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Neue Impulse — mehr Transparenz

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Die private Krankenversicherung hat sich — wie vieles in unserem Gesundheitswesen — in den letzten Jahrzehnten völlig geändert: Bis vor 20 Jahren die „Vollversicherung" für nicht in der gesetzlichen sozialen Krankenversicherung erfaßte Personengruppen (selbständige Erwerbstätige, Freiberufler, Landwirte etc.), hat sie sich durch kontinuierliche Erweiterung der sozialen Krankenversicherung auf fast alle Österreicher (99,1 %) zu einer subsidiären Funktion gewandelt.

Diese besteht bekanntlich vor allem in der Zusatzversicherung für Spitalsaufenthalte. Mit einer solchen Zusatzversicherung kann die Sondergebührenklasse mit freier Arztwahl in den Spitälern und Privatsanatorien mehr oder weniger mit Volldeckung in Anspruch genommen werden. 2,8 Millionen Österreicher sorgen freiwillig unter Konsumverzicht mit diesem zusätzlichen Versicherungsschutz für eventuelle Krankheitsfälle vor.

In den letzten zehn bis fünfzehn Jahren hat der Spitalssektor gewaltig expandiert. Den politischen Anstoß gab zweifellos das sozialistische Gesundheitsprogramm Ende der sechziger Jahre: Damals wurde das Krankenhaus in den Mittelpunkt der Gesundheitsversorgung gestellt. Sowohl Gesundheitsreferenten, die traditionell der Sozialistischen Partei angehören, als auch Landeshauptleute sowie Bürgermeister, die sich alle ungern der öffentlichkeitswirksamen Eröffnung eines Krankenhauses entziehen, haben nach dieser politischen Maxime gehandelt. Quer durch Österreich entstanden riesige Spitalskapazitäten, durchwegs im Akutbettenbereich. Trauriger Höhepunkt dieser falschen Politik ist das monströse neue Allgemeine Krankenhaus. Derart große Versorgungskapazitäten, noch dazu, wenn sie öffentlich finanziert werden, entwickeln einen gewaltigen Sog aus der Praxis in die Spitäler.

Nicht nur, daß die Budgets der sozialen Krankenversicherung zerrüttet werden, auch die Budgets der Spitalsträger leiden darunter, und fortschreitend ist auch die Privatversicherung in diesen Kostensog gekommen. Ende 1982 werden etwa 70.000 Privatversicherte ihre Verträge kündigen, weil sie sich die teuren Prämien nicht mehr leisten können. Das soziale Unrecht besteht darin, daß dies meist Gewerbetreibende und andere Selbständige sind. Sie sind nun im Alter angewiesen auf ihre niedrige Gewerbepension. Die Versicherung, die ihnen in ihrer Jugend den vollen Versicherungsschutz gewährt hat, können sie sich als Zusatzversicherung nicht mehr leisten, obwohl sie diese jetzt dringend brauchen würden.

Immer wieder hört man—vor allem aus der politischen Ecke —, daß an dieser Kostenentwicklung die Honorare der Primarärzte Mitschuld hätten. Das ist deshalb unrichtig, weil die Sondergebühren ja auch eine erhebliche Einnahmequelle für den Spitalserhalter darstellen, er somit davon auch hinlänglich profitiert.

Die Diskussion um die Sondergebühren der Primarien in den Spitälern hat in den letzten Wochen wieder besondere Aktualität erhalten. Nach Kärnten, wo es seit sieben Jahren eine gesetzliche Beschränkung der Primarärzte-Sondergebühren gibt, soll nun auch in anderen Bundesländern dirigistisch in die Verträge zwischen Patienten, Privatversicherung und Ärzten eingegriffen werden.

Um nicht mißverstanden zu werden: Durch die Entwicklung der Medizin und das moderne Krankenhauswesen hat das Teamwork Vorrang vor der medizinischen Einzelkapazität. Daher erscheint eine gerechtere Aufteilung der Sondergebühren zwischen Primär- und mit ihnen arbeitenden Ärzten durchaus gerechtfertigt. Mit aller Entschiedenheit muß allerdings abgelehnt werden, was in allen Bundesländern Ausgangspunkt der Diskussion um die Sondergebühren ist: Die Umverteilung zugunsten der Spitalserhalter, die mit Sondergebühren-Geldern, die den Ärzten zustehen, ihre Spitalsdefizite verringern wollen. Die ärztliche Leistung wird damit für die Patienten in den Hintergrund gedrängt und überhaupt nicht transparent.

Daher muß es zu einer offensiven Wende in der Privatversicherung kommen: Wir, die ärztliche Standesvertretung, sind gerade dabei, gemeinsam mit den Privatversicherern eine Studiengesellschaft zu gründen, deren Hauptaufgabe darin besteht, Spitalsstruktur und Bettenqualität zu verbessern, Modelle und konkrete Projekte von Privatkrankenhäusern bzw. angegliederten Sondergebühren-Stationen (Privatstationen) auszuarbeiten, in der Folge zu errichten und zu führen.

Wenn sich die soziale Krankenversicherung nicht verändert — was, realistisch gesehen, kaum zu erwarten ist —, hat sie die Grenzen ihrer Möglichkeiten erreicht, wenn nicht überschritten. Sie ist erstarrt. Sie vermag in Wirtschaftskrisen (keine Beitragszuwächse) die ihr davonlaufende medizinische Entwicklung nicht mehr zu finanzieren. Sie wirft den Ballast überholter Leistungen nicht ab, kann sich zu einer kostendeckenden Beitragserhöhung aus politischen Gründen nicht entschließen und hat Angst vor einer Kostenbeteiligung. Die realistische Bewertung der ärztlichen Leistung findet in ihr schon lange nicht mehr statt. Das Wort „sozial" wurde pervertiert und letztlich nur mehr auf die Honorare der Ärzte angewendet.

In dieser Vermassungstendenz liegt die Chance für die private Krankenversicherung: Sie kann für ihre Versicherten und zukünftigen Vertragsärzte medizinische Einzelleistungen anbieten, die von der sozialen Krankenversicherung nicht erbracht werden, ohne die aber die moderne Medizin nicht auskommt. Für die private Krankenversicherung wird somit keine subsidiäre, sondern eine zusätzliche Funktion in der ambulanten Versorgung der Bevölkerung entstehen.

Bei einem Einzelleistungssystem — Leistung des Arztes und Gegenleistung des Privatversicherten (Honorar) — ist eine unmittelbare Beurteilung der an ihm erbrachten ärztlichen Leistung durch den Patienten möglich. Damit ist die unmittelbare Beziehung zwischen Arzt und Patient, in die nicht ein Dritter als Zahler zwischengeschaltet wird, wiederhergestellt. Daß damit auch eine direkte Kontrolle durch den Patienten gegeben ist, versteht sich von selbst und wird aus prinzipiellen Gründen von der ärztlichen Standesvertretung gegenüber einem bürokratischen posterioren Kontrollsystem bevorzugt.

So gesehen hat — gerade im Hinblick auf die Strukturprobleme des öffentlichen Finanzierungssystems im Gesundheitsbereich — die private Krankenversicherung als institutioneller Repräsentant der persönlichen Eigenvorsorge eine neue Chance. Sie ermöglicht es, die Leistungen des Arztes zu erkennen, zu bewerten, zu schätzen und nicht zuletzt zu kontrollieren. Das Prinzip des Sozialen und Solidaren wird ohnedies mehr als genug in der gesetzlichen Zwangs-Krankenversicherung praktiziert; diese noch weiter auszuweiten, wäre nicht mehr effizient.

Der Autor ist Präsident der Steirischen und der Osterreichischen Ärztekammer, Primarius am Landeskrankenhaus Fürstenfeld und Mitglied des Bundesrates.

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