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Neue Chancen fiiir Europa

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Die Welt um uns ist im Umbruch. Die Nachkriegsära geht auch in Europa definitiv zu Ende. Der Kalte Krieg ist überwunden. Im Osten signalisieren Perestrojka und Glasnost wirtschaftliches Umdenken und Demokratisierung. Ideologie wird durch pragmatisches Vorgehen abgelöst.

Im Westen hat die Entschlossenheit der EG, bis Ende 1992 einen gemeinsamen Binnenmarkt von 320 Millionen Menschen zu schaffen, einen dynamischen Pro^ zeß ausgelöst, dem sich auch Österreich nicht entziehen kann.

Diese Entwicklung bietet für die Staaten Europas neue Chan-

cen, die Spaltung des Kontinents zu überwunden. Dazu kann neben dem KSZE-Prozeß vor allem auch der Europarat eine nützliche Rolle spielen.

Der Europarat hat, insbesondere durch die Europäische Menschenrechtskonvention, einen konkreten und unüberschätzba-ren Beitrag zur Wahrung der Rechte des Individuums in den einzelnen Mitgliedstaaten geleistet. Österreich hat dem Europarat in der Außenpolitik immer einen besonderen Stellenwert eingeräumt und zweimal den Generalsekretär gestellt.

Als Organisation von nunmehr 23 pluralistischen parlamentarischen Demokratien (San Marino ist dem Europarat 1988 als 22. Mitglied beigetreten, jetzt folgt Finnland diesem Beispiel) .verkörpert der Europarat das Europa der Menschenrechte und Grundfreiheiten. Neben dem Ministerkomitee ist vor allem die Parlamentarische Versammlung Ausdruck der auf Recht und Freiheit des einzelnen basierenden demokratischen Gesinnung.

Die Demokratisierungsbestrebungen der osteuropäischen Staaten führen heute in besonders eindrucksvoller Weise die fundamentale Gültigkeit jener Grundwerte vor Augen, die das Wesen des Europarats ausmachen. Es wäre zu wünschen, daß der Demokratisierungsprozeß im Osten weiter voranschreitet, damit der Europarat in nicht zu ferner Zukunft tatsächlich eine paneuropäische Dimension erhält.

Jedenfalls besteht schon heute ein grundsätzlicher Konsens unter den Mitgliedstaaten, daß die Beziehungen zu den osteuropäischen Ländern ausgebaut werden sollen, wobei jeder Staat für sich, das heißt aufgrund seiner konkreten Situation, behandelt werden soll. Zunächst müßte wohl mit einem Informationsaustausch begonnen und in der Folge die Zusammenarbeit stufenweise ausgebaut werden. Dies muß sich auch auf „kritische" Bereiche wie etwa Menschenrechte und Parlamentarismus erstrecken.

Wenn auch ein Beitritt osteuropäischer Staaten zum Europarat gegenwärtig noch nicht möglich erscheint, hat die Parlamentarische Versammlung in ihrem Komitee für Beziehungen mit europäischen Nicht-Mitgliedstaaten doch einen ersten Schritt in diese Richtung gesetzt. Für Delegationen aus Staaten, die daran Interesse gezeigt haben und die dafür in Frage kommen - wie etwa Polen, Ungarn (das seine Absicht bekanntgegeben hat, der. Menschenrechtskonvention beizutreten) oder die UdSSR -, soll der Status eines „Gastbeobachters" vorgesehen werden.

Der geplante Besuch des sowjetischen Staatspräsidenten Michail Gorbatschow beim Europarat am 6. Juli unterstreicht die Bedeutung, die dieser Organisation im Osten beigemessen wird. Für sie ist der Europarat in relativ kurzer Zeit von einer „Bastion des Kalten Krieges" zum interessanten Gesprächspartner geworden.

Es liegt im Interesse Österreichs und entspricht- unserem Selbstverständnis, daß wir diesen Dialog besonders fördern. Dabei sollte pragmatisch, mit kleinen, aber konsequent gesetzten Schritten vorgegangen werden. Die Einbindung der osteuropäischen Staaten in einen derartigen auf Achtung der Menschenrechte und Demokratie aufbauenden Dialog liegt jedenfalls auch in unserem Interesse.

Der Europarat steht heute vor neuen Herausforderungen. Er kann seiner potentiell gesamteuropäischen Dimension nur dann in vollem Ausmaß gerecht werden, wenn er sich selbst, nach 40jährigem Bestehen, den notwendigen Reformen unterzieht. Dazu wird die Ministerkomitee-Sitzung am 5. Mai Gelegenheit geben.

Bereits im April hat sich eine Sondersitzung des Ministerkomitees, an der ich im Auftrag von Bundesminister Alois Mock teilgenommen habe, mit dieser Frage beschäftigt. Dabei geht es unter anderem um eine Verbesserung der Effizienz, institutionelle Aspekte, bessere Koordinierung und Arbeitsteilung beziehungsweise Zusammenarbeit mit der EG. Auch wäre eine offenere und aktivere Informationspolitik des Europarates sicher von Vorteil.

Zu überlegen wäre auch, inwieweit der Europarat im Bereich des KSZE-Prozesses eine angemessene Rolle spielen könnte. Schließlich sollte auch, gerade im Rahmen eines gesamteuropäischen Dialoges, der kulturellen Kooperation ein besonderer Stellenwert eingeräumt werden.

Es wird sicher noch vieler Anstrengungen in Ost und West bedürfen, bis der Europarat als gesamteuropäische Institution Ausdruck eines gemeinsamen Europas wird.

Dr. Thomas KlettU ist Generalsekretär im Bundesministerium für auswärtise Angele-geiüieiten.

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