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Neue Europa- Initiativen

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Spaniens und Portugals Beitritt zur Europäischen Gemeinschaft mit 1. 1. 1986 wurde vergangene Woche in Brüssel praktisch gesichert. Gleichzeitig ist im Laufe dieses Jahres eine Intensivierung der Europapolitik zu erwarten. Treibende Kräfte sind Paris und Bonn.

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Spaniens und Portugals Beitritt zur Europäischen Gemeinschaft mit 1. 1. 1986 wurde vergangene Woche in Brüssel praktisch gesichert. Gleichzeitig ist im Laufe dieses Jahres eine Intensivierung der Europapolitik zu erwarten. Treibende Kräfte sind Paris und Bonn.

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Einer erstaunten Umwelt kündigte unlängst der französische Präsident Francois Mitterrand eine sensationelle Europainitiative an. Sehr schnell stellte sich heraus, daß es sich hierbei nur um eine politische Absicht handelte, in der Hoffnung, durch eine zukunftsträchtige europäische Aktion seine schwankende innenpolitische Position zu konsolidieren. Erst anschließend machte man sich in der Umgebung Mitterrands Gedanken über die möglichen konkreten Vorschläge.

Mitterrand spielt seit langen Monaten mit einem Referendum über eine Frage, für die in der französischen Öffentlichkeit ein breiter Konsensus besteht, so daß er ein massives Ja und hiermit eine persönliche Aufwertung erhoffen darf. Sein Berater Attali suchte indessen reichlich spekulativ für diesen ersehnten Volksentscheid ein europäisches Thema, ohne sich um die Bestimmungen der Verfassung zu kümmern.

Am stärksten phantasieanregend war die auf diesem Wege von Frankreich den Partnern suggerierte Direktwahl eines europäischen Präsidenten. Ferner sprach Attali von der Verwandlung der europäischen Währungseinheit ECU in eine internationale Reservewährung und von einer großzügig konzipierten Regierungskonferenz zur schrittweisen Verwirklichung einer Europäischen Union.

Nach der Verfassung kann ein Referendum jedoch nicht dazu dienen, Projekte, die eines Tages vertraglich verankert werden sollen, zu unterstützen, sondern lediglich klare Gesetzestexte endgültig zu billigen. Allein die Beitrittsverträge von Spanien und Portugal zu der Europäischen Gemeinschaft könnten Gegenstand einer Volksbefragung sein.

In Anbetracht der scharfen kommunistischen Opposition gegen die Süd-Erweiterung der Gemeinschaft und der sehr mißtrauischen Haltung der Gaullisten — von den Bauern ganz abgesehen— wäre ein derartiges Referendum ein politisches Wagnis, das Mitterrand in seiner jetzigen, alles andere als glücklichen Lage nicht eingehen kann.

Dessen ungeachtet liegt eine Intensivierung der Europapolitik im Bereich des Wahrscheinlichen. Während ihres letzten Treffens in Paris sprachen sich in diesem Sinne Mitterrand und Bonns Kanzler Helmut Kohl mit großer Entschlossenheit aus. Sie werden sicherlich nach der Klärung des Erweiterungsproblems etwas unternehmen.

Die Grundlage bildet der von dem Sonderausschuß inzwischen fertiggestellte Bericht über die

Stärkung der Europäischen Gemeinschaft mit Blickrichtung auf eine Europäische Union. Bekanntlich sind nur einige Mitgliedstaaten bereit, auf diesem Wege augenblicklich sehr weit zu gehen. Nach britischer These zum Beispiel soll zunächst einmal der Gemeinsame Markt verwirklicht werden.

Paris und Bonn wollen jedoch unbedingt über die von ihnen keineswegs vernachlässigten wirtschaftlichen Erfordernisse hinaus die europäischen Institutionen stärken. Sie werden so alle Hebel in Bewegung setzen, um das Vetorecht im Europäischen Ministerrat von der Regel zur Ausnahme werden zu lassen, schon weil sonst eine Gemeinschaft mit zwölf Mitgliedern überhaupt nicht mehr arbeitsfähig wäre.

Es ist damit zu rechnen, daß sie sich in dieser Frage durchsetzen werden, zumal sie die Möglichkeit haben, alle weiteren Schritte einer befriedigenden Regelung unterzuordnen.

Ferner ist schwer ersichtlich, wie sich Großbritannien, Dänemark und Griechenland einer institutionellen Verstärkung der Zusammenarbeit zur schrittweisen Definition einer gemeinsamen Außenpolitik unter Einbeziehung der Sicherheitsprobleme widersetzen könnten. Falls sie nicht mitmachen wollen, vermag dies durchaus in kleinerem Kreis zu geschehen.

Dagegen bedarf es für die Aufwertung des Europäischen Parlaments und die Ausweitung seiner Kompetenzen der Zustimmung aller Mitgliedstaaten. Denn es handelt sich um ein Gemeinschaftsorgan, das nicht gleichzeitig auf zwei Bahnen mit verschiedenen Geschwindigkeiten fahren kann.

Kohl und Mitterrand wollen dem Europäischen Rat der Staats- und Regierungschefs Ende Juni in Mailand konkrete Vorschläge unterbreiten. Der deutsche Bundeskanzler erklärte sogar in Paris, sie würden voraussichtlich über die Anregungen des Berichtes des Sonderausschusses hinausgehen. Man rechnet mit einer vorbereitenden vertraulichen Aussprache zwischen den beiden Partnern während oder nach dem

Gipfeltreffen der sieben größten Industriestaaten der Welt in Bonn Anfang Mai.

Der französische Präsident denkt in erster Linie an die Einberufung einer Ministerkonferenz nach Paris im Herbst, um die Ausarbeitung eines neuen europäischen Vertrags zur schrittweisen Verwirklichung einer Union vorzubereiten — nach dem Muster der Konferenz von Messina, die vor rund dreißig Jahren nach dem Scheitern der Europaarmee das Fundament für den Gemeinsamen Markt gelegt hatte.

Mitterrand möchte sich nicht durch Frau Thatcher blockieren lassen. Die Beteiligung der sechs Gründerstaaten der Gemeinschaft ist jedoch unentbehrlich. Um sie unter Druck zu setzen, bedarf es nicht nur einer restlosen deutsch-französischen Ubereinstimmung, sondern auch der Androhung einer bilateralen Alternative.

Seit langem schwebt die deutsch-französische Union in der Luft. In einer ersten Phase müßte man sich freilich mit einigen Teillösungen begnügen.

Neben der Vertiefung der wirtschaftlichen Zusammenarbeit und der stärkeren Harmonisierung der Gesetzgebung wären die Erarbeitung einer gemeinsamen Außenpolitik mit einer obligatorischen Konsultation vor jeder Entscheidung oder Demarche vorstellbar, ferner die Ausdehnung des Wahlrechts auf die im anderen Lande lebenden Staatsbürger, eine straffere Koordinierung der Wirtschaftspolitik und ähnliche kleinere Schritte.

Vorläufig ist aber diese etwaige deutsch-französische Union vor allem ein Druckmittel auf die Partner. Dieses Duo ist schon lange für die Beneluxstaaten und Großbritannien ein Schreckgespenst. Wenn sie das Gefühl haben, daß es mit der Union ernst werden könnte, besteht eine gewisse Aussicht für ihre Zustimmung zur Einberufung der von Bonn und Paris angestrebten neuen Europakonferenz.

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