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Netz der Rechtsradikalen

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Anhand der Ausländer wird den Ostdeutschen klar, daß sie selbst in Ghettosiedlungen leben. Und die Vereinigung mit der Bundesrepublik hat dieses Bewußtsein nur noch verschärft. Der Ostberliner Literat Lutz Rathenow analysiert in einem FURCH K-Gespräch die dramatische Situation.

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Anhand der Ausländer wird den Ostdeutschen klar, daß sie selbst in Ghettosiedlungen leben. Und die Vereinigung mit der Bundesrepublik hat dieses Bewußtsein nur noch verschärft. Der Ostberliner Literat Lutz Rathenow analysiert in einem FURCH K-Gespräch die dramatische Situation.

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Auf das Phänomen, daß es den „Randalierern" in der ehemaligen DDR gelingt, der Konfrontation da auszuweichen, wo sie unterlegen sind, um dann in drei oder vier anderen Städten wieder aufzutauchen, macht Lutz Rathenow besonders aufmerksam. „Das deutet auf ein gewisses organisiertes Netz hin. Da kann man nicht mehr spontan auf irgendwelche Unruhen warten und dann die Leute festnehmen, sondern man muß versuchen, die Störenfriede schon vorher ausfindig zu machen."

In den sogenannten neuen Bundesländern ist offenbar jener Punkt erreicht, an dem man nach dem Staat, nach Ordnung ruft. Für den Literaten, der jahrelang in der DDR nicht publizieren und erst 1989 erstmals in den Westen - nach Wien - reisen durfte, stellt sich die Bevölkerung in Ostdeutschland als „eine Spur rassistischer als der Durchschnitt der Bevölkerung in den alten Bundesländern", desgleichen als eine „deutliche Spur nonkonformistischer" dar. „Ich will nicht sagen anarchistisch, aber unsere Bevölkerung ist auf jeden Fall von dem Erlebnis geprägt, daß eine Regierung gestürzt werden und ein Staat verschwinden kann. Die Menschen in Ostdeutschland sind ungehorsamer, sie sind nicht so satt und so wohlstandsapathisch wie die Bundesbevölkerung."

Autistische Bevölkerung

Das könnte nach Meinung Rathenows durchaus auch positive Impulse für das gesellschaftliche und politische Leben mit sich bringen, werde aber - der sozialen Probleme wegen -von Demagogen mißbraucht und am ausländerfeindlichen Aspekt angeknüpft. „Dieser Aspekt ist vollendeter Blödsinn. Denn die Ausländer, gegen die man vorgeht, gefährden keinen einzigen Arbeitsplatz. Jene Ausländer, die sich sehr klug und intelligent in die ehemalige DDR integrieren, zum Beispiel die Juden aus der früheren Sowjetunion, werden überhaupt nicht beachtet oder in der Debatte wahrgenommen. Ich glaube, daß es auch ohne Arbeitslosigkeit bestimmte Ausbrüche geben würde."

Das liege zum Großteil in der Geschichte der DDR begründet, einem extrem abgeschlossenen Land, dessen Bevölkerung sehr autistisch auf sich selbst fixiert gewesen sei. „Man war nicht gewohnt, mit Menschen, die anders aussehen und eine andere Sprache sprechen, zusammen zu sein", so Rathenow, der darauf hinweist, daß jene, die jetzt gegen „Ausländer" auf die Straße gehen und auf Gewalt setzen, weder eine Grundstimmung in der DDR wiedergeben noch als „kleine Außenseitergruppe" beschrieben werden sollten.

„Es gab junge Leute, die mit Steinen und Brandflaschen auf Asylantenheime geworfen und die Ausländer raus' geschrien haben und im nächsten Augenblick, als die Polizei zurückschlug, die Polizisten als Nazischweine beschimpften." Die meisten Randalierer, glaubt Rathenow, würden es strikt ablehnen, sich als Rechtsradikale zu bezeichnen - „und genaugenommen sind sie es auch nicht, wie auch die DDR-Bevölkerung nicht rechtsradikal ist". Es handle sich aber um eine „größer gewordene Minderheit, auf die man zunehmend achten muß". Diese Minderheit verfüge über „einige Schlüssel", um sich der Beliebtheit der Mehrheit zu versichern: „Der mächtigste Schlüssel ist die Ausländerfeindlichkeit, die kung aus dem übrigen Europa sicher sei, Einfluß zu bekommen, politikfähig zu werden. „Und das" - warnt Rathenow eindringlich - „muß man wirklich unter Kontrolle bekommen, während man den Jugendlichen, die mitrandalieren, nur mit einem ganzen Bündel von Maßnahmen helfen kann: Reisen, Jugendaustausch, gemeinsame Arbeits- und Urlaubsaufenthalte in anderen Ländern, Arbeitsplatzangebote im eigenen Land. Viertelmaßnahmen helfen nichts."

Abschaffung der Demokratie

Eine Gefahr „von links", wie sie der Innenminister von Mecklenburg Vorpommern in einem Atemzug mit der „rechten Gefahr" genannt hat, droht nach Ansicht Rathenows nicht. Eine spezielle Polizeieinheit sollte sich vor allem auf den wirklichen Rechtsradikalismus in den verschiedensten Nuancen beziehen und auch versteckte Ermittlungen führen dürfen, um bestehende Gesetze gegen führende rechtsradikale Kräfte, „die mitunter auch aus dem Ausland kommen und den Ruf .Ausländer raus', © nicht auf sich beziehen", durchzusetzen.

Die eigentliche Gefahr dieses Netzwerks und der Ausnützung der Randalierer für politische Zwecke durch die rechtsradikale politische Szene liegt nach den Worten Rathenows darin, daß es „letztlich um die Abschaffung der Demokratie" gehe. Die parlamentarische Arbeit von Republikanern oder der DVU in den alten Bundesländern zeige, daß diese Parteien im Prinzip parlamentarisch nichts einzubringen haben. „Für Rechtsradikale - das zeigt sich auch in Berlin -gibt es keinen Weg über die Parlamente. Das Parlament wird nur als Standbein genützt, um sich nach außen hin legal zu geben und sich von Gewalt offiziell abzugrenzen. Dabei ist eine Doppelzüngigkeit offenkundig. Franz Schönhuber von den Republikanern hat sich intern anders als in mit dem etwas größeren Rassismus zu tun hat, mit dem Ungewohntsein im Umgang mit anderen Ländern und Menschen."

Ein weiterer Schlüssel sei die Pressefeindlichkeit, eine Feindlichkeit gegenüber der Öffentlichkeit: „Man will gewisse Dinge unkontrolliert und unkontrollierbar machen. Deswegen hat man auch auf Presseleute Steine geworfen als die Polizei nicht mehr da war."

Mit dementsprechenden Losungen versuche die rechtsradikale Szene, die sich einer gewissen Rückendekder Öffentlichkeit über Gewaltanwendung geäußert."

Rathenow sieht hinter den Krawallen also den Rechtsradikalismus republikanischer Prägung agieren, dessen Ziel „Aushebelung der Demokratie" sei: „Es geht um die Abschaffung der Pressefreiheit, nicht nur um Änderung des Asylrechts, sondern um die Verhinderung des Zuzugs von Ausländem, wobei niemand weiß, wie ein Ausländer künftig überhaupt definiert werden soll. Den führenden Köpfen dieser Richtung geht es darum, die Demokratie abzuschaffen." Im Prinzip stehe die Sehnsucht nach einer Diktatur dahinter, die man selbst dominiert und von der man sich irgendwelche Vorteile erwartet.

Diejenigen, die in Rostock beispielsweise den Gewalttätern Beifall zollten, sehen sich tatsächlich als Opfer des alten Systems, dem sie zuletzt allerdings nur mit völliger Apathie gegenübergestanden sind. Diese Haltung - so Rathenow -wurde von einem „deutschlandpolitischen Taumel" abgelöst, der sehr bald enttäuscht wurde. Das Beifallklatschen für die Gewalttäter von Rostock sei auch Ergebnis einer „verwöhnten Anspruchshaltung", die meine, man müsse jetzt sofort so leben wie die Bundesdeutschen.

Die große Mehrheit -betont Rathenow - habe nicht geklatscht, sondern geschwiegen und weggeschaut. Die Beifallklat-scher haben sich dann ernüchtert abgewendet, als ihre eigenen Autos demoliert wurden oder in Flammen aufgingen.

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