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Neu verteilte Rollen in Nahost

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Das Gaza-Jericho-Abkommen zwischen Israel und der PLO von vergangener Woche hat die Karten im Nahen Osten neu gemischt. Wo stehen der Iran, Saddam-Husseins Rest-Irak, wo Gaddafis Libyen? Auch Assads Stellung im anti-israelischen Kampf ist gefährdet, der Sudan tritt an Syriens Stelle. Über Saudi-Arabien wurde in diesem Zusammenhang noch wenig nachgedacht. Wird es Aktionen gegen die israelisch-palästinensische Vereinbarung geben?

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Das Gaza-Jericho-Abkommen zwischen Israel und der PLO von vergangener Woche hat die Karten im Nahen Osten neu gemischt. Wo stehen der Iran, Saddam-Husseins Rest-Irak, wo Gaddafis Libyen? Auch Assads Stellung im anti-israelischen Kampf ist gefährdet, der Sudan tritt an Syriens Stelle. Über Saudi-Arabien wurde in diesem Zusammenhang noch wenig nachgedacht. Wird es Aktionen gegen die israelisch-palästinensische Vereinbarung geben?

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Irak war stets einer der schärfsten Gegner Israels, zumindest verbal; und eine Haupttriebkraft der „Abwehrfront", also derjenigen Staaten, die nach dem Camp-David-Abkommen Ägypten des Verrats an der arabischen Sache bezichtigten. Doch zur Zeit hält sich Bagdad zurück, beziehungsweise schenkt dem israelisch-palästinensischen Friedensschluß wenig Beachtung. Saddam Husseins sunnitischer Reststaat im Mittelteil des Landes hat sich trotz internationaler Sanktionen gut behauptet, fast könnte man von einer Aufwärtsentwicklung sprechen. Ihm ist mehr daran gelegen, allmählich wieder seine Herrschaft über Nord- und Südirak zu konsolidieren, als den Frieden in Gaza und Jericho zu stören.

Bislang hatten die Israelis trotz aller Widerwärtigkeiten gemeint, mit dem Iran könnten sie sich arrangieren. Die alte Achse Teheran-Tel Aviv sei durch den arabischpersischen Antagonismus vorbedingt, gleich welches Regime im Iran an der Macht ist. Den gefährlichen Irak könne man nur durch eine Allianz mit dem Iran in seinem Rücken ausschalten.

Doch Teheran hat sich auf Tel Aviv eingeschossen. Iran unterstützt die islamistische Palästinenserorganisation Hamas, die den Friedensprozeß ablehnt und zu keiner Anerkennung Israels bereit ist. Nach altbewährtem Muster haben die Iraner sogar eine noch radikalere Organisation aufbauen geholfen, genannt Islamischer Djihäd Palästinas. Deren in Damaskus residierender Chef, Fathi Asch-Schikaki, hat zum Kampf gegen die PLO und zur Ermordung Jassir Arafats aufgerufen.

Saddam Hussein ist es sicher nur recht, daß sich Israel und Iran auf Kollisionskurs befinden; denn dadurch wird die Aufmerksamkeit von ihm abgelenkt, und daran ist ihm zur Zeit am meisten gelegen.

Ähnliches sollte eigentlich auch für Gaddafi gelten, dem es wegen Lockerbie langsam an den Kragen geht. Amerikaner, Briten und Franzosen lassen nicht locker und bestehen auf der Auslieferung der zwei am Absturz der Panam-Maschine über Schottland beteiligten libyschen Geheimdienstler - Attentäter, die Gaddafi nicht ausliefern kann, weil sie aussagen würden, daß der Befehl zu jenem Terrorakt von ihm selbst kam. Nun beraten seine Mitverschworenen über Möglichkeiten, ihn abzulösen, damit zumindest das Regime erhalten bleibt und nicht all die vielen Nutznießer zusammen mit ihrem Chef ins Verderben gleiten.

Gaddafi hat es deshalb nicht an plumpen Anbiederungsversuchen bei den Großmächten fehlen lassen, zum Beispiel schickte er eine Gruppe libyscher Pilger nach Jerusalem statt

nach Mekka, was in der arabischen Welt nahezu einstimmig als einer seiner verrückten Einfälle abgetan wurde. Eigentlich wäre es nur logisch, daß Gaddafi das israelischpalästinensische Abkommen unterstützt, um sich somit bei den Amerikanern lieb Kind zu machen. Daß er dennoch gegen das Abkommen Stimmung macht, mag als ein Hinweis darauf gelten, daß er allmählich das Heft aus der Hand verliert und zu komplizierten Schachzügen nicht mehr in der Lage scheint.

Natürlich fühlt sich die alte Garde des Nahost-Pokers übergangen. Man spielt jetzt ohne sie. Jahrzehntelang haben sich die Palästinenser in ihrer Verzweiflung mal an diesen, mal an jenen geklammert. Jeder ist einmal in den Genuß gekommen, Schutzherr der PLO zu sein und als Bannerträger der „arabischen Sache" aufzutreten. Jetzt sieht alles ganz anders aus. Nur Iran ist noch in" der Lage, eine neue Abwehrfront aufzubauen -Iran und Sudan, die eine islamistische Achse bilden. Beide haben jedoch nur über den Südlibanon Zugang nach Palästina, und das hängt gänzlich von der Gunst der Syrer ab. Wahrscheinlich aber wird Syriens Präsident Assad bald für Ruhe im Libanon sorgen, im Austausch gegen die Golan-Höhen, die Israel ihm zurückgeben wird, oder zumindest den größeren Teil davon.

Am stärksten sind die islamistischen Kader der Palästinenser gegenwärtig in Khartum konzentriert. Die sudanesische Hauptstadt tritt mehr und mehr an die Stelle von Damaskus als Hort radikaler Palästinenserführer. Bald wird das noch mehr der Fall sein. Doch Khartum ist weit, ebenso Tunis als bisheriger Sitz Arafats. Die palästinensischen Islamisten werden deshalb stärker noch als bisher im westlichen Exil aktiv werden, wo sie bereits eine entsprechende Infrastruktur aufgebaut haben.

In den USA haben Palästinenser weitgehend die Führung bestehender islamistischer Organisationen übernommen, die ISNA (Islamic Society of North America) und MSA (Moslem Students Association). Überdies

haben sie eine Reihe von Frontorganisationen geschaffen, wie MAYA (Moslem Arab Youth Associtation) und WISE (World Islamic Studies Enterprise).

Es ist also nicht nur so, daß alten Nahost-Politikern wie Saddam Hussein und Muam-mar al Gaddafi die PLO entglitten wäre. Auch die Opposition zu Arafat hat sich flügge gemacht. Entscheidend ist nicht mehr, was die traditionellen Terroristenchefs wie Abu Nidal und Ahmad Jibril meinen. Heute gilt, was der in einem pakistanischen Politikforschungsinstitut angestellte Kamal Hilbawi sagt, oder der Politologe Khalil Asch-Schikaki, Bruder des Parteifunktionärs Fathi Asch-Schikaki. Es gibt eine neue Garnitur, und die alten stehen, ohnmächtig die Zähne knirschend, vor der Tür.

Ungeklärt noch ist die Frage, ob sich der Islamische Djihäd Palästinas in seinem Heiligen Krieg gegen das israelisch-palästinensische Abkommen für eine neue Welle internationalen Terrors entscheiden wird, oder ob er seine globale Infrastruktur eher dazu nutzt, einen Propagandafeldzug im Lobby-Stil durchzuführen. In letzterem Fall könnten die palästinensischen Islamisten mit Unterstützung aus Saudi-Arabien rechnen. Dort wird offiziell zwar das Friedensabkommen gefördert, doch der religiöse Apparat, die in den letzten zwanzig Jahren aufgebaute PseudoKirche des Islam, geht eigene Wege. Zeitschriften der saudischen Islamisten, einschließlich der offiziellen Moslemischen Weltliga, lesen sich nicht anders als die rabiaten Veröffentlichungen extremistischer Verbände wie Islamische Vereinigung Palästinas. Aus dem wahhabitischen Königreich kommen junge Kräfte, die eine ganz andere Politik betreiben als ihre Regierung, weniger gegen sie als parallel zu ihr, doch in die entgegengesetzte Richtung zielend.

Durch die Vertragsunterzeichnung vom 13. September ist manch finsteres Gesicht weg vom Fenster. Man wird sich viele neue Gesichter merken müssen.

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