6847317-1976_28_05.jpg
Digital In Arbeit

Neue Farben

19451960198020002020

Es dauerte relativ lange, bis ein österreichischer Regierungschef es für notwendig erachtete, den Wien-Besuch Georges Pom-pidous vom Jahre 1967, damals noch in seiner Eigenschaft als Ministerpräsident, zu erwidern. Obwohl in Paris die Kette von Visiten aller Großen dieser Welt nicht abreißt, vermochte doch Bruno Kreisky das Interesse der Massenmedien in einem überraschend hohen Maß zu wecken. Selbstverständlich ist der österreichische Regierungschef kein Unbekannter an der Seine. Er gehört naeh französischer Auffassung in die kleine Phalanx europäischer Spitzenpolitiker, die wirklich etwas zu sagen haben und deren Aktionen mit Aufmerksamkeit verfolgt werden.

19451960198020002020

Es dauerte relativ lange, bis ein österreichischer Regierungschef es für notwendig erachtete, den Wien-Besuch Georges Pom-pidous vom Jahre 1967, damals noch in seiner Eigenschaft als Ministerpräsident, zu erwidern. Obwohl in Paris die Kette von Visiten aller Großen dieser Welt nicht abreißt, vermochte doch Bruno Kreisky das Interesse der Massenmedien in einem überraschend hohen Maß zu wecken. Selbstverständlich ist der österreichische Regierungschef kein Unbekannter an der Seine. Er gehört naeh französischer Auffassung in die kleine Phalanx europäischer Spitzenpolitiker, die wirklich etwas zu sagen haben und deren Aktionen mit Aufmerksamkeit verfolgt werden.

Werbung
Werbung
Werbung

Mit dem Besuch Kreiskys in Paris tauchte die Frage nach den Beziehungen zwischen Paris und Wien auf. Obwohl das österreichische Volk mit dem französischen viel ge.me.in-saim hau und zwischen den beiden Staaten keinerlei Konflikte oder auch nur Spannungen bestehen, hat sich diese Übereinstimmung der Interessen noch keineswegs psychologisch, politisch und wirtschaftlich ausgedrückt. Fehler wurden auf beiden Seiten begangen. Es darf angenommen wenden, daß nunmehr die offen geführten Gespräche gewisse Vorurteile aiusgeräiuimt haben. Die österreichischen Vertretungen in Frankreich mußten jahrelang einen harten Kampf führen, um die herrschenden Klischees zu beseitigen. Es war gar nicht leicht, festgefahrene Vorstellungen wie den Heurigen, in Grinzing, die Festspiele in Salzburg und den Wintersport in Tirol durch, das. Bild eines modernen, dynamischen Industriestaates zu ersetzen. Vorurteile mögen die Ursache dafür gewesen sein, daß die französische Technologie, von einer rühmen «werten Ausnahme .albgesehen, eine Erweiterung der Kooperation mit österreichischen Firmen bisher kaum gesucht/ hat. Dies soll sich allerdings in den kommenden Monaten und Jahren radikal bessern. Im besonderen scheint es

angebracht zu sein, gewisse Projekte auf dritten Märkten gemeinsam zu bearbeiten, wodurch sich der österreichischen Industrie die Chance bietet, stärker als bisher im französisch sprechenden Afrika zum Zug« zu kommen. “Während also in wirtschaftlicher Hinsicht manches von einer erweiterten Zusammenarbeit mit der V. Republik zu erwarten ist, kann von beiden Seiten die Entwicklung der Beziehungen auf dem kulturellen Sektor als durchaus befriedigend empfunden wenden. Die jeweiligen Kultuninsrtituitie haben sich in die künstlerischen und musischen Aktivitäten ider Gaststäldte integriert und wunden vielfach zum Zentrum eines größeren oder kleineren Kreises interessierter Bürger. Was das österreichische Kuiturinistitut in Paris betrifft, darf ider heimisch« Steuerzahler beruhigt sein. Trotz bescheidener Subventionen entwickelt diese Anstalt im vielfältigen kulturellen Leben der Weltmetropole eine Ausstrahlung, die. manchmal der Beobachter übernascht.

Nicht ohne Beidauern stellten aller-rllings Frankreichs Kulituirpolitikei fest, daß) der französische Sprachunterricht in den einschlägigen österreichischen Schulen zurückgeht •Ministerpräsident Chirac verwies ausdrücklich auf den Umstand, da£

prozentuell gesehen viel mehr junge Franzosen Deutsch lernen als österreichische Mittelschüler die Sprache Molieres. Nun hat gerade in den letzten Jahren die Bedeutung des Französischen als Weltsprache zugenommen. Bei verschiedenen europäischen Institutionen, sei es beim Straßburger Europarat, sei es bei den europäischen Wirtschaftsgemeinschaften, wird von den Beamten mehr französisch gesprochen als englisch. Selbst bei der UNO gewann das Französisch an Terrain» Es ist unnötig, die Bedeutung dieser Sprache in weiten Teilen Afrikas unter Beweis zu stellen, Auch die arabische Welt verwendet im wesentlichen Französisch als Zweitsprache. Die österreichischen Schulbehörden/ wären gut beraten, wenn sie die Verwendbarkeit des Französischen im internationalen Verkehr 'lachdirück-licher als bisher 'unterstreichen würden.

Aber Bundeskanzler Kreisky erörterte nicht nur Aspekte bilateraler Zusammenarbeit, er 'erwies sich aiich als Gesprächspartner, der eine aktive Außenpolitik befürwortet. Nun steht es gewiß auch den Staatsmännern kleinerer Staaten zu, über die Grenzen! der eigenen nationalen Interessen hinaus konstruktive inter-

nationale Vorschläge zu machen. Man erinnere sich nur, wie nach dem Krieg das kleine Belgien entscheidenden Anteil an der in Gang gesetzten europäischen Integration nahm: In unseren Tagen wiederum zeigt der Repräsentant Luxemburgs, MinisterpräsidenD Thorn, daß eine politische Begabung in keiner Weise auf das eigene Land beschränkt sein muß. Wie immer man innenpolitisch zur Person Kreiskys stehen mag — er ist jedenfalls der einzage österreichische Regierungschef seit 1945, der eine Außenpolitik betreibt, die etwa an die Aktivitäten Belgien'erinnert. Die zwei Vorschläge, die zwischen Gisoand id'Estaing und Bruno Kreisky erörtert wunden, sind von einer politischen Vision begleitet, die über die Grenzen der Alpenrepublik hinaus-reicht. So schlug der österreiichische Gast vor, den bisherigen Mängeln, die sich vor der Helsinfcikonferenz im westlichen Lager gezeigt hatten, durch regelmäßige Konsultafivge-sp räche auf höchster westeuropäischer Ebene zu begegnen. Nach Überwindung zahlreicher Schwierigkeiten ist es bekanntlich Paris gelungen, eine Idee, die schon General de Gaulle ausgesprochen hatte, zu verwirklichen. Von nun am treffen sich die Staats- und Regierungschefs der neun EG-Länder in, ragelmäßi-■gen Abständen und bilden somit etwas wie die Vorstufe für eine westeuropäische Regierung. Allerdings sind zahlreiche Staaten des freien Europa in diesem Gremium nicht vertreten. Gemäß dem Vorschlag Kreiskys könnte nun der Europarat

die Plattform bilden, auf der sich die Regierungschefs aller in Straßburg vertretenen Staaten treffen würden. Diese Aufwerbung des Buroparates, vielfach angeregt durch zahlreiche europäische Organisationen und Bewegungen, fällt in eine Zeit, in der sich diese älteste europäische Institution eines steigenden Prestiges erfreut. Die Zeit ist längst vorbei, in der man den Europarat verächtlich als eine „Quatschbude“ klassifizierte. In unzähligen Kommissionen, auf Kongressen und Studientagungen hat der Europarat auf manchen Gebieten der europäischen Kooperation Vorzügliches geleistet. Er ist die einzige Plattform, auf der sich regelmäßig Abgeordnete «nid/ Experten der EG-Länder und der neutralen Staaten treffen. Nichts steht, völkerrechtlich gesehen, dem Vorschlag Kreiskys entgegen.

Auch die zweite Idee des österreichischen Regierungschefs, einen europäischen Marshallplan für das Schwarze Afrika, ähnlich dem vorzüglichen Modell der US-Hilfe an das notleidende Europa nach dem Kriege, zu schaffen, verdient eingehende internationale Diskussion. Die Anregungen Kreiskys fielen auf fruchtbaren Boden und' Österreich bewies daimlit, daß es das Schneckenbaus der Isolierung verlassen und sich mit Fragen auseinandersetzen will, die größere Aktualität besitzen als jene, die gewöhnlich/ zwischen Neusiedler- und Bodensee erörtert wenden.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung