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Neue Impulse zur Mitmenschlichkeit

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Der Wandel in den sozialen Strukturen bedingt auch, wenn Effizienz und der angestrebte Erfolg nicht vermindert werden sollen, neue Überlegungen und Strukturen in der Sozialpolitik.

Die selbsttätige und ausgleichende Großfamilie und die Einbindung in die dörfliche Gemeinschaft wurde zum Beispiel durch die Kleinfamilie und die Abgeschiedenheit im zunehmend städtischen Milieu, wovon die neuen Siedlungsgebiete auch im ländlichen Bereich nicht ausgenommen sind, abgelöst. Aufgaben und Ausgaben für soziale Belange sind sowohl beim Bund und bei den Sozialversicherungsanstalten, als auch bei den Ländern, nicht zuletzt auch wegen dieser und anderer Strukturveränderungen und wegen der zunehmenden sozialen Sicherheit, enorm angewachsen. Dabei geht es aber bei den sozialen Hilfen für den Mitmenschen heute nicht allein um Effizienz und finanzielle Kosten, sondern vor allem auch um den so wichtigen menschlichen Kontakt, der bei der Betreuung hilfsbedürftiger oder alter Bürger oft ins Hintertreffen geraten ist.

Der Mensch im Mittelpunkt

Das böse Wort von der Sozialbürokratie, welche die vielfältigen Möglichkeiten sozialer Hilfe verwaltet, ist so gesehen nicht immer unberechtigt Es sollte daher wieder die mitmenschliche Seite der sozialen Hilfe in den Vordergrund gestellt werden.

Zum Jahresende hat die Vorarlberger Landesregierung deshalb nach jahrelangen Vorarbeiten einen neuen Impuls für den konkreten Aufbau von Sozialsprengeln und

für die Erweiterung und Ergänzung der bestehenden Einrichtung der Hauskrankenpflege gesetzt. In beiden Bereichen soll die Privatinitiative - speziell auch die Nachbarschaftshilfe - möglichst wirksam in die angebotenen Hilfen und Leistungen einbezogen werden, wie man überhaupt bei der Lösung von Problemen unserer Gemeinschaft in Vorarlberg ganz bewußt das Prinzip der Subsidiarität berücksichtigt, die Hilfe zur Selbsthilfe also bzw. die Unterstützung von Eigeninitiativen.

Im konkreten Fall geht es darum, in vier Regionen des Landes, wo die Gemeinden die Bildung von Sozialsprengeln und die Mitwirkung grundsätzlich beschlossen haben und zum Teil auch bereits in dieser Richtung tätig wurden, das Funktionieren dieser Einrichtungen mit finanzieller Hilfe des Landes zu erproben. Auch neue Richtlinien und verbesserte Förderungen für die Hauskrankenpflege wurden über Antrag von Landesrat Fredy Mayer beschlossen, nachdem mit dem „Modellversuch Koblach/Mäder“ im Zusammenwirken mit der Ärzteschaft bzw. mit dem Arbeitskreis für Vorsorge- und Sozialmedizin eine neue, intensivere Form der Hauskrankenpflege erfolgreich erprobt wurde.

Die Intensivierung und Ausweitung der Hauskrankenpflege, die in

Vorarlberg in zahlreichen traditionellen Krankenpflegevereinen organisiert ist, könnte, wie im Modellversuch nachgewiesen wurde, Krankenhausaufenthalte vermeiden oder sie verkürzen, wodurch auch beträchtliche Kosteneinsparungen möglich sind, wenngleich die Chance, von den Kranken physische Belastungen fernzuhalten, und der regelmäßige Kontakt mit fachkundiger Pflege unter hausärztlicher Kontroüe im eigenen Heim wohl noch höher zu veranschlagen sind als finanzielle Uber-legungen. Die Verbindung beider Komponenten ergibt den ganzen Vorteil.

Deshalb wird von der Landesregierung für jede neu beschäftigte Krankenschwester aus Mitteln der Sozialhilfe eine Starthilfe von 110.000 Schilling geleistet. Die Kosten der Betreuung durch eine diplomierte und speziell für Hauspflege geschulten Schwester werden über Tarife gedeckt, wobei im Regelfall direkt mit den Krankenversicherungsträgern oder mit der Sozialhilfe abgerechnet wird.

Der Sozialsprengel wiederum, in den übrigens die Hauskrankenpflege eingebunden werden soll, ist als dezentrale Organisationseinheit für die Bewältigung von gesundheitlichen und sozialen Notständen gedacht, wobei die institutionelle Versorgung des Staatsbürgers ei-

nerseits ergänzt, anderseits koordiniert werden soll. Das anonyme Versorgungssystem bedarf aus humanitären Gründen einer personalen Ergänzung.

Die vielfältigen sozialen und medizinischen Dienste, die in Vorarlberg landesweit aufgebaut wurden, die Sozialhilfe für in Not geratene Mitbürger und Familien, die ambulanten Rehabilitations- und Pflegedienste einschließlich Sozialpsychiatrie, die Beratungsdienste, die Altenpflege, die Jugendhilfe, die Familienhilfe, die Rehabilitation Behinderter usw. werden im Rahmen des Sozialsprengeis, der etwa 10.000 Einwohner umfassen soll, koordiniert und im direkten Kontakt zwischen den Organisationen, Behörden und Diensten angeboten werden. Ein hauptamtlicher Leiter soll jeweils im Zusammenwirken von hauptamtlichen Kräften im Sinne einer in früheren Zeiten üblichen Nachbarschaftshilfe rasch und unbürokratisch im Einzelfall die bestmögliche Hilfe organisieren. Jedem Sozialsprengel soll auch ein Sozialzentrum zur Verfügung stehen, um notwendige räumliche Voraussetzungen zu schaffen.

Notfälle können auf diese Weise in dem überschaubaren Raum frühzeitig registriert werden, wodurch auch der Erfolg gezielter Maßnahmen sich rascher und leichter einstellen wird als in den Fällen,

wo die Hilfe fast schon - und oft tatsächlich - zu spät kommt.

Einrichtungen wie Altenwohnungen und Pflegehelme, aber auch Jugendhäuser sollen in gemeinsamer Verantwortung für mehrere Gemeinden geführt oder erforderlichenfalls geplant und gebaut werden. In vier Regionen soll dieses vor allem für den ländlichen Raum bahnbrechende Sozialmodell nun konkret erprobt werden. Das Land hat dafür unter anderem die halben Personalkosten für einen Sozialleiter übernommen.

Sachliche Zusammenarbeit

Die beiden Sozialinitiativen - Sozialsprengel und Hauskrankenpflege - sind der Beweis dafür, daß die Vorarlberger Sozialpolitik ähnlich wie bei der Gesundheitspolitik im Rahmen des Arbeitskreises für Vorsorge- und Sozialmedizin - bemüht ist, den sozialen Problemen der heutigen Gesellschaft sachgerecht und undogmatisch entgegenzutreten. Besonders hervorzuheben ist dabei, daß Gebietskrankenkasse und private Träger wie das Institut für Sozialdienste oder der Arbeitskreis und viele andere das Gespräch suchen und zusammenwirken.

Theoretische Überlegungen werden so durch praktische Erfahrungen ergänzt. Beide dienen als Grundlage für die Sozialpolitik, die durch das Zurückdrängen der anonymen Versorgung zugunsten persönlicher Hilfen in Einzelfällen gekennzeichnet ist, wie dies in Vorarlberg schon durch das erste österreichische Sozialhilfegesetz sowie durch den Rehabilitationsplan und den Altenhilfeplan des Landes Vorarlberg angestrebt wird.

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