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Neue Eliten gesucht

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Wir leben heute in einer Zeit besonders markanter Herausforderungen auf verschiedensten Gebieten. Die politischen Umwälzungen in Osteuropa, die in allen ihren Konsequenzen heute noch gar nicht überschaubar sind, stellen unsere, in bald einem halben Jahrhundert liebgewonnenen si-cherheits- und verteidigungspolitischen Denkschemata in Frage. Technisch-wissenschaftliche Revolutionen auf dem Gebiet der Informationsübertragung, der Automatisierung, der Gentechnologie und anderes mehr, verändern nicht nur unsere Arbeitswelt nachhaltig, sie beginnen auch tief in alle übrigen Lebensbereiche hineinzuwirken. In zunehmendem Maße müssen wir erkennen, daß eine zum Teil exzessive Nutzung von Umweltressourcen in der Vergangenheit zu bedrohlichen Naturzerstörungen führte.

Diese Liste von bereits aktuellen, oder doch mindestens vorhersehbaren Herausforderungen ließe sich fast beliebig verlängern. Sie ist aber auch in dieser Kürze vermutlich schon ausreichend, um zu verdeutlichen, daß die Bewältigung dieser Herausforderungen und Probleme die Mobilisierung aller kreativen Potentiale, allen Einfallsreichstums und eines hohen Maßes an Flexibilität und Improvisationstalentes erfordern wird. Dies gilt natürlich im besonderen für alle jene, die in führenden Positionen tätig sind.

Zu allen Zeiten waren es, zumindest nach dem bei uns vorherrschenden Geschichtsverständnis, Persönlichkeiten mit ganz spezifischen Führungsqualitäten, waren es, um einen oft fälschlich gebrauchten und daher gelegentlich diskreditierten Ausdruck zu gebrauchen, Eliten, die den wissenschaftlichen, wirtschaftlichen, politischen und wohl auch künstlerischen Fortschritt vorangetrieben haben.

Dieser Elitenbegriff hat, anders als das gerne dargestellt wird, unmittelbar sicher nichts mit einer sozialen oder ökonomischen Oberschicht zu tun, der es durch finanzielles oder auch anderweitiges Privileg gelingt, diese Stellung über Generationen hinweg zu verteidigen. Er drückt im eigentlichen Wortsinn vielmehr eine intellektuelle „Auslese“ aller jener aus, die neue Entwicklungen rascher erkennen, erschöpfender zu analysieren vermögen als andere, ja die diese Entwicklung unter Umständen überhaupt erst auslö-

sen oder zumindest nachhaltig beeinflussen.

In diesem Sinne bildeten etwa auch jene sozialistischen „Kaf-feehausrevolutionäre“, die, um die Jahrhundertwende aus aller Herren Länder kommend, in Wien eine vorübergehende Zuflucht fanden, natürlich eine Elite; auch wenn sie selbst dies vermutlich nicht gerne gehört hätten. Nicht nur entwickelten sie eine gesellschaftspolitische Utopie (weiter), die noch Generationen nach ihnen auf viele junge Menschen große Anziehungskraft ausübt, gelang es einigen von ihnen überdies später, in einer Reihe von Revolutionen tatsächlichy zunächst die alte europäische und schließlich sogar die ti-adierte Weltordnung hinwegzufegen. Wie immer man zum Erfolg dieser Gruppe stehen mag, so hat sie doch uijbestreitbar etwas vollbracht, was ihre Zeitgenossen als schlechterdings unmöglich eingeschätzt haben. Eliten, verstanden als Ideenspender und als Gruppe von Persönlichkeiten, die das scheinbar Unmögliche möglich zu machen vermag, werden wir in Zukunft aber dringend brauchen. Erstarrte gesellschaftliche Strukturen sind sicher das Gegenteil einer elitenfreundlichen Kultur. Gesellschaftliche Flexibilität als breitestmögliche Chance für den sozialen Aufstieg, aber auch als permanente Gefahr des ökonomischen Abstieges, ist ein ganz wesentliches Anreizelement zur Verbesserung der Führungsqualifikation. Damit ist das Bildungssystem gefordert.

Unbestreitbar bildet die Basis jeder Führung zunächst einmal das reine Fachwissen, woraus sich jede intellektuelle Begabtenförderung rechtfertigt. Wir erkennen heute aber auch, daß in einer zunehmend komplexer werdenden Welt die Zeit der Universalgenies endgültig vorbei ist. Damit aber wird die Fähigkeit zum Dialog, zur Auswahl ganz bestimmter unter den vielen möglichen Fragestellungen und Problemlösungen, zur inhaltlichen und formalen Vermittlung zwischen divergierenden Standpunkten und Auffassungen, immer wichtiger. Führung wird in Zukunft daher weniger in Form einsamer, patriarchalischer Entscheidungen, als vielmehr in Form von Teamlösungen praktiziert werden.

In der neueren Organisationstheorie, wie auch der organisationstechnischen Realität einer ganzen Reihe von Großunternehmungen und -Institutionen hat man überdies die Notwendigkeit eines permanenten Dialoges zwischen der Führung und allen Mitarbeiterebenen erkannt. Die Bildung kleiner, dezentraler und eigenverantwortlicher Einheiten, begünstigt aufgrund der dann natürlich wesentlich besseren Uber-schaubarkeit diesen Dialog erheblich. Nur dann wird es möglich, die kreativen Potentiale und spezifischen Erfahrungen aller Mitarbeiter bestmöglich zu erschließen und im Sinne eines gemeinsamen Zieles umzusetzen.

Gerade angesichts der vielschichtigen Herausforderungen, vor denen wir heute stehen, gilt es, alle gesamtwirtschaftlich verfügbaren Potentiale an Kreativität und Ideenreichtum zu wecken und in optimaler Weise zur Problemlösung zu verbinden.

Oer Autor ist Bundesminister für wirtschaftliche Angelegenheiten.

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