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„Nenning ist ein echter Renegat“

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Papierkörbe brennen, Sessel fliegen durch die Luft: Szenen einer grün-alternativen Ehe. Und die beiden Großparteien lachen sich still und heimlich ins Fäustchen.

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Papierkörbe brennen, Sessel fliegen durch die Luft: Szenen einer grün-alternativen Ehe. Und die beiden Großparteien lachen sich still und heimlich ins Fäustchen.

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FURCHE: Sie verfügen jetzt über mehrjährige persönliche Erfahrungen in der sogenannten Grün- und Alternativszene in ganz Österreich. Haben Sie eigentlich wirklich jemals an so etwas wie eine grün-alternative Einigung geglaubt? 1

LEOPOLD KENDÖL: Bevor der Günther Nenning auf den Plan getreten ist, gab es eine gesamtösterreichische grün-alternative Sammlung. Das war im Oktober 1985. Damals hatte man noch den Eindruck, daß etwas draus werden könnte.

Den Anfang vom Ende stellte schließlich dieser Pakt mit der VGÖ (Vereinte Grüne Österreichs) dar. Damals wurde begonnen, Mandate zu verteuert.

FURCHE: Hat man am Anfang bewußt ausgeblendet, daß die einzelnen Gruppen und Personen aus den unterschiedlichsten ideologischen ,J5tällen“ kommen, mit unterschiedlichen persönlichen Motivationen?

KENDÖL: Wenn die Dinge so wesentlich gestört sind, wie in unserer Gesellschaft, das bezieht sich auf Österreich wie auf die ganze Welt, dann entstehen automatisch und zwingend neue Bewegungen. Die Dinge kommen ins Rutschen. Und diese Bewegungen bringen alles durcheinander, auch die alten politischen Lager. Jene, mit denen man sich früher gut verstanden hat, werden einem auf einmal politisch fremd, für Leute, denen man früher vielleicht sogar feindselig gegenübergestanden ist, beginnt man Verständnis zu entwickeln.

Das war auch am Beginn des Christentums so. Der Haufen, den Jesus um sich versammelt hat, war wahrscheinlich noch heterogener als der unsrige. Auch wir müssen erst zusammenwachsen. Für mich stand dabei immer fest, daß dieses Zusammenwachsen nicht aus Opportunismus und wegen der erwarteten Mandate passieren darf.

Ich bin nach wie vor der Ansicht, daß gemeinsame programmatische Zielsetzungen Leute, die aus den verschiedenen traditionellen Lagern kommen, durchaus verbinden können. Erst wenn sich das Neue über die Lager hinweg verbindet, wird es einigermaßen durchsetzungsfähig.

Allerdings besteht ein eminentes Interesse der etablierten Gruppen und Parteien, uns immer wieder auf die alten Lager festzulegen.

FURCHE: Hegen Sie einen begründeten Verdacht, daß das momentane tiefe Zerwürfnis der Grün-Alternativen von einer bestimmten Partei inszeniert wurde?

KENDÖL: Ich habe den Nenning immer ein bißchen verdächtigt, daß er versucht, eine ÖVP-nahe Grün-Gruppierung zu etablieren.

FURCHE: Sie meinen wohl eine SPÖ-nahe...

KENDÖL: ... nein, eine ÖVP-nahe. Lesen Sie, was Generalsekretär Michael Graff über Nenning sagt, wie er für ihn Partei ergreift, wie das alles zusammenspielt. Ich halte den Nenning für einen echten Renegaten. Und aus meinen früheren Erfahrungen weiß ich, welchen Küler-Instinkt die SPÖ gegenüber echten Renegaten entwickelt.

Daß auf der anderen Seite die SPÖ auf den Plan tritt, war spätestens seit Weihnachten 1985 klar, als Kuno Knöbl bei uns auftauchte und die Bundespräsidentschaftskandidatur der Freda Meissner-Blau eingeleitet hat.

Ich halte sowohl eine ö VP-nahe als auch eine SPÖ-nahe Grün-Gruppe für wirkungslos und für einen Volksbetrug.

FURCHE: Nicht die Grün-Alternativen selbst, sondern die Großparteien sind am grünen Chaos schuld?

KENDÖL: Ganz sicher. Warum ist zum Beispiel die Alternative Liste 1983 in Wien untergegangen? Durch die Vorzugsstimmenkampagne für Josef Cap. Jetzt findet man dieselben Leute bei uns. Sie wollen sichere Mandate kassieren. Wenn nicht, dann zerstören sie eben alles.

FURCHE: So gesehen wird man sich wohl in alle Ewigkeit auf ein Drei-Parteien-Parlamenteinstellen müssen?

KENDÖL: Die SPÖ steht zum Beispiel vor zwei Alternativen. Entweder gelingt es ihr, die Grün-Bewegung kaputtzumachen, oder sie lagert eine grüne Fraktion aus, die am Gängelband der Partei rennt, die es aber der SPÖ ermöglicht, gleichzeitig die Kernschichten zu halten und mit der Etikette „Grün“ zu liebäugeln. Anders als vielleicht für die ÖVP stellt die Grün-Problematik für die SPÖ tatsächlich eine echte Zerreißprobe dar“

Vor diesem Hintergrund läßt sich auch erklären, warum es derzeit um nichts anderes in der grün-alternativen Bewegung geht als um die Etablierung einer personellen SPÖ-Abhängigkeit. Da geht's um keine Programme.

Das ist mein Weg sicher nicht. Deshalb vertrage ich mich auch mit den „Fundamentalisten“, den sogenannten Linkschaoten, die in Wirklichkeit keine sind. Die entwickeln eine stärkere Aversion gegenüber der SPÖ als ich, weü sie zwar „links“, aber SPÖ-unab-hängig agieren wollen. Das ist der wahre Grund, warum sie hinausgebissen werden* sollen.

FURCHE: Was werden Sie jetzt persönlich tun. Sie standen ja auch als Kandidat zur Debatte?

KENDÖL: Ich habe nie an die These geglaubt, man könne diese Szene durch eine Führerpersönlichkeit zusammenhalten. Im Gegenteil: Dadurch wird die grün-alternative Bewegung erst recht gespalten.

Ich selbst habe deshalb zum Beispiel in Niederösterreich gegen Freda Meissner-Blau für den ersten Listenplatz kandidiert. Sie hat relativ knapp gewonnen—und auch nur deswegen, weü Leute in Autobussen herbeigekarrt wurden, die man vorher und nachher nie wieder gesehn hat.

FURCHE: Das bedeutet die endgültige Trennung von der Meissner-B lau-Liste ?

KENDÖL: Nicht endgültig. Nachdem aber offenbar dieses Konstrukt mit Freda Meissner-Blau als angebliches Zugpferd im Westen und im Osten unterschiedlich akzeptiert wird, soll wenigstens noch der Versuch unternommen werden, einen größeren Teü der Einheit zu retten.

Deshalb schlage ich vor, daß eine Grünpartei, die aus dieser Sammlungsbewegung hervorgegangen ist, im Wahlkreisverband West mit Freda, und eine andere Grün-Partei — aber nur eine — im Wahlkreisverband Ost ohne Freda kandidiert. Das wäre das Modell von CDU und CSU in der Bundesrepublik. Auch die CSU behält sich prinzipiell vor, überall in Deutschland zu kandidieren, tut es aber nicht, weü die CDU umgekehrt auf eine eigene Kandidatur in Bayern verzichtet.

Ich weiß aber nicht, ob für eine solche Lösung noch genug Zeit ist, die nötige Reife vorhanden ist und ob die Freda überhaupt wilL Wahrscheinlich will das auch die SPÖ nicht.

Leopold Kendöl war Sekretär des Erzbi-schöffichen Schulamtes sowie bis 1981 Präsident des Katholischen Familienverbandes Österreichs. Er gründete dann die „Partei Neues Österreich“ und ist seither in der Grünbewegung tätig. Mit ihm sprach Tino Teller.

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