Anstriche von Fenstern und Türen zu erneuern. Aber auch: Wer streßgeplagt nach der Absolvierung von mehreren tausend Straßenkilometern wieder ins Büro zurückkommt, bringt kaum Schuldgefühle seinem Arbeitgeber gegenüber mit, obwohl sein Urlaub eigentlich einer anstrengenden Arbeit gleichkam.

Der Kontrast der Tätigkeit im Urlaub zu jener in der Arbeitswelt, wo der ansonsten meist fremdbestimmte Mensch einmal selber bestimmen kann, wie er sich verausgaben will, wird als Erholung empfunden. Von verschiedenen Seiten gibt es daher Vorschläge, wie man dem Menschen öfter und ausgiebiger Gelegenheit verschaffen könnte, zu sich selbst zu finden.

Theologen gaben “die Anregung zum „Spur-Urlaub“ - der den katholischen Geistlichen etwa auf die Spur zur inneren Erneuerung bringen sollte; man benannte danach die Exerzitienhäuser der Regensburger Diözese in „Spur-Urlaubshäuser“ um.

In den USA legte ein bekannter Journalist ohne Berücksichtigung der wirtschaftlichen Auswirkungen den Vorschlag vor, den Menschen die Möglichkeit zu geben, alle sieben Jahre ein Jahr lang völlig auszuspannen. Ehepaare sollten dieses Jahr möglichst getrennt verbringen. Auch Hausfrauen, Fließbandarbeitern und Selbständigen sollte dieses arbeitsfreie Jahr durch ein staatliches Stipendium ermöglicht werden. Daß dieser Vorschlag eine höchst widersprüchliche Beurteilung fand, ist wohl selbstverständlich.

Als eine Modifizierung dieses Gedankens schlägt Prof. Andreae vor, einen Teil der Ausbildungszeit in das Arbeitsleben zu verlegen, und zwar aufgeteilt in mehrere Perioden beruflicher Fortbildung. „Von diesem Gedanken geht auch der Vorschlag zu einer Reform des wirtschaftswissenschaftlichen Studiums aus“, meint Andreae.

Die oft gehörte Behauptung, daß der Mensch mit mehr Freizeit ohnehin nichts anzufangen wisse, wurde in den ausgedehnten Streikwochen Anfang 1974 in England widerlegt. Das Freizeitangebot der englischen Arbeiter mündete in einem Verkaufsboom für Artikel, die für Heimoder Schwarzarbeit benötigt wurden. Geschäfte für Maler- und Tapeziererbedarf, für Anglerausrüstungen und sonstige Freizeitgeräte meldeten große Umsatzsteigerungen.

In einem Gutachten für die deutsche Bundesregierung kam Univ.-Prof. Hans Külp von der Universität Bochum zu dem Schluß, daß in nächster Zukunft eine jährliche Urlaubszeit von acht Wochen möglich und sinnvoll sei, ergänzt durch einen vierwöchigen Bildungsurlaub alle vier Jahre.

Solchen Prognosen tritt Prof. Andreae jedoch mit Skepsis entgegen: Die Notstände auf dieser Welt resultierten aus einem Kapitalmangel, den eine stark wachsende Bevölkerung noch verstärkt. Dieser Mangel könne nur durch zusätzliche Leistung und Konsumverzicht ausgeglichen werden. Es sei daher utopisch, die Kapitalnöte - die sich in der Inflationstendenz äußern - durch zusätzliche Freizeitgewährung gerade für die fachlich gut ausgebildete Schicht lindern zu wollen, denn nur durch Mehrarbeit könne vielleicht die Explosion der Not verhindert werden.

„Mit großer Wahrscheinlichkeit werden die Menschen schon in den nächsten Jahren hierzulande wieder mehr arbeiten müssen - und dies nicht nur im mangels Handwerkern geradezu aufgezwungenen Do-it-yourself-System.“

Auch bei uns gilt schon oft der Witz, den man sich in Ostblockländern erzählt: „Bis fünf Uhr habe ich meinen Beruf und dann wird gearbeitet.“ Insgesamt, wenn man die Arbeit im Hauptberuf, in den Häusern und Garagen der Nachbarn in Schwarzarbeit und die in den eigenen vier Wänden arbeitsmäßig genutzte Zeit für Reparaturen und Basteleien zusammenzählt, kommen sehr viele Menschen auf mehr als 60 Stunden wöchentliche Arbeitszeit.

Es ist also gar nicht so sehr das Faulenzen, was viele Menschen in ihrer Freizeit und in ihrem Urlaub suchen, sondern nur das Neue, Andersgeartete. Warum also nicht einfach die Gäste, die Urlaub auf dem Bauernhof machen, zur Mitarbeit einspannen, meint Prof. Andreae, oder sie in der dörflichen Musikkapelle mitspielen lassen, wenn sie ein Instrument beherrschen?

Aus dem Studium des Urlaubsverhaltens glaubt der Wissenschaftler eine Tendenz zu den „Urberufen“ als Urlaubsbeschäftigung abzulesen. Es muß ja nicht immer der extreme „Urberuf' des Jägers sein: Erholung findet man als Fischer, Seemann, Bauer, Sammler oder gar, indem man sich beim Urlaub auf der Alm als Hirte bei der Bewirtschaftung nützlich macht.

Ein so verbrachter Urlaub kann den Menschen erneuern und für seine Umwelt sensibilisieren. Die „weiße Industrie“ aber, der kommerzialisierte Urlaub, der den Menschen aus den städtischen Ballungszentren in die Ballungszentren der Erholung führt, birgt die Gefahr der Abstumpfung, der De-Sensibilisierung in sich.

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