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„Neue Juristen“ -bessere Praktiker?

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Als vor einem Jahr das „Bundesgesetz über das Studium der Rechtswissenschaften“ vom Nationalrat beschlossen wurde, stellte dies den letzten großen Schritt des Gesetzgebers im Rahmen der Studienreform dar, die 1966 durch die Verabschiedung des Allgemeinen Hochschul-Stu-diengesetzes eingeleitet worden war. Der Tenor der Stellungnahmen im Begutachtungsverfahren klang im allgemeinen positiv, hatten doch alle - Universität und Kammern - etliche wesentlichen Punkte der Regierungsvorlage ändern können. Sogar Interventionen von höchsten kirchlichen Würdenträgern gegen die Beschränkung des Kirchenrechts wurden zum Teil berücksichtigt.

Die entscheidendste Änderung im Jusstudium liegt in dessen struktureller Angleichung an die Studienverläufe in Österreich und an internationale Standards. Der „abs.iur.“, der nach der alten Studienordnung zwar mindestens acht Semester studiert und in allen Fächern Staatsprüfungen, aber keine Rigorosen - die den selben Stoff umfaßten - abgelegt und damit das Studium abgeschlossen hat! gehört der Vergangenheit an. (Alle „Abs.iur.“ dürfen seit dem letzten Herbst den Titel „Mag.iur.“ führen, was in Bundesministerien zu einer Flut von Anträgen auf neue „Tür-taferln“ geführt haben soll.) Das Doktorat wird es künftighin nicht mehr ..so billig“ wie jetzt geben: dazu wird der Student zusätzlich zu Diplomarbeiten und Diplomprüfungen eine Dissertation schreiben und Rigorosen ablegen müssen. Schließlich

„Eine Flut von Anträgen auf neue Türtaferln“ wird die Dreiteilung des Studiums aufgegeben und es in zwei Studienabschnitte mit je einer Diplomprüfung gegliedert.

Man mag nun denken, diese Veränderungen des Studiums seien für die Ausbildungqualität des „neuen Juristen“ entscheidend. Eine reine Umstrukturierung eines Studiums hat jedoch auf die Ausbildung nur geringe Auswirkungen. Wissen-schaftsministerium und Universität haben ihre Verhandlungen mit der Aussage beendet, der neue Magister sei mit der Ablegung der zwei Diplomprüfungen besser und praxisgerechter ausgebildet als der alte Doktor. Die Begründung dafür läge in schriftlich abzuhaltenden Teilen der Diplomprüfungen und im praxisbezogeneren Fächerkatalog.

Hier ist auch die wesentliche Neuerung des Jus-Studiums zu finden. Durch das neue Gesetz wurden die Ausbildungsschwerpunkte für den Juristen grundlegend verschoben oder zumindest dem Studenten individuell die Möglichkeit hierzu eingeräumt.

Der nach wie vor zwei Semester dauernde erste Studienabschnitt dient der Einführung in Rechtswissenschaft, Rechtsgeschichte, Volkswirtschaft und Soziologie. Gegenüber der derzeit noch geltenden Regelung fehlen das Deutsche Privatrecht und das Kirchenrecht, das später behandelt wird.

Der zweite Studienabschnitt, ein Kompositum des bisherigen zweiten und dritten, führt neben den klassischen Rechtsfächern wie Bürgerliches, Straf-, Verfassungs-, Verwal-tungs- und Völkerrecht als eigenes Diplomprüfungsfach das Arbeitsrecht ein. Außerdem ist eines aus den ökonomischen Fächern zu wählen und je eines aus den Gruppen Politikwissenschaft, Statistik, Psychologie, neuzeitliche politische Geschichte sowie aus Europarecht, fremde Privatrechte und Kirchenrecht. Als Freifächer sind unter anderen Gerichtsmedizin, Kriminologie, Rechtsphilosophie, -Soziologie, -ver-gleichung und -informatik vorgesehen.

Mit dieser Neugliederung der Fächer ist insbesondere der geistige Uberbau in den Hintergrund gedrängt worden. Kirchenrecht wurde von einem Staatsprüfungsfach zu einem Wahlpflichtfach, in dem man zwar dissertieren, aber keine Diplomarbeit schreiben kann, und die

Rechtsphilosophie wurde vom Pflichkolloquium zum Frei- und Dissertationsfach abgewertet, obwohl gerade das Kirchenrecht den Studert-ten im ersten Studienjahr die Idee gegeben hatte, daß es außer dem gerade in Kraft gesetzten geltenden staatlichen Recht auch noch anderes „Recht“ geben kann! Durch den Status eine Dissertations-, aber nicht Di-

„Auch die Juristen sollten während ihres Studiums mit gebenden Kranken' Kontakt haben“ plomarbeitsfaches sind beide Bereiche für Studenten wenig attraktiv, da normalerweise die Dissertation inhaltlich an die Diplomarbeit angelehnt wird.

Diese Änderung wird auch von den Praktikern zutiefst bedauert. Der Vizepräsident der Rechtsanwaltskammer, Fritz Leon, bezeichnet es geradezu als zum Wesen des österreichischen Juristen gehörig, sich mit anderen Rechtssystemen und den geistigen Grundlagen des Rechts beschäftigt zu haben. Deshalb seien die österreichischen Juristen auch in fremden Rechtsgebieten ungleich schneller zu Hause als Ausländer. Österreicher sind Basis- und keine Paragraphen wisser.

Der Wirtschaftswissenschafter und Jurist Werner Melis von der Außenhandelsabteilung der Bundeswirtschaftskammer führt seine Zugänge zu ausländischem Recht gerade auf das römische und das Kirchenrecht zurück. Rechtsanwalt Christian Dorda vermißt in der neuen Ausbildung die Erziehung zum „Erfinderischen“ zur allgemein-juristischen Denkfähigkeit.

Gerade die Praxisbezogenheit der neuen Ausbildung, die so betont wird, bezweifeln die Praktiker.

Rechtsanwaltskammerpräsident Walter Schuppich kann beim besten Willen keine echten praktischen Fächer oder auch nur mehr Praxis als früher im Studium entdecken.

Gerhard Pauser, der Notar „Österreich Nr. 1“, fordert ein ähnliches Pflichtpraktikum vfcie für Mediziner im zweiten Studiumabschnitt. Dinge, die aus Skripten unlernbar erscheinen, seien in der Praxis problemlos: auch die Juristen sollten während ihres Studiums mit lebenden „Kranken“ Kontakt haben und ihre „Krankheiten“ nicht nur von Farbtafeln lernen!

Es werde in Zukunft Anwälte I. und II. Klasse geben, prognostiziert Präsident Schuppich, da im Entwurf einer Novelle zur Rechtsanwaltsordnung künftighin auch Magistri Rechtsanwälte werden können, allerdings mit einer um zwei Jahre verlängerten Ausbildungszeit. Allerdings könne man während der Ausbildungszeit die Dissertation schreiben, schlägt der Präsident der Richtervereinigung, Udo Jesionek, vor. Das würde auch der Wissenschaft neue Akzente geben.

Essentiell für den ganzen Fragenkomplex ist vor allem die Ausgestaltung der Studienordnung, in der Stundenzahlen und Fächerangebot .fixiert werden. Während die Universität Wien seit einem Jahr wöchentlich einmal dazu eine Sitzung abhält, will Ministerin Hertha Firnberg eine eigene „aus der Schreibtischlade ziehen“ und mit Geltung ab Oktober dieses Jahres verordnen.

Dem widersetzt sich jedoch die Universität Wien. Ihr fehlen schon jetzt Lehrkräfte und Hörsäle. Das Ministerium habe versprochen, es werde mit den Zahlen einen Computer füttern un den Wiener Raum- und Personalbedarf feststellen. Womit für Wien unter Umständen die Studienordnung und damit die tatsächliche Durchführung des Gesetzes bis Oktober 1980 verschoben sein könnte. THOMAS M. BUCHSBAUM

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