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Neue Gartenkunst, verlorener Traum

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Für den Nachteil, nicht in einer Region des immerwährenden Frühlings zu Hause zu sein, entschädigen uns die Jahreszeiten. Das Erlebnis ihres Wechsels bildet den Hauptgrund und den Rahmen unserer Sinneswelt. Der Viervierteltakt des Jahres rhythmisiert unser Leben. „Jahreszeitwechsel sind kein kollektives Erlebnis — wie es dem gemeinen Verstände fürs erste scheinen möchte -, sie bilden vielmehr einen für jeden und jedesmal ganz anders gestalteten Baustein in jeder Biographie“, heißt es in Heimito von Doderers Roman „Die Dämonen“.

Mittlerweile, so könnte man meinen, sind wir den Bedingungen, die uns die Jahreszeiten bieten, nicht mehr so ausgeliefert. Die technische Zivilisation hat uns mit Klimaanlagen, Heizungen und Kühlungen, Taumittel und Kunstschnee und -eis, Solarien und ähnlichem beschenkt. Natür-

liehe Gegebenheiten können manipuliert werden, bis sie dem entsprechen, was wir für unsere Bedürfnisse halten. Die Freizeitgestaltung, dieses wichtige Kapitel im moderpen Leben, ist nicht mehr dem Diktat der Natur unterworfen. Es sei denn, unsere Lust und Laune heißt Gärtnern.

Die Gartenkunst stand einst in so hohem Ansehen, daß man praktische Übungen auf diesem Gebiet selbst in die Prinzenerziehung einbezog. Am Hof von Florenz erlernte der spätere Kaiser Franz, Neffe Josephs II., die verschiedenen gärtnerischen Arbeitsvorgänge vom Umstechen eines Beetes bis zum Veredeln der Bäume. Während seiner Kronprinzenzeit in Wien war er trotz seiner vielfältigen Studien und Verpflichtungen im Augarten und im Park von Schönbrunn mit Spaten, Schaufel und Schere tä-’ tig. Auch während seiner jahrzehntelangen Regierungszeit blieb Franz seiner Liebhaberei treu. „Blumenkaiser“ war einer der Namen, die ihm seine Untertanen gaben.

Wir haben es hauptsächlich den Gartenkünstlern und -architek- ten vergangener Jahrhunderte zu verdanken, daß unsere Städte nicht ganz unwirtlich sind. Das Schlendern durch die historischen Anlagen, beim Spaziergang der Blick über die Gartengitter alter Villen, das Verweilen unter der Kastanie oder dem Nußbaum beim Heurigen machen auch in der Stadt und in der Vorstadt den Frühlingstag zu einem Geschenk Proserpinas. Die großen Architekten der Vergangenheit waren zumeist auch geniale Entwerfer von Gärten. Dieser Zusammenhang von Bau- und Gartenkunst birgt die Frage in sich: Gibt es eine der modernen Architektur entsprechende Gartenarchitektur?

Befragte Architekten reagierten mit Verblüffung — eine moderne Gartenarchitektur, so meinten sie, existiere nicht einmal als Thema, käme nicht einmal in Frage. Wer ein Haus zu bauen hat, muß nicht an einen Park denken, sondern an Parkplätze. Ein eventuell verbleibender Rest an Quadratmetern wird Grünraum genannt. Die Bezeichnung Garten scheint er nicht zu verdienen.

Fern der kostspieligen Architektentätigkeit oder höchstens an deren äußerstem Rand entstanden jahrzehntelang Einfamilienhäuser, von Gärtchen umgeben. Diese kleinen, privaten Bereiche trugen einen ganz bestimmten Stil, repräsentierten den Zeitgeist, die Gesinnung der Epoche oder wie immer man die Summe äußerer Merkmale nennen will.

Das Grundmuster bestand aus kleinen Nadelbäumchen, jedes in Isolationslage, ohne kompositorische Vorstellungen auf unkrautfreien Kurzrasen gepflanzt. Die Blumenindustrie züchtete dafür möglichst denaturiert aussehende Rosen und Tulpen.

Ehe der nächste Schritt in der Entwicklung dieser pflegeleichten Gartengestaltung, nämlich der zum Kunststoffgarten, getan werden konnte, schlug das Pendel um. Nun legt man Biotope an, und das Gras darf höher wachsen samt Gänseblümchen und Löwenzahn. Ausländisches fällt in Ungnade, Bodenständiges kommt wieder zu Ehren, und man hofft auf Schmetterlinge.

Ein Lehrer der Schönbrunner Gartenbauschule beantwortete die Frage nach der Existenz einer modernen Gartenarchitektur in der Möglichkeitsform: Würde man heute einen Park anlegen, wären keinesfalls ausschließlich ästhetische Gesichtspunkte maßgebend. Keinesfalls würde man Bäume und Sträucher wie Kulissen gruppieren. Nicht als exotische Spielerei, sondern als ökologischer Lebensraum müßte heute ein Park konzipiert werden. Das Prinzip der Gestaltung wäre die Kenntnis der Natur und nicht das Entwerfen großartiger oder malerischer Silhouetten.

In der Wirklichkeitsform sind die Prinzipien der Gestaltung die Bedürfnisse der Kleinkinder, der Schulkinder, der Jugendlichen, der Hundebesitzer und der Pensionisten, auf kleinem Raum vereint. Die Frage nach der Funktion beherrscht alle anderen Aspekte. Der Stil der Zeit ist daher nicht im öffentlichen, sondern im privaten Bereich zu suchen.

Als die Naturforscher in der Biedermeierzeit von ihren Expeditionen in ferne Länder Pflanzen nach Hause brachten, waren die Menschen von den exotischen Formen fasziniert. Gewächshäuser entstanden, und die vermögende Oberschicht verlieh ihren Gärten den Reiz des Fremden. Die weltweite Reisetätigkeit unserer Zeit ermöglicht den Genuß des Fremden an Ort und Stelle. Das Flair des Exotischen im eigenen Garten erübrigt sich.

Eine neue Liebe für das Heimische prägt den „modernen“ Garten, der im Einklang mit der Landschaft stehen soll und nicht in Kontrast zu ihr. Vielfältiger und feiner ist die Schönheit der bodenständigen Vegetation, besonders im Vergleich mit der primitiven Aufdringlichkeit der Gewächse aus den Gartenkatalogen —dafür öffnen sich nun die Augen.

Dichter standen schon immer auf der Seite des Natürlichen und Einfachen und fühlten seine Poesie und geheime Kraft. „Man braucht ja nicht gleich / mit Steinen zu werfen, / um die Welt zu verändern. / Eine Handvoll Ringelblumensamen / tut es mitunter auch“, schrieb Christine Busta.

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