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Neue Lebensqualität in alten Dörfern
Viele Menschen arbeiten heute in der Stadt und möchten am Land leben. Viele leben am Land und müssen in der Stadt arbeiten. Läßt man die Dinge treiben, so finden die Städter in einem zunehmend verödeten ländlichen Raum keine Erholung, so findet die Landbevölkerung in unwirtlich gewordenen Städten vielleicht Arbeit, jedoch keine Heimat.
Die Lebensqualität in der Stadt und auf dem Land würde sich weiter verschlechtern.
Die gesellschaftliche Einheit des Dorfes wird heute von mehreren Entwicklungstendenzen bedroht:
# Die Abwanderung und die Pendelwanderiing lockern die
ländliche Schicksalsgemeinschaft,
• die wirtschaftliche Situation des ländlichen Raumes und der Dörfer wird durch das Diktat der Städte negativ beeinflußt,
• in der ländlichen Bevölkerung, vor allem bei der Jugend, gibt es zum Teil noch immer eine einseitige Wertorientienmg auf die Förderung dezentraler Arbeits- und Produktionsstätten ist, sie wäre sicher ungenügend, wenn nicht mit der materiellen Renaissance der Dörfer auch eine kulturelle Erneuerung^ und geistige Neubesinnung einhergeht.
Wenn die Dörfer wieder erneuert und fortentwickelt werden sollen, dann müssen der Einzelne und die Politik eine Reihe von Konsequenzen ziehen: Es gilt die Eigeninitiative der Bewohner in den Dörfern zu fördern. Es kann nicht so weitergehen, daß man nach immer mehr Staat und Geld verlangt, wenn es billiger kommt, selber Hand anzulegen und dafür weniger Steuern zu bezahlen. Selbst etwas tun soll wieder zur Selbstverständlichkeit werden.
Die Werte der dörfUchen Gesen im Rahmen des Finanzausgleichs ein verfassungsrechtlich garantiertes Vertretungs- und Zustimmungsrecht gegenüber dem Bund erreichen.
Ziel regionaler Entwicklungskonzepte muß eine eigenständige, selbsttragende Wirtschaftsentwicklung sein, die die Schaffung von krisenunabhängigen Dauerarbeitsplätzen, die Förderung von klein- und mittelbetrieblichen Einheiten und die Förderungsaktionen von Regionen, in denen Entwicklungsdefizite gegeben sind, zum Inhalt hat.
Unabdingbares Ziel einer künftigen Regionalpplitik muß es sein, die konzentrierte Förderung der Ballungsräume hintanzuhalten. Im Sinne der Regionalpolitik der sechziger Jahre muß wieder die Förderung der finanz- und strukturschwachen Regionen in den peripheren Gebieten sowie in den Bergregionen angestrebt werden.
Die Entwicklung der Dörfer ist von der Entwicklung der ländlichen Räume und der Städte abhängig:
Der Schuldenstand aller Gemeinden: Mehr als, 50 Milliarden
Die wachsende Unfähigkeit der Gemeinden und Dörfer, in Zu-
städtische Lebensformen.
Demgegenüber bietet das Dorf mit seiner Uberschaubarkeit, Nachbarschaft, Gestaltbarkeit und Möglichkeit der kreativen Tätigkeit eine Reihe von Chancen. Die Dorfpolitik steht heute vor wichtigen Entscheidungen. Wollen wir
• die Alten und Jungen in Ghettos abdrängen oder aber eine Raumordnungs-, Flächenwid-mungs- und Wohnungspolitik des Dorfes betreiben, die nachbarschaftsgerechte "Chancen der sozialen Integration und Harmonie fordert?
• autogerecht oder menschengerecht bauen?
• die Jugend mit aufoktroyierten und ohne persönliche Beziehung errichteten Jugendzentren auf der grünen Wiese ins Abseits drängen oder geben wir Jugendlichen in den in Eigeninitiative erbauten Kultur- und Jugendzentren eine Chance der Kommunikation ?
• die Sozialpolitik nur auf die _ materielle Betreuung ausrichten ‘ oder das Gemeinschaftsgefühl reaktivieren?
• weiterhin die totale Konzentration der finanziellen Mittel auf die Ballungszentren forcieren oder Hilfestellung für kleine Dörfer auch in strukturschwachen Regionen bieten?
So wichtig die Stärkung der materiellen Basis des Dorfes durch meinschaft soll den Menschen im Dorf stärker bewußt gemacht werden. Allerdings müssen die Städter vermehrt Verständnis für die Bewohner des ländlichen Raumes und für die Menschen in den Dörfern aufbringen.
Ein neues Heimatgefühl müßte durch eine gezielte Dorferneuerung und eine neue Ortsbildgesinnung geschaffen werden und die Bevölkerung besser in die Raumplanung und Flächenwidmungsplanung einbezogen werden.
Wichtig wäre auch eine überörtliche Zusammenarbeit der Dörfer, um bei voller Wahrung der Selbstbestimmimg in den ihnen übertragenen Aufgabenbereichen das Beste für ihre Bewohner zu erreichen.
Mehr dynamische Steuern für die Dörfer
Die finanzielle Lage der Dörfer im ländlichen Raum muß durch einen gerechten Finanzausgleich verbessert werden:
• ImnächstenFinanzausgleich müssen die Gemeinden und Dörfer stärker an den dynamischen Steuern wie Umsatz-, Lohn-, aber auch Tabaksteuer beteiligt werden.
• LänderundGemeindenmüskunft ihre Aufgaben zu finanzieren, hat auch katastrophale Folgen für die österreichische Wirtschaft, vor allem für die Wirtschaft im ländlichen Raum. Der Schuldenstand aller österreichischen Gemeinden, Wien nicht miteingerechnet, beträgt derzeit mehr als 50 Milliarden Schilling.
Nicht Städtisches Dorf, nicht ländliche Stadt
Diese Appelle richten sich nicht nur an den einzelnen und an die Politiker im ländlichen Raum, sondern auch an den Städter und an die Politiker der Stadt, denn eine neue Dorfpolitik bedingt auch eine neue Stadtpolitik.
Wenn wir wollen, daß die Dörfer leben, müssen wir uns aber auch dafür einsetzen, daß die Städte nicht sterben. Die Zukunft der Städte liegt in den Dörfern, die Zukunft der Dörfer liegt in den Städten. Das Stadt-Land-Abhängigkeitsverhältnis muß in Zukunft zum Stadt-Land-Partnerschaftsverhältnis werden.
Nicht städtisches Dorf, auch nicht ländliche Stadt, sondern neue Lebensqualität in alten Dörfern und neue Lebensqualität in alten Städten sind die politische Zielrichtung einer Dorfpolitik von morgen.
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