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Neue Ideen im Konzerthaus ?

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FURCHE: Zunächst zu Ihrer Person: Sie sind Jahrgang 1947 und in Wien aufgewachsen ...

ALEXANDER PEREIRA: Ja, Matura im Ausland, seit einigen Jahren in Frankfurt bei Olivetti Verkaufsleiter für Geldinstitute. Dort absolvierte ich gleichzeitig ein komplettes Gesangstudium unter Rolf Satorius. Außerdem bin ich ehrenamtliches Vorstandsmitglied des Vereins „Frankfurter Bachkonzerte". Und jetzt laufen alle drei Äste, der kaufmännische, der organisatorische und der musikalische, hier zusammen.

FURCHE: Was reizt Sie besonders an der Aufgabe?

PEREIRA: Das Konzerthaus muß eine internationale Speerspitze bei der Propagierung der Musik dieses Jahrhunderts sein. Diese Funktion soll es unter meiner Leitung natürlich behalten, vielleicht sogar forcieren. Der Reiz liegt für mich nicht in erster Linie im Organisieren von Konzerten. Der Reiz ist, dieses Haus zu einem Leuchtturm von Menschlichkeit, Empfindsamkeit, Wärme — zu einem Dach in unserer sehr unruhigen Zeit zu machen. Am Gelingen dieses Punkts möchte ich später auch meinen Erfolg oder Mißerfolg messen lassen.

FURCHE: Wie wollen Sie konkret die von Ihnen erträumte, intimere Atmosphäre schaffen?

PEREIRA: Es ist heute gang und gäbe, daß der Künstler den Veranstalter nicht einmal mehr kennenlernt. Niemand begrüßt ihn vorher, dankt ihm nachher. Zwischendurch schleicht sich eine verschüchterte Gestalt beim Büh-nentürl herein und drückt ihm ein Kuvert in die Hand. Ich halte die immer absurder steigenden Gagen für einen direkten Ausdruck dafür, daß die Künstler zuwenig Wärme spüren. Sie lassen sich einfach die Brutalität und Kälte dieses Geschäftes brutal mit immer mehr Geld bezahlen. Darum möchte ich, wie bisher schon in Frankfurt, eine sehr enge und liebevolle Beziehung zu den Künstlern aufbauen, sie mehr persönlich betreuen.

FURCHE: Und der Kontakt zwischen Künstler und Publikum?

PEREIRA: Es wird eine Gruppe von Gesprächskonzerten geben, in denen der Interpret Werk und Interpretation auch besprechen soll. Für Kinder ist eine Serie von Kinderopern geplant — von Kindern. Ich möchte in nächster Zeit mehrere Kompositionsaufträge in dieser Richtung vergeben.

Für die Avantgarde-Serien suchen wir noch Möglichkeiten, Interpreten und Besucher miteinander ins Gespräch zu bringen. Jedenfalls sind das alles Anfänge, die Geschichte lockerer, unkomplizierter, liebevoller und sinnlicher zu gestalten.

FURCHE: Mehr Wärme bedeutet doch auch, bei der Wahl der Künstler den eher empfindsamen, poetischen Begabungen den Vorzug gegenüber Nur-Brillanten zu geben. Wen wollen Sie speziell nach Wien bringen?

PEREIRA: Viele von ihnen kommen aus Wien. Eine besondere Rolle wird ein Avantgarde-Zyklus spielen. Dort sollen Komponisten ihre Werke selbst interpretieren.

FURCHE: Können Sie Namen nennen?

PEREIRA: Lutoslawski, Holliger, Cerha, Boulez, Nono, Stockhausen, eventuell Berio. Gidon Kremer wird unter Dohnanyi

Schnittkes neues Violinkonzert spielen. Dann kommt die europäische Erstaufführung von Pende-reckis „Warschauer Requiem" ... Es handelt sich da meiner Meinung nach um einen internationalen Nachholbedarf, im Konzerthaus soll sich die österreichische Avantgarde mit der internationalen messen.

FURCHE: Wie steht das Konzerthaus eigentlich finanziell da?

PEREIRA: Das Konzerthaus finanziert sich zu ungefähr 85 Prozent selbst. In dieser Situation ist es besonders gefährlich, wenn Bund und Stadt die Subventionen, die ohnehin nur 15 Prozent ausmachen, kürzen würden. Das hieße, den Anteil zeitgenössischer Musik zu reduzieren.

FURCHE: Sie haben die Suche nach neuen Sponsoren angekündigt. Die Abbado-Konzerte beim Webern fest waren durch eine Firma unterstützt — ein für das Konzerthaus bisher eher unüblicher Finanzierungsmodus. War das Zufall oder ein Modell für die Zukunft?

PEREIRA: Das war mein ehemaliger Arbeitgeber Olivetti. Das soll erst ein Anfang sein. Mein Konzept ist eines des Gebens und Nehmens. Ich stelle mir vor, daß ein Sponsor ein Konzert unterstützt. Dafür bekommt er Inserate in Programmheften und ermäßigte Kartenkontingente für seine Kunden.

FURCHE: In letzter Zeit ist eine Abwanderung der musikinteressierten Jugend in Jugendzentren zu bemerken. Was möchten Sie dagegen tun?

PEREIRA: Das ist eine meiner größten Sorgen. Ich möchte unter anderem noch einmal einen gut überlegten Versuch starten, in die Schulen hinauszugehen.Viele meiner Pläne setzen auch mehr Idealismus, mehr Menschlichkeit voraus. Warum kann man beispielsweise die obligaten Voraufführungen nicht außerhalb des Stammhauses bei Kranken, bei Behinderten machen? Ich bin sicher, Künstler würden da mitmachen.

FURCHE: Welche Vorstellungen haben Sie betreffend den lang gesuchten Chefdirigenten für die Wiener Symphoniker?

PEREIRA: Ich möchte mich auch daran messen lassen, wie sehr wir erstklassige Leute für dieses Orchester finden. In den fünfziger und sechziger Jahren war das immer üblich, nur jetzt ist da plötzlich ein Knick eingetreten. Aber einen neuen Chef zu finden, braucht sicher einige Jahre Zeit.

FURCHE: Im Zusammenhang mit Ihrer Wahl waren auch Mißtöne zu hören, zum Teil von sehr einflußreichen Leuten. Fürchten Sie Intrigen?

PEREIRA: Ich glaube, man muß ruhige, qualitätvolle Arbeit leisten und zeigen, daß man etwas vom Fach versteht. Jedenfalls bin ich im Moment nicht zu stören.

FURCHE: Wer waren Ihre gewichtigsten Fürsprech%r vor der Wahl?

PEREIRA: Darüber möchte ich nicht sprechen. Die Entscheidung lief quer durchs Direktorium. Uberraschend war es dann schon für mich, daß man wirklich einem Außenseiter die Chance gibt.

FURCHE: Ihr Vertrag - wie lang läuft er?

PEREIRA: Bis zu den Festwochen 1987. Er wurde auf unbestimmte Zeit geschlossen, kann aber frühestens in dreieinhalb Jahren gekündigt werden. Meine Arbeit ist nicht darauf angelegt, in drei Jahren beendet zu sein.

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