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Neue Materialien und Gentechnik

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Österreich hat die Forscher, um auch den Anforderungen des 21. Jahrhunderts an die Wissenschaft gerecht zu werden, meint Prof. Kurt Komarek in einem FURCHE-Inter-view.

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Österreich hat die Forscher, um auch den Anforderungen des 21. Jahrhunderts an die Wissenschaft gerecht zu werden, meint Prof. Kurt Komarek in einem FURCHE-Inter-view.

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FURCHE: Sie sind als Präsident des Fonds zur Förderung der wissenschaftlichen Forschung wiedergewählt worden. Was sind die wichtigsten Ergebnisse Ihrer ersten Amtsperiode?

KOMAREK: Heute ist der Fonds bei den Wissenschaftlern, die sich mit Grundlagenforschung befassen, als Quelle für Forschungsfinanzierung anerkannt. Aus den Universitäten kommen Vorschläge, Mittel des Ministeriums direkt dem Fonds zur Verteilung zu übergeben. x

Wir konnten endlich aktiv mit der Förderung junger Wissenschaftler einsetzen. Die ersten zehn Schrödinger-Stipendien sind vergeben, weitere 60 Anmeldungen liegen vor.

Auf der andern Seite hat sich die finanzielle Lage ständig verschlechtert. Früher wurden 30 Prozent der Anträge zurückgewiesen, in den letzten Sitzungen waren es über 70 Prozent. Das ist nicht mehr tragbar. Wenn positiv beurteilte Anträge abgelehnt werden müssen, werden die Antragsteller entmutigt. Dann bekommt man nicht mehr die Auslese, die man will.

FURCHE: Wo sehen Sie nun die wichtigsten Aufgaben für die nächste Amtsperiode?

KOMAREK: Wir müssen vor allem die Förderung der jungen Wissenschaftler forcieren, so daß neue Ideen eingebracht werden. Dazu müssen althergebrachte Strukturen gelockert werden, was nicht immer auf größte Gegenliebe stößt. Wenn wir in Hinkunft nicht mehr als zwei Projekte pro Antragsteller genehmigen, kommen mehr Junge zum Zug.

FURCHE: Abgesehen vom chronisch zu knappen Budget — was kann organisatorisch getan werden, um zu einem optimalen Ergebnis zu kommen?

KOMAREK: Innerhalb des Fonds haben wir die Grenze der Einsparungsmöglichkeiten erreicht. Der Verwaltungsaufwand ist mit 4,2 Prozent international äußerst niedrig. Aber wir können die Zusammenarbeit in den Großgerätekommissionen intensivieren. Heute wissen wir genau, wo Großgeräte in Österreich vorhanden sind. Und wir empfehlen un-sern Antragstellern verbindlich, auch anderen Forschern die angeschafften Geräte zur Verfügung zu stellen.

FURCHE: Sie haben kürzlich das schwedische Beispiel der Effektivitätskontrolle der Forschungsförderung hervorgehoben. Sehen Sie hier auch für Österreich gangbare Wege?

KOMAREK: Diese Frage wird auch im Ausland diskutiert, ohne daß man irgendwo anders zu einem Ergebnis gekommen wäre. Eine mögliche Lösung wäre, zwei der prominentesten Gutachter einzuladen, ihr Inkognito zu lüften und die Ergebnisse zu begutachten.

FURCHE: Wie sehen Sie die Chancen für die Wissenschaft in österreich,ihrenAufgabeninden nächsten 15 bis 25 Jahren gerecht zu werden?

KOMAREK: Ich bin überzeugt, daß wir in Österreich das Menschenpotential haben, um in der Forschung keine untergeordnete Rolle zu spielen. Voraussetzung dafür ist, daß die Grundlagenforschung wesentlich stärker gefördert wird als bisher, und zwar auf lange Sicht. ,

FURCHE: In welchen Fächern sind wir zur Zeit gut vertreten?

KOMAREK: Gut akzeptiert sind wir in den Materialwissenschaften, der Lehre von den Substanzen, von neuen Materialien, neuen Legierungen für besondere Beanspruchungen, für hohe Temperaturen; Materialien, wie sie in künftigen Kernfusionsreaktoren oder bei Hochleistungsfahrzeugen benötigt werden. Oder optische Fasern für die Telekommunikation, Halbleiter und Computertechnik. Alles Materialien, die erst entwickelt werden müssen. Hier hat Österreich hohes Ansehen. Hier lohnen sich Investitionen.

Ferner stehen wir gut in der Physik der Elementarteilchen, in Bereichen der Geisteswissenschaften, etwa der Byzantinistik oder der Numismatik, dann in der medizinischen Physik, in der Zusammenarbeit von Physik und Medizin bei der Entwicklung von medizinischen Geräten, aber auch in der Informatik.

FURCHE: Welche Bereiche werden für die Gesellschaft des Jahres 2000 besonders relevant sein?

KOMAREK: Alles was mit Information zu tun hat: Nachrichtentechnik, Robotik, Sensorik; alles, was man automatisieren kann, wird automatisiert werden. Dazu brauchen wir nicht nur hardware, sondern auch Software.

Ferner wird die Gentechnologie bei der Behandlung von Geburtsdefekten eine große Rolle spielen. Die Landwirtschaft wird abrük-ken von chemischen Pestiziden und Insektiziden und wird resistente Pflanzen züchten oder durch Kombination von Weizensorten mit Knöllchenbakterien den Stickstoffdünger eliminieren. Sie wird die Schädlinge biologisch bekämpfen. Hier kann auch Österreich mitarbeiten.

FURCHE: Wo tauchen neue Disziplinen am Horizont auf, von denen wir heute noch kaum eine Ahnung haben?

KOMAREK: Vor allem in der Weltraumforschung. Wir beginnen erst zu ahnen, wie komplex das Planetensystem ist. Sollte der Schritt ins Planetensystem gelingen, dann wird das Folgen haben, die man noch gar nicht absehen kann. Das betrifft auch den Einsatz von Weltraumlabors oder Heilstätten im Raum.

FURCHE: Wird es nötig sein. hierfür völlig neue Methoden, neue Organisationsformen der Forschung zu entwickeln?

KOMAREK: Die internationale Zusammenarbeit wird verstärkt werden müssen. Ein Land allein kann schon jetzt kaum mehr die Kosten in vielen Bereichen der Naturwissenschaften und der Medizin aufbringen. Wir sind heute in der theoretischen Physik, in der Kernphysik nicht mehr in der Lage, die Rechnungen in Österreich durchzuführen und müssen in Großanlagen in den USA oder in Deutschland rechnen lassen. Das wird sich noch verstärken. Hier muß die Förderung einsetzen — es ist kein Luxus, wenn ein Forscher ins Ausland fährt.

FURCHE: Wo glauben Sie als Naturwissenschaftler, daß für die Gesellschaft von morgen die Gesellschafts- und Humanwissenschaften vermehrte Bedeutung gewinnen werden?

KOMAREK: Wir haben einen besonders großen Nachholbedarf in der Philosophie. Wir können ihr den Vorwurf nicht ersparen, daß sie in letzter Zeit viel zu eng gedacht hat, daß sie sich mit Details beschäftigt hat, die für die Allgemeinheit immer weniger Relevanz gehabt haben. Die Philosophie soll eine koordinierende Funktion erfüllen. Das fehlt heute. Der ganze Forschungsprozeß müßte philosophisch angepackt werden. Ansätze dazu sind vorhanden. ,

Wichtig wird es auch sein, daß sich die Soziologie mit Problemen befaßt, die die Gesellschaft wirklich berühren, statt sich in Details zu verlieren.

Stichwort: endemische Arbeitslosigkeit, die wir nicht durch wirtschaftliche Maßnahmen beseitigen können. Umdenken des Arbeitsbegriffs — die besten Gehirne müssen sich mit diesen Problemen befassen, denen zur Zeit alle Politiker hilflos gegenüberstehen.

Eine andere Frage ist die erhöhte Lebenserwartung der Menschen — sie soll für den Menschen, aber auch für die Gesellschaft gewinnbringend sein. Wir müssen umdenken, auch die Jugend vorzeitig einschalten, um die wachsende Zahl alter Menschen nicht als Belastung zu sehen.

FURCHE: Sind unsere Universitäten in der Lage, die Wissenschaftler auszubilden, die diese Probleme einst lösen sollen?

KOMAREK: Wo sonst sollen sie ausgebildet werden? Aber ob die Universitäten wirklich imstande sind - da bin ich skeptisch. Die Universitätsreform hat auch Probleme gebracht Die Selbsterneuerung der Universität ist wichtig. Bei Habilitation und Berufung sollten die Bestimmungen so geändert werden, daß die Qualifizierten die Mehrheit besitzen. Uberlegen wir auch, wie man die Lehre an den Universitäten den Anforderungen anpaßt. Wo ist eine Entrümpelung der Curricula nötig, um die Lehrpläne dem'Bedarf der Zukunft anzupassen?

FURCHE: Wird nicht die Notwendigkeit, immer weiter und umzulernen, auch neue Strukturen der Universität erfordern?

KOMAREK: Ein Ansatz hierfür ist im Seniorenstudium bereits gegeben. Es wird weiter ausgebaut. Andere Länder sind da schon viel weiter. Das ist sicher eine große Aufgabe der Universitäten, wo Österreich stark nachziehen muß. Dabei dürfen die Alten nicht in eigenen Klassen im Getto gehalten werden. Die Rückkoppe-lung ist wichtig. Der Antagonismus zwischen den Generationen kann dadurch abgebaut werden.

FURCHE: Wie müßte demnach ein „UOG 2000”, ein neues Univer-sitätsorganisationsgesetz, aussehen, das diesen Anforderungen entspräche?

KOMAREK: Wichtig wäre es, die autonome Verantwortung der Universität zu verstärken. Wenn man dem Menschen mehr Verantwortung gibt, wird er auch seiner Aufgabe besser gerecht werden. Das ist in Österreich schwer durchzusetzen, wo man gewohnt ist, entweder an die Obrigkeit zu appellieren oder von ihr gelenkt zu werden.

Aber vielleicht sind die letzten Ereignisse ein Zeichen, daß eine neue Generation heranwächst, für die das leichter sein könnte. Vielleicht ist ein Umdenkprozeß im Gang.

Da Interview mit Universitätsprofessor Kurt Komarek führte Felix Gamillscheg.

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