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Nestbeschmutzer

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Wenn Wolken aufziehen, dann wißt ihr, daß der Regen kommt. Wenn die Sonne am Himmel aufgeht, dann wißt ihr, daß es heiß wird. Wann aber werdet ihr verstehen, die Zeichen der Zeit zu erkennen?

Das ist der sinngemäße Aufruf des israelischen Dramatikers Joshua Sobol am Schluß seines Stückes ,JJas Jerusalem-Syndrom“.

In diesem Stück schießt ein Soldat in israelischer Uniform auf eine (arabische?) Frau mit Kinderwagen.

Sobol hat mit Dramen, wie „Ghetto“, ,J3ie Palästinenserin“ und neuerdings mit ,JJas Jerusalem-Syndrom“ heftige Reaktionen in seinem Land provoziert.

Er gilt als israelischer Antisemit“.

Sobol ist ein gewerbsmäßiger Nestbeschmutzer, weil er sein Volk mit penetranter Eindringlichkeit zum Nachdenken anregt.

Auch in Israel feiert man heuer ein Gedenken: Seit 40 Jahren gibt es den Staat der Juden, und im Herbst des Vorjahres bemerkte Sobol: ,JJas ganze Land ist leidenschaftlich mit der eigenen Seelen- und Gewissenserforschung befaßt: dem Versuch, herauszufinden, was wohl mit der israelischen Gesellschaft nach 20jähriger Herrschaft über das palästinensische Volk, das seit dem Sechjs-Tage-Krieg in den von Israel eroberten Gebieten lebt, geschehen ist.“

Er schildert sein Volk als in der Seele gespalten, von Gewissensbissen erfüllt und mit seinen moralischen Prinzipien zerstritten: ,JJie eine Hälfte der Israelis sieht dabei deutlicher denn je, daß sich die Okkupationspolitik in einer Sackgasse bewegt und neigt zu der Erkenntnis, daß es so zwangsläufig zum Dialog mit den Palästinensern kommen muß. Die andere Hälfte des Volkes ist verbittert und zürnt über das Unvermögen, sich an den faulen Früchten des Sieges satt essen zu können.“

Intoleranz, Gewalttätigkeit und Extremismus breiten sich aus, konstatierte Joshua Sobol damals.

Sobol hat immer die Konfrontation gesucht, um mit der Sprache des Theaters dem Zuschauer die eigene Lage klar zu machen.

Die Wirklichkeit hat indes das Theater längst eingeholt. Die Menschen zerstören das, wofür sie zu kämpfen glauben: Das ist Sobols Botschaft im .Jerusalem-Syndrom“.

Gewissen aufrütteln, Herz und Verstand bewegen — das sind für Sobol die Funktionen des Theaters.

Und er trifft damit den Nerv der Zeit.

In diesem Gedenkjahr fordert er von seinen Landsleuten, daß sie aufhören zu träumen.

Das macht ihn bei vielen Israelis ziemlich verhaßt.

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