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Neue Ansätze im Unterricht

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Wieder einmal sind die Sommerferien zu Ende gegangen, einmal mehr wirft ein Schulbeginn seine Schatten voraus. Schatten für den Religionsunterricht: So mancher Religionsprofessor stellt sich nun die bange Frage, wie viele Schüler sich dieses Jahr wieder vom Unterricht abmelden, wie viele fanatische Abwerber zu diesem Schulbeginn das Fach Religion und seine Lehrer verunsichern werden.

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Wieder einmal sind die Sommerferien zu Ende gegangen, einmal mehr wirft ein Schulbeginn seine Schatten voraus. Schatten für den Religionsunterricht: So mancher Religionsprofessor stellt sich nun die bange Frage, wie viele Schüler sich dieses Jahr wieder vom Unterricht abmelden, wie viele fanatische Abwerber zu diesem Schulbeginn das Fach Religion und seine Lehrer verunsichern werden.

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Zumindest diese zweite Unbekannte darf getrost vergessen werden: nach Auskunft des Wiener Erz- bischöflichen Amtes für Unterricht und Erziehung sind die Abmeldezahlen seit Jahren ziemlich konstant. Revolutionäre Phrasendrescherei und nicht selten pubertätsbedingte Gegenpropaganda scheint nämlich bei den Schülern nicht sonderlich zu greifen.

Studiert man Marktforschungsdaten über das Verhältnis der Jugendlichen zur Religion, so scheint diese alles andere eher zu drücken als der re volutionäre Schuh. Während der alte marxistische Hut von der Flucht der im Leben Erfolglosen in die Religion von satten 66% der Fünfzehn- bis Neunzehnjährigen (ÖCV-Jugend- studie vom Dezember 1978) als „eher falsch” oder ,,sehr falsch” abgetan wird, unterstreichen 55% die Aussage, daß sich schwierige Situationen ohne einen Glauben an Gott kaum bewältigen lassen, wie es auch nur 16% der Jugendlichen gleichgültig ist, ob es einen Gott gibt.

Die an Herz und Nieren gehende Problematik unserer Schüler liegt dort, wo sich der blanke Materialismus unseres Alltags spiegelt, in der erschreckenden nihilistischen Behauptung von 35%, das Leben habe zwar nicht viel Sinn, mache aber Spaß. Hier droht Leben herabzusinken zu unverbindlichem Spaß, ohne Bindung und ohne tiefere Neigung. Mit der Problematisierung eines solchen, konsumeristischen Lebenskonzeptes hat der heutige Religionsunterricht anzusetzen, um über die Frustrationen und Konflikte der Gegenwart eines vordergründigen Dahinlebens vorzudringen Zu den umfassenden Dimensionen von Erlösung und Befreiung.

Daß der Religionsunterricht so ziemlich der einzige Unterrichtsgegenstand ist, der emanzipatorische Ziele annähernd zu erreichen und, wie es Wilfried Daim apokalyptisch nennen würde, „Schicksalsdeutung” zu geben vermag, das soll im Folgenden unter Beweis gestellt werden.

Kein anderes Unterrichtsfach verfügt über einen derart forstschrittli- chen und lebenswichtigen Lehrplan: „Dem Schüler soll die Fragesituation seiner menschlichen Existenz bewußt gemacht und als Frage nach Gott gedeutet werden.” Kein anderes Fach im breitgestreuten Fächerkanon der österreichischen Schulen ist in der Lage, sich so unmittelbar und intensiv den Interessen und Problemen der Jugendlichen zu stellen und diese emstzunehmen: „Es soll dem Schüler Gelegenheit gegeben werden, die aktuellen geistigen Strömungen unter der Jugend eingehend zu analysieren” und: „Der Lehrer wird demnach bei der Erstellung seineg Unterrichtsprogrammes von den Interessen und Bedürfnissen seiner Schüler auszugehen haben.”

Kein anderes Fach schließlich erzeugt so wenig Konkurrenzdruck unter den Schülern und wird mit so geringem Notendruck das Auslangen finden wie der Religionsunterricht. Wenn auch das Schulunterrichtsgė- setz aus dem Jahr 1974 die „ständige Beobachtung der Mitarbeit” zum gleichwertigen, wenn nicht bevorzugten Bestandteil der Leistungsbeurteilung und Notenfindung erhebt, so spielt diese in der Praxis dennoch häufig eine untergeordnete Rolle neben Schularbeiten und mündlichen Prüfungen.

Diese Leistungsbeurteilung, auch heute noch manchmal mißbraucht zur Disziplinierung der Schüler, als ständiger Stein des Anstoßes gleichermaßen für Lehrer- wie Schülerfrustrationen, verhindert ganz einfach des öfteren die einer Schulgemeinschaft unverzichtbare Entkrampfung und Vermenschlichung des Lehrer-Schüler-Verhältnisses.

Damit soll in keiner Weise die Notwendigkeit eines Leistungsnachweises in Frage gestellt, sondern bloß ein wenig zum Nachdenken darüber angeregt werden, ob die reine Reproduktion von Fachwissen erbringende und nur allzu oft überbewertete Schularbeit nicht eher Zufallsergebnisse zeitigt, denn einen Beweis für das fachbejahende Können des Schülers.

Natürlich kann auch der Religionslehrer abfragbares Wissen über Ideologien und Weltreligionen oder Glaubenssätze vermitteln und abprüfen. Doch das kann nur ein Teil sein des Ganzen, im Auftrag der Verkündigung der Guten Nachricht stehenden Unterrichtens. Die Bereitschaft zur engagierten Auseinandersetzung mit dem Glauben an Gott, dem Leben Jesu und seiner heilbringenden Bedeutung für uns heutige Menschen allerdings läßt sich nicht herbeiprüfen, genau so wenig wie der persönliche Einsatz im Dienste der Nächstenliebe.

Ständige Weckung und Beobachtung der Mitarbeit nimmt daher den zentralen Platz ein im Religionsunterricht Die individuelle Wesensund Denkungsart des Schülers muß also ungleich ernster genommen und bedankt werden als etwa in Mathematik. Aufgabe des Faches Religion ist es auch, in behutsamen Gesprächen, im gemeinsamen Nachdenken der Gruppenarbeiten, die Bedingungen des eigenen Lebens und seiner Zielsetzungen im Lichte des die Gegenwart kontrastierenden Evangeliums zu reflektieren.

Von diesem Prozeß sollte eine Sprengwirkung ausgehen, hinausdrängen zur Durchführung von Aktionen außerhalb der Schule, etwa der Betreuung sozialer Randgruppen, um nur ein mögliches Beispiel zu nennen.

Insofern trägt der Religionsunterricht bei zur Emanzipation des ganzen Menschen, insofern auch kann die Leistungsbeurteilung nicht bestehen oder sich begnügen mit einer quantitativ bestimmten Wissensmessung ohne Bezug zur Charakter- und Persönlichkeitsbildung.

Gerade die Freiwilligkeit der Teilnahme an diesem Unterricht bewirkt im Gesamten eine bessere Qualität, eine menschlichere Ausrichtung, weil sich der Lehrer wirklich auf die Interessenslage der Schüler einstimmen muß, wenn er seinen Auftrag von Herzen zu erfüllen sucht.

Die Freiheit des Faches Religion könnte eines Tages auch Wegbereiter sein einer Weiterentwicklung unseres Schulsystems. Alternative Fächergruppen mit Wahlmöglichkeit ähnlich dem Hochschulbetrieb brächten ab etwa 17 Jahren einen weiteren Horizont und mehr Buntes ins Grau unserer höheren Schulen.

Allen Ernstes kann der Religionsunterricht emanzipiertes Vorzeichen einer zukünftigen und menschlicheren Schule genannt werden.

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