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Nestroy und Raimund

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Festwochen im Schauspiel. Wird Besonderes geboten, das man während der übrigen Spielzeit nicht sehen kann? Im Theater in der Josef Stadt und im Volkstheater heben sich die Aufführungen nicht sonderlich aus der laufenden Produktion heraus. Beide Bühnen ergeben sich dem österreichischen Vormärz mit Stücken unserer zwei großen Dramatiker von damals. Das aber bedeutet immer wieder Gewinn.

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Festwochen im Schauspiel. Wird Besonderes geboten, das man während der übrigen Spielzeit nicht sehen kann? Im Theater in der Josef Stadt und im Volkstheater heben sich die Aufführungen nicht sonderlich aus der laufenden Produktion heraus. Beide Bühnen ergeben sich dem österreichischen Vormärz mit Stücken unserer zwei großen Dramatiker von damals. Das aber bedeutet immer wieder Gewinn.

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Im Theater in der Josefstadt ersteht eine Frage: Liegt das Glück im Notwendigsten oder im Uberflüssigen? Albrecht Dürer stellt das Glück in einem optischen Sinnbild als überhaupt unerreichbar dar. Bei Nestroy ist es nicht anders. Amüsante Beweisführung in der Posse „Die beiden Nachtwandler oder Das Notwendige und das Überflüssige“. Da errettet der hundsarme Seiler Faden nachtwandelnd durch sein Erscheinen einen reichen jungen Lord vor Mördern, weshalb der Dankbare ihn glücklich machen will, er gibt ihm auf Grund einer Wette mit seinem ebenfalls adeligen Onkel das Notwendige. Wie weit reicht aber das Notwendige? Wo beginnt das Uberflüssige?

Für den plötzlich mit Glücksgütern

überschütteten Seiler erscheint es auch noch notwendig, das Schloß des Lords zu besitzen, weil es seine Begehrte begehrt. Die Grenze zwischen dem Notwendigen und dem Uberflüssigen verschiebt sich immer mehr, das Glück ist nie zu erhaschen, denn als er alles hat, verlagert sich — ein psychologisch sehr richtiger Zug — sein Wunsch auf die Erfüllung einer Marotte. Darüber aber stürzt er.

Am Anfang und am Schluß, doch auch sonst, zeigt sich allzu viel Unbekümmertheit, billige Possenroutine. Aber die skeptische Weltsicht, die mit beinahe bissiger Lust aufzeigt, daß „überall halt a Umstand dabei“ ist, ein bitter schmeckender, versteht sich, diese Sicht bricht gerade hier immer wieder auf. Hans Weigel hat als Bearbeiter dazu noch das seine getan. Regisseur Leopold Lindtberg setzt die Darsteller wirkungssicher ein. Fritz Muliar spielt den Faden vollsaftig aus, Kurt Sowinetz gibt seinem Gesellen, dem zweiten Nachtwandler, konträr trockene Suada. Unter den zahlreichen Mitwirkenden ist auf Carl Bosse, Christian Futterknecht, Guido Wieland und Luzi Neudecker zu verweisen. Die Bühnenbilder von Roman Weyl sind lediglich passabel.

*

Auch im Volkstheater wird ein Stück gespielt, das zeigt, wie unverdienter, plötzlich erworbener Reichtum den Menschen verdirbt: „Der Bauer als Millionär“ von Ferdinand Raimund. Im Programmzettel ist aber der zweite Titel dieses romantischen Originalzaubermärchens „Das Mädchen aus der Feenwelt“ an erste Stelle gesetzt. Damit wird die Feenwelt aufgewertet, damit wird betont, daß das Menschenherz der Kamfplatz der Überwelt ist. Und gerade dies haben die heutigen Menschen überaus nötig, mag diese Überwelt hier auch wienerisch ironisierend vermenschlicht sein. Es war ja schließlich bei den alten Griechen nicht anders.

Eine Welt außerhalb der eigenen Bedrüfnisbefriedigung und der dafür

erforderlichen Mittel wird negiert, der Wohlstand bekommt unseren Zeitgenossen ebensowenig wie diesem Fortunatus Wurzel. Ergibt er sich der Trunksucht und der Völlerei, so wurden sie zu Genußautomaten. Nun, Nestroy geht wider die Torheit der Menschen, wider die Conditio inhu-mana mit genialer Bissigkeit an, Raimund ist versöhnlich, lächelnd betrachtet er die Schwächen der Menschen, sein Herz ist überall spürbar, und wenn wir nicht völlig verstockt sind, schwingt das unsere mit.

Diese Betonung der Überwelt wird unter der zugleich einfühlsamen, wie griffigen Regie von Gustav Manker sofort beim ersten Aufgehen des Vorhangs überraschend manifest. Ein großartiger Anblick: Die Feen, die Nymphe, der Zauberer, der

Magier, sie alle sind von Maxi Tschunko in blendendes Weiß gekleidet, doch schaukeln sie nicht auf vagen Wolken: den Bühnenraum umgrenzen hintereinander sechs sich verjüngende Rahmen; die Uberwelt wird, fest gefaßt, gewissermaßen zu einer irrealen Realität. Diese Rahmen behielt die Bühnenbildnerin — ebenfalls Maxi Tschunko — weiterhin bei, wobei sie die Schauplätze im Freien nur andeutet.

Särkste Wirkung erreichen die Szenen mit Wurzel und dem Kammerdiener Lorenz, seinem ehemaligen Kuhhirten. Karl Paryla ist ein Wurzel von einer Vitalität, einer Besessenheit, einer Fülle unterschiedlichsten Ausdrucks, er zwingt dadurch sofort in Bann. Rudolf Strobl erweist seine erstaunliche Wandlungsfähigkeit, wie dieser besoffene Kerl auf seinen Herrn einredet, sich über ihn wundert, wirkt höchst ergötzlich. Paryla zeichnet dann als Aschenmann völlig unaufdringlich den gebrechlichen Alten, den still Gewandelten. Kitty Speiser ist eine reizvolle Jugend, Gustav Dieffenba-cher ein hämisches hohes Alter. Das junge Paar, um dessen Glück es geht, stellen die innig wirkende Heidi Picha, der frisch unmittelbare Alfred Pfeifer dar. Herzlichkeit kennzeichnet die Zufriedenheit von Hilde Sochor, Drolligkeit den schwäbelnden Ajaxerle von Heinz Petters, dem Haß gibt Uwe Falkenbach explosiven Zorn. Die ansprechende Biedermeiermusik von Joseph Drechsler wurde von Norbert Pawlitzki eingerichtet.

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