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Nepp statt Qualität

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Das retortensüße Thema des österreichischen Weinskandals ließen die Journalisten in den deutschen Medien anfangs genüßlich auf der Zunge zergehen. Bald wich aber ihr Spott über frostsicheren Eiswein einem ungläubigen Staunen über soviel Unverfrorenheit und schließlich dem — noch immer vergeblichen - Versuch, das Dunkel der Machenschaften aufzuhellen.

Jedenfalls hätte kein Werbemanager das Timing besser ansetzen können: Während der publizistischen Sommerflaute gab es für die deutschen Weintrinker täglich neue Hiobsbotschaften; was zunächst als läßliche Sünde aus der burgenländischen Provinz erschien, geriet bald zum lebensbedrohenden Erdrutsch.

16 Gramm Diäthylenglykol in einem Liter Wein bedeuten nun mal für den ahnungslosen Konsumenten akute Vergiftungsgefahr, was auch durch keine noch so offiziell angelegte Beschwichtigungskampagne österreichischer Funktionäre in Bonn und Brüssel heruntergespielt werden konnte.

Jetzt, wo erst langsam das — . weltweite—Ausmaß des Skandals sichtbar wird, wirken überdies die rasch gestarteten Gegenangriffe jener österreichischen Politiker und Medien, die von gezielter Stimmungsmache in der Bundesrepublik Deutschland sprachen, besonders dreist und makaber. Schlimm an der ganzen Geschichte erscheint vor allem, daß ihre Aufklärung nur tröpferlwei-se geschieht.

österreichische Schlamperei, wird dazu so mancher landeskundige Urlauber sagen. Nur ist damit das Thema nicht abgehandelt, denn die gesundheitlichen und wirtschaftlichen Folgeschäden werden sich erst zeigen. Der Ruf Österreichs als seriöser Handelspartner wird jedenfalls über lange Zeit belastet sein.

Denn der Skandal berührt ja keine weitab im politischen Raum liegenden Interessen, sondern die vitalen Bedürfnisse jedes potentiellen Urlaubers: die des Weinkenners, der gern auch österreichische Kreszenzen in seinem Keller gelagert hat, wie die des Massentouristen, der seine Abende am Neusiedlersee mit etlichen Vier-terln Heurigen zu „versüßen” gewohnt war.

Urlaubsland Osterreich: Die Erosion an seinem guten Ruf hat nicht erst mit diesem Skandal eingesetzt. Die Fremdenverkehrsstatistik zeigt deutlich, daß man in der Bundesrepublik das traditionelle Ferienziel immer mehr vernachlässigt. So sind die Ubemach-tungsziffern der Deutschen während der Sommersaison zwischen 1980 und 1984 um über achteinhalb Millionen gesunken. Die Gründe dafür sind vielfältig und nicht pauschal zu beurteilen.

Wenn man aber die Reiseteüe der deutschen Presse oder die Berichte heimgekehrter Urlauber aufmerksam verfolgt, so ist immer wieder herauszufiltern, daß sich der Gast heute in Österreich nicht selten von den Einheimischen „ausgenommen” fühlt. Früher galt die Alpenrepublik nicht nur als besonders preiswert; man schätzte bei den Gastgebern vor allem eine daheim unbekannte Freundlichkeit auch gegenüber Fremden.

Heute ist der Urlaub in deutschen Landen oder woanders oft erheblich billiger. Und nicht mehr nur die Sensiblen merken, daß man inzwischen auch in Österreich gelernt hat, „schnelles” Geld zu machen: Nepp statt Qualität, Geschäftsmäßigkeit statt Gastfreundschaft, Rummel statt der früher hochgerühmten Gemütlichkeit.

Die Fremdenverkehrsstrategen vieler Gemeinden und Regionen haben sich schwerpunktmäßig dem krisenanfälligen, wankelmütigen Massentourismus verschrieben; sie richten sich nach dessen falsch interpretierten Bedürfnissen und vergraulen darob die verläßlicheren Stammgäste. Und mit dem wertvollsten Kapital, welches Österreich besitzt, geht man seit vielen Jahren im Stil eines Bankrotteurs um: Die Natur wird zielstrebig und unwiederbringlich ruiniert, historisch gewachsene Ortskerne müssen ei-• ner Allerweltsmodernität weichen.

Der österreichische Spätzündungseffekt ist ja bekannt: Viele gegenläufige Entwicklungen im Ausland werden erst Jahre später registriert, wenn es daheim häufig schon zu spät ist. So ist den meisten wirtschaftspolitisch Verantwortlichen noch nicht geläufig, daß das „grüne” Bewußtsein in der Bundesrepublik Deutschland keine Einzelerscheinung bei angeblichen Spinnern mehr ist, sondern sich inzwischen in breiten Bevölkerungsschichten durchgesetzt hat.

Dieses Bewußtsein wird bald auch bei den Urlaubern in Österreich durchschlagen. Dann wird es aber nicht mehr möglich sein, von. den Gletschern die Lifte abzuräumen, in den Seitentälern die Schnellstraßen zuzudecken oder die Betonburgen des Beherbergungsgewerbes wegzuzaubern.

Es ist höchste Zeit, daß Osterreich nicht alljährlich nur höheren Wachstumsraten im Fremdenverkehr nachjagt, sondern über den eigenen Tellerrand der Selbstzufriedenheit blickt und vor allem wahrnimmt, inwieweit es draußen bereits seinen einst guten Ruf als Urlaubsland verspielt hat.

Der Autor ist Studienleiter des Institutes zur Förderung publizistischen Nachwuchses in München.

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