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Neubewertung I

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Die sich überstürzenden Ereignisse in den Ostblockstaaten, die sich langsam, aber sicher, zu westlichen Demokratien mausern, machen es uns Zeitgenossen und Beobachtern nicht nur schwer, mit dem Tempo der Umwälzungen Schritt zu halten, sie fordern uns auch heraus, bisherige Beurteilungen und Bewertungen historischer Ereignisse und Persönlichkeiten zu korrigieren.

Manchmal fällt eine solche Korrektur zugunsten historisch Belasteter aus. SoimFalle des polnischen Staatspräsidenten General Jaruzelski, der inner- und außerhalb Polens als Verräter und Handlanger der Sowjets, als Mann des Kriegsrechtes und der Gewalt angesehen und verurteilt wurde und von vielen noch wird. Ich muß gestehen, daß ich mit vielen anderen diesen Mann anders sehe als zur Zeit der Einführung des Kriegsrechtes und noch später.

Ich muß dem ehemaligen Chefideologen der KP Polens, Adam Schaff, der inzwischen selbst aus seiner Partei ausgeschlossen wurde und mit dem ich mich seinerzeit wegen seiner vehementen Stellungnahme pro Jaruzelski literarisch entzweit habe, in aller Form Abbitte leisten und rückblik-kend seiner Beurteilung zustimmen.

Jaruzelski hat durch seine Entscheidung nicht nur viel Schlimmeres für Polen verhütet, er hat damit sogar den Reformprozeß in der Sowjetunion erleichtert und vielleicht auch bewußt die undankbare Rolle des Judas, die einer spielen mußte, damit das Schlimmste nicht Wahrheit wird, auf sich genommen. Alles das ist Grund genug, diesen Mann, der ein falsches Odium auf sich genommen hat, hochzuschätzen, ja vielleicht sogar zu verehren.

Leider ist Jaruzelski ein seltener Fall, dem die anderen Fälle kommunistischer Führer gegenüberstehen, die noch viel schlechter sind, als man allgemein angenommen hat. So übertrifft das, was sich Ceausescu und seine Soldateska in Rumänien geleistet hat, alle Vorstellungen.

Doch auch die ostdeutschen Führer, die sich glücklicherweise nicht mehr zur blutigen Konfrontation aufrafften, kommen im historischen und moralischen Urteil schlechter weg als angenommen. So habe ich persönlich Honecker & Co zwar für verbohrte Fanatiker, aber für persönlich integer gehalten, jedenfalls nicht für die Bereicherer und Luxuskonsumenten, als die sie sich entpuppt haben.

Der Kommunismus insgesamt ist jedenfalls, wie immer das Urteil über Einzelpersonen lauten mag, als Fehlentwicklung und moralische Katastrophe entlarvt und wohl für immer diskreditiert.

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